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Öffentliches Wirtschaftsrecht: Interview mit RA Schaadt-Wambach (Taylor Wessing)

Im Rahmen unserer Interviewreihe "Berufsspecials" berichtet Johannes Schaadt-Wambach, Rechtsanwalt bei Taylor Wessing, über die Anforderungen und Perspektiven einer anwaltlichen Tätigkeit im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts.

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Öffentliches Wirtschaftsrecht: Interview mit RA Schaadt-Wambach (Taylor Wessing)

Könnten Sie sich bitte zunächst kurz vorstellen?

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Ich heiße Johannes Schaadt-Wambach und arbeite seit 2020 im Bereich Vergaberecht und EU-Beihilferecht am Düsseldorfer Standort von Taylor Wessing. Jura studiert habe ich in meiner Heimatstadt Saarbrücken. Angesichts der Nähe zu Frankreich und Luxemburg hatte ich schon immer ein Interesse an der europäischen Einigung und damit einhergehend auch am EU-Recht. Daher habe ich mich auch für einen universitären Schwerpunkt im EU-Recht und Internationalen Recht entschieden. Während des Studiums habe ich ein Semester an der Karls-Universität in Prag studiert und dort meine internationalen Rechtskenntnisse aufgefrischt. Mein Referendariat habe ich dann überwiegend in Aachen (wieder ein Dreiländereck), aber auch mit Stationen am OLG Düsseldorf und bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in Genf absolviert. Nach dem zweiten Examen war für mich klar, dass ich noch einen LL.M. im Ausland absolvieren möchte (taucht man einmal ins Berufsleben ab, ist das nicht mehr so leicht möglich). Da mir mein Aufenthalt in Prag gut gefallen hat, habe ich mich für ein (englischsprachiges) Programm im Internationalen und EU-Wirtschaftsrechts an der dortigen Karls-Universität entschieden. Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meinem fast vierjährigen Sohn, daneben treibe ich gerne Sport (Tennis und Fußball). Den Kopf frei bekomme ich zudem beim Skifahren – es gibt nichts schöneres, als nach einer intensiven Abfahrt noch in einer gemütlichen Hütte einzukehren.


Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit im öffentlichen Wirtschaftsrecht zu entscheiden und in welchem Karrierestadium fiel diese Entscheidung?

Meine Entscheidung, mich auf das Vergaberecht und EU-Beihilferecht zu spezialisieren, fiel während meines LL.M-Studiums in Prag. Ich nutzte die Zeit dort, um mir Gedanken zu machen, ob ich Anwalt oder Richter werden möchte und in welchem Rechtsgebiet ich tätig sein will. Ganz überraschend war meine Entscheidung am Ende aber nicht, da sowohl das Vergabe- als auch das Beihilferecht stark europarechtlich geprägt sind. Die beiden Rechtsgebiete sind eine Möglichkeit, sich in einem äußerst praxisrelevanten Bereich mit dem EU-Recht zu beschäftigen. 

Welche Aufgaben und Tätigkeiten umfasst das Gebiet des öffentlichen Wirtschaftsrecht in der Praxis? Mit welchen Themen und Fragestellungen setzen Sie sich im Alltag typischerweise auseinander?

Im Vergaberecht vertreten wir sowohl öffentliche Auftraggeber, als auch Bieter, die sich an Vergabeverfahren beteiligen. Aus Auftraggebersicht steht dabei die Erstellung eines möglichst aussagekräftigen, effizienten und fairen Wettbewerbs im Mittelpunkt. Gewissermaßen setzen wir in Kooperation mit den Vergabestellen die Spielregeln für die Bieter fest. Dabei prüfen wir, welche Spielregeln im Einklang mit dem (EU-)Vergaberecht stehen, damit das Verfahren rechtssicher ist. Bei der Vertretung von Bietern geht es spiegelbildlich darum, die Vergabeverfahren auf etwaige Rechtsfehler zu prüfen, die für die Mandanten nachteilig sein könnten. Die Interessen unserer Mandanten fechten wir dann notfalls im Nachprüfungsverfahren und vor den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte durch. Das macht die Tätigkeit im Vergaberecht sehr abwechslungsreich: Neben den wechselnden Perspektiven ist auch ein gewisser Anteil an Litigation enthalten. 

