Könnten Sie sich bitte zunächst kurz vorstellen?
Mein Name ist Julia Wulff, ich bin in Düsseldorf aufgewachsen und habe dann in Konstanz am Bodensee Jura studiert und dort auch mein Referendariat absolviert. Die Liebe zu den Bergen hat meinen heutigen Mann und mich damals in den Süden gezogen und so war klar, dass wir auch nach Abschluss der Ausbildung in der Nähe der Berge bleiben wollen. Deshalb leben wir heute im schönen Allgäu in der Nähe von Füssen und ich arbeite am Münchener Standort von Taylor Wessing im Bereich Energy & Infrastructure.
Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit im Umweltrecht zu entscheiden und in welchem Karrierestadium fiel diese Entscheidung?
Mich hat das Öffentliche Recht schon immer am meisten interessiert. Ich hatte zunächst ein Jahr International Relations am King’s College in London studiert, bevor ich mich dann doch für Jura entschieden habe – wollte aber die Verbindung von Politik, Recht und Gesellschaft unbedingt beibehalten. Da liegt das Öffentliche Recht natürlich nahe. Innerhalb des Öffentlichen Rechts hatte meine Uni dann einen starken Schwerpunkt im Umwelt- und Planungsrecht, den ich schließlich für mein Schwerpunktstudium gewählt habe. Dort bin ich dann irgendwie „hängen geblieben“, da mich der Themenbereich so begeistert hat. Natürlich war das aber auch motiviert durch meine eigene Naturverbundenheit, mein Interesse am Umwelt- und Naturschutz und an energiepolitischen Themen.
Welche Aufgaben und Tätigkeiten umfasst das Umweltrecht in der Praxis? Mit welchen Themen und Fragestellungen setzen Sie sich im Alltag auseinander?
Mein Tätigkeitsschwerpunkt sind Projekte im Bereich Erneuerbare Energien und Energiespeicher. Das heißt, ich begleite vor allem Projektentwickler bei der Planung und Genehmigung ihrer Energieprojekte, z. B. von großen Solarenergieanlagen oder Batteriespeichern, und berate beispielsweise zur Aufstellung von Bebauungsplänen oder der Einholung von Baugenehmigungen oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen. Ebenso berate ich Investoren beim Ankauf und der (öffentlich-rechtlichen) Bewertung solcher Projekte. Das natürlich nicht allein, sondern als Teil unseres Energy-Teams, das alle Fachbereiche abdeckt, die in solchen Projekten außer dem Umweltrecht noch gefragt sind (z. B. Energierecht, Real Estate oder Gesellschaftsrecht). Auch in anderen Rechtsgebieten kann man sich also durchaus auf den Energiesektor spezialisieren.
Ganz allgemein kann man aber sagen, dass das Umweltrecht ein Teilbereich des Öffentlichen Rechts ist, das sich mit den Umweltauswirkungen von (Bau-)Projekten beschäftigt. Darunter fallen nicht nur Umweltschutz im engeren Sinne, z. B. das Naturschutzrecht, sondern ebenso Umweltauswirkungen auf den Menschen (z. B. Lärm), den Flächenverbrauch, Gewässer oder das globale Klima. In der Regel spezialisiert man sich auf Umwelt- und Planungsrecht und deckt über den planungsrechtlichen Teil dann auch alle zugehörigen Planungs- und Genehmigungsverfahren für solche großen, umweltrelevanten Projekte ab – das reicht vom einfachen Baugenehmigungsverfahren oder immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren bis hin zu komplexen Fachplanungen, z. B. Planfeststellungsverfahren.
Inwieweit sind Ihre Erwartungen an die praktische Arbeit in diesem Rechtsgebiet erfüllt worden?
Meine Erwartungen sind definitiv übertroffen worden. Am Anfang fand ich in rechtlicher Hinsicht besonders gut, dass ich Vieles von dem, was ich in Studium und Referendariat gelernt hatte, auch tatsächlich anwenden konnte. Inzwischen habe ich mich absolut in die Energiebranche eingefunden und freue mich insbesondere darüber, dass ich durch meine Tätigkeit im Bereich Erneuerbare Energien jeden Tag etwas tun darf, was für mich selbst Sinn ergibt. So geht es auch vielen meiner Mandant:innen, was ein besonders angenehmes und motiviertes Miteinander schafft.
Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die spannendsten Fragen im Umweltrecht? Welche aktuellen gesetzlichen Entwicklungen in diesem Bereich halten Sie für besonders bedeutsam?