Unsere beihilferechtliche Praxis erstreckt sich insbesondere auf subventionierte Industrien (z. B. Energie- und Krankenhaussektor) bzw. Sektoren, in den die Unternehmen oft staatlich beherrscht sind (z. B. Luftverkehrssektor). Dabei steht sowohl bei der Beratung des Beihilfegebers (d. h. staatlichen Einheiten bzw. staatlich beherrschten Unternehmen) als auch des Beihilfeempfängers stets die Frage im Mittelpunkt, ob die jeweilige Transaktion (das können etwa Unternehmenskäufe oder Darlehen sein) zu marktüblichen Konditionen getätigt wird. Ist das nicht der Fall, liegt zumeist eine (verbotene) Beihilfe vor. Hier gibt es aber diverse Ausnahmeregelungen. Wir prüfen dann, ob die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme vom Beihilfeverbot gegeben sind. Auch vertreten wir Mandanten in Beihilfebeschwerdeverfahren (ein Unternehmen wehrt sich gegen Beihilfen an einen Mitbewerber) und Notifizierungsverfahren (eine Art Freigabeverfahren für gewisse Beihilfen) gegenüber der EU-Kommission bzw. den EU-Gerichten. 

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Inwieweit sind Ihre Erwartungen an die praktische Arbeit in diesem Rechtsgebiet erfüllt worden? Was waren Ihre größten Überraschungen?

Da ich die Themen EU-Beihilferecht und Vergaberecht vor meinem Berufseinstieg bei Taylor Wessing überwiegend aus universitärer Perspektive kannte, hatte ich keine konkreten Erwartungen an die praktische Arbeit in diesen Rechtsgebieten. Gleichwohl war ich – und bin ich immer wieder – überrascht, wie viele Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten sich ergeben. Die Schnittstellen hängen im Vergaberecht stark vom Beschaffungsgegenstand ab. So arbeiten wir bei Ausschreibungen im IT-Bereich eng mit unseren Kollegen aus dem Datenschutzrecht und IT-Vertragsrecht zusammen. Möchte die öffentliche Hand z. B. Dienstleistungen einkaufen, ergeben sich wiederum Schnittstellen zum Arbeitsrecht. Im Beihilferecht hängt es ebenfalls stark vom Sektor ab: Der Bereich Krankenhausfinanzierung bewegt sich etwa stark an der Schnittstelle zwischen Beihilferecht und regulatorischem Gesundheitsrecht. 

Was sind Ihrer Meinung nach die aktuell spannendsten Fragen sowie die schwierigsten Herausforderungen im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts?

Sowohl das Vergabe- als auch das Beihilferecht sind immer als Puls der Zeit angesiedelt. Das sieht man ganz aktuell am Beispiel des Sondervermögens für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz. Sobald der Bund diese Gelder verausgaben möchte und dabei Drittfirmen beauftragt (z. B. ein Bauunternehmen für den Bau einer Brücke), muss er in der Regel das Vergaberecht beachten. Auch das Beihilferecht ist stark von politischen Entscheidungen auf EU-Ebene geprägt: So durften die Mitgliedsstaaten etwa in der Corona-Pandemie Beihilfen gewähren, die zu „normalen Zeiten“ nicht ohne Weiteres möglich gewesen wären. 

Herausfordernd, aber gleichzeitig auch spannend ist es insbesondere im Bereich des Vergaberechts, sich technisch in die Beschaffungsprozesse einzuarbeiten. Auch wenn die Wettbewerbsregeln bei Satellitenprogrammen und IT-Beschaffungen im Kern vergleichbar sind, so müssen wir uns für eine praxisnahe Beratung gleichwohl mit den technischen Eigenheiten des jeweiligen Beschaffungsgegenstandes vertraut machen. 

Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber:innen hier einstellen?