Im Umweltrecht und im Öffentlichen Recht allgemein arbeitet man häufig sehr politisch und eng an der Schnittstelle zwischen Recht, Politik und Gesellschaft. Gerade im Energiebereich ändern sich relevante Gesetze mitunter mehrmals im Jahr, sodass man immer am Ball bleiben muss. Aktuell warten wir natürlich sehr gespannt darauf, welche Impulse die neue Bundesregierung setzen wird und ob die bisherigen positiven Rahmenbedingungen für die Energiewende und den Ausbau von Energiespeichern bestehen bleiben, möglicherweise noch ausgeweitet oder eher zurückgeschraubt werden.
Was stellen die für Sie schwierigsten Herausforderungen bei der Tätigkeit im Umweltrecht dar?
Gerade im Energiebereich haben wir es häufig mit Projekten und Technologien zu tun, zu denen es noch keine gefestigte Rechtsprechung und mitunter nicht einmal klar gesetzliche Vorgaben gibt, sodass wir häufig selbst analysieren und kreativ werden müssen. Gerade das macht es für mich aber besonders spannend und abwechslungsreich.
Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber:innen hier einstellen?
Mein Bereich – die Erneuerbaren Energien – ist ein Themenfeld, in dem viele Menschen aus Überzeugung tätig sind. Die Tätigkeit macht also umso mehr Spaß, wenn man sich auch ein wenig aus Überzeugung für diesen Bereich entscheidet. Abgesehen davon treffen im Umweltbereich häufig konfligierende Interessen aufeinander, die nicht immer leicht in „richtig“ oder „falsch“ zu unterscheiden sind – beispielsweise, wenn beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, der ja der Bekämpfung des globalen Klimawandels dienen soll, Konflikte mit anderen umweltschützenden Vorschriften z. B. aus dem Natur- oder Artenschutz auftreten. Hier gilt es zu vermitteln, mit den unterschiedlichen Akteuren (Behörden, Umweltverbänden, Landwirten, Projektentwicklern, Bürgerverbänden) zu sprechen, zu verhandeln und nicht auf formaljuristischen Standpunkten zu beharren.
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Sie haben in dem Rechtsgebiet promoviert, inwieweit hilft Ihnen das dabei erworbene Wissen bei Ihrer anwaltlichen Tätigkeit? Würden Sie anderen Interessent:innen eine Promotion in diesem Bereich als Vorbereitung auf eine spätere praktische Tätigkeit empfehlen?
In meinem Fall hat mir die Promotion tatsächlich sehr geholfen, da ich zu Umweltprüfungen in der Infrastrukturplanung und zu damit verbundenen Klagebefugnissen von Umweltverbänden promoviert habe. Ich bin heute immer noch froh darüber, dass ich mir durch die Promotion mehrere Monate Zeit nehmen konnte, um die Funktionsweise des europäischen Umweltrechts und von Umweltprüfungen zu verstehen. Denn diese Zeit hat man normalerweise weder in der Uni noch während des Berufseinstiegs. Außerdem kommt mir die Dissertation in der Verhandlung mit Umweltverbänden zugute, da ich deren Standpunkt in der Regel gut verstehen und auf deren Anliegen eingehen kann.
Allen, die sich eine ähnlich praxisorientierte Arbeit vorstellen können, würde ich in jedem Fall empfehlen, die Promotion anzugehen. Dabei fand ich persönlich es sehr angenehm, zwischen dem ersten und zweiten Staatsexamen zu promovieren, ohne den Berufseinstieg direkt vor der Brust zu haben oder parallel zu stemmen. Aber auch mit einem weniger praxisrelevanten Thema darf und sollte man sich ruhig die Zeit für eine Promotion nehmen, wenn man Interesse daran hat. Umgekehrt ist der Titel kein Muss mehr, sollte man sich diesen Weg nicht vorstellen können.
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Erlangung eines Fachanwaltstitels, beispielsweise im Verwaltungsrecht, für eine Tätigkeit im Umweltrecht?
Im Verwaltungsrecht ist die Erlangung des Fachanwaltstitels schon üblich und durchaus gefragt. Ich habe auch bereits die Klausuren für den Fachanwalt absolviert und warte aktuell noch auf den Ablauf der drei Jahre ab Zulassung, damit ich meine Unterlagen bei der Rechtsanwaltskammer einreichen kann.