Meiner Erfahrung nach ist es besonders wichtig, in der Lage zu sein, komplexe Sachverhalte knapp und in einfachen Worten wiedergeben zu können. Oft fungieren wir an der Schnittstelle zwischen (technischem) Fachbereich und (juristischer) Verwaltung. Hier muss man in der Lage sein, die technischen Anforderungen in juristische Sprache zu übersetzten und umgekehrt. Die rechtssichersten Zuschlagskriterien sind nicht zielführend, wenn sie technisch nicht mit den Vorstellungen des Auftraggebers übereinstimmen. Diese „Übersetzungsleistung“ fordert die Branche (zu Recht) ein. 

Sie tragen den Fachanwaltstitel im Vergaberecht – wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Erlangung dieses oder eines anderen Fachanwaltstitels (Verwaltungsrecht oder Internationales Wirtschaftsrecht) für eine Tätigkeit im öffentlichen Wirtschaftsrecht?

Gerade im Bereich des Vergaberechts ist der Fachanwaltstitel auch aus unternehmerischer Sicht wichtig. Denn große vergaberechtliche Beratungsprojekte werden ihrerseits ausgeschrieben. Hier gibt es oft „Bonuspunkte“ für Anwälte, die einen Fachanwaltstitel im Vergaberecht aufweisen können. Darüber hinaus sind Fachanwaltstitel (auch anderer Fachrichtungen) natürlich wichtig, um gegenüber den Mandanten eine gewisse Praxis nachweisen zu können. 

Außerdem haben sie einen LL.M. im Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrecht absolviert – würden Sie diese Art von Weiterbildung Junganwält:innen empfehlen, die im öffentlichen Wirtschaftsrecht Fuß fassen möchten? Welche Vorteile bietet ein LL.M. Ihrer Erfahrung nach, und welche anderen Zusatzqualifikationen oder Weiterbildungen halten Sie in diesem Bereich für besonders sinnvoll?

Ja, definitiv. Gerade in EU-rechtlich geprägten Rechtsbereichen hilft es, einen gewissen Einblick in Rechtsordnungen außerhalb des deutschen Rechts zu erhalten. Denn das EU-Recht folgt nicht immer der deutschen Dogmatik – vielmehr bringt es 27 Rechtsordnungen unter einen Hut. Um hier den Blick über den Tellerrand zu wagen, ist ein Auslands-LL.M. meines Erachtens eine ideale Voraussetzung. Für das EU-Beihilferecht ist darüber hinaus ein wirtschaftliches Verständnis unabdingbar. Schließlich dreht sich vieles um die Frage der Marktüblichkeit. Sinnvoll sind daher insbesondere Fortbildungen aus dem ökonomischen Bereich (z. B. ein Bilanzierungslehrgang, um die wirtschaftlichen Eckdaten eines Unternehmens besser lesen zu können). 

Welche Zukunftsaussichten sehen Sie für Berufseinsteiger:innen im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts?

Die Rolle des öffentlichen Wirtschaftsrechts wird zunehmen. Im Bereich des Vergaberechts z. B. mit dem jüngst vom Bundestag verabschiedeten Sondervermögen. Das EU-Beihilferecht spielt – aufgrund der enormen Fördervolumina – im Bereich der Energiewende eine entscheidende Rolle. Die zunehmende Bedeutung der beiden Rechtsbereiche zeigt sich z. B. auch am seit knapp zehn Jahren existierenden Fachanwaltstitel für Vergaberecht (der übrigens auch Aspekte des EU-Beihilferechts umfasst). 

Welchen Ratschlag würden Sie am öffentlichen Wirtschaftsrecht interessierten Nachwuchsjurist:innen mit auf den Weg geben? Welche Schwerpunkte sollten sie im Studium und im Referendariat setzen?

Kurze Antwort: Man sollte die Schwerpunkte setzen, an denen man Spaß hat. Andernfalls quält man sich ein ganzes Berufsleben. 

Vielen Dank für das Interview, Herr Schaadt-Wambach!


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