Inhaltlich ist der Fachanwaltstitel Verwaltungsrecht leider etwas antiquiert bzw. wurde er einfach nicht an die vielfältige Weiterentwicklung des Öffentlichen Rechts angepasst. Es gibt nach wie vor keinen Fachanwalt Umwelt- und Energierecht, für alle Tätigkeiten in diesem Bereich steht nur der Fachanwalt Verwaltungsrecht zur Verfügung. Ob man in der Ausbildung und den Klausuren überhaupt etwas mit Umweltrecht zu tun hat, ist dann Glückssache und kommt auf den Anbieter an – ich musste meine Klausuren zum Migrationsrecht und Baurecht schreiben. Die Fallliste, die man für die Anerkennung einreichen muss und die aus meiner Sicht den schwierigeren Teil des Fachanwaltstitels ausmacht, kann sich dann aber natürlich auch aus umweltrechtlichen Fällen speisen.
Welche Aus- und Weiterbildungen würden Sie Junganwält:innen im Bereich des Umweltrechts ans Herz legen?
Ich würde empfehlen, erst einmal die Branche kennenzulernen, in der man tätig sein will. Es gibt viele tolle juristische Fortbildungen, an denen man teilnehmen kann und an denen ich auch regelmäßig teilnehme – hervorzuheben ist insbesondere die Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht, die jedes Jahr im November im Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stattfindet. Hier kann man auch bereits als Student:in und insbesondere als Promovierende:r teilnehmen und sich darauf bewerben, die eigene Dissertation im Rahmen des GfU-Forums in den Hallen des BVerwG vorstellen zu dürfen.
Daneben haben mir aber vor allem die Fachmessen meiner Branche – z. B. die E-World in Essen, die Intersolar in München oder die WindEnergy in Hamburg – geholfen, mich tiefer in die Materie einzuarbeiten und die Projekte meiner Mandant:innen auch in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht zu verstehen.
Denn man muss wissen: Umweltrecht im Besonderen und Baurecht im Allgemeinen kann durchaus sehr technisch werden, ein gewisses Grundinteresse auch an technischen Fragestellungen sollte man mitbringen. Denn schließlich müssen wir verstehen, wie die Anlagen technisch funktionieren, um ihre Umweltauswirkungen dann rechtlich bewerten zu können.
Insbesondere für diejenigen, die sich keine Promotion vorstellen und vielleicht nicht unbedingt noch einmal ins Ausland gehen können oder möchten, könnte der LL.M.-Studiengang Nachhaltigkeitsrecht an der Leuphana-Universität in Lüneburg interessant sein. Ich habe ihn nicht selbst absolviert, kenne aber viele Absolvent:innen, die den Studiengang durchgehend empfehlen. Auch in der Branche ist er inzwischen sehr angesehen.
Wie ist die Nachfrage nach umweltrechtlicher Beratung in den letzten Jahren gewachsen und welche Zukunftsaussichten in diesem Gebiet sehen Sie für Berufseinsteiger:innen?
Die Nachfrage nach umweltrechtlicher Bewertung ist in den letzten Jahren enorm gewachsen; das Umweltrecht ist sicherlich ein Rechtsgebiet mit sehr guten Zukunftsaussichten. Denn Gesetze und Vorgaben in den Bereichen Umwelt, Energie und Klima werden immer weiter ausgearbeitet, die Fülle an Regelungen nimmt stets zu – was natürlich daran liegt, dass Energiewende und Klimaschutz immer drängender werden und somit immer höher auf die politischen Agenden gehoben werden. Das führt einerseits dazu, dass sehr viel Beratungsbedarf bereits zu der Frage entsteht, welche umwelt- und energierechtlichen Vorgaben eigentlich zu beachten sind und welche sich gerade wieder einmal geändert haben – und gleichzeitig dazu, dass die Anforderungen an Bauprojekte gerade hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen immer weiter steigen, sodass Planungs- und Genehmigungsverfahren immer komplexer werden.
Welchen Ratschlag würden Sie am Umweltrecht interessierten Nachwuchsjurist:innen mit auf den Weg geben? Welche Schwerpunkte sollten sie im Studium und im Referendariat setzen?
Ich würde empfehlen, Studium und Referendariat zu nutzen, um möglichst vielfältige Einblicke in das Öffentliche Recht insgesamt und das Umweltrecht im Speziellen zu sammeln. Umweltrecht wird (ebenso wie Fachplanungsrecht und Energierecht) an den Universitäten meist allenfalls im Schwerpunktbereich angeboten und ist kein regulärer Studieninhalt, sodass man häufig nur durch eigenen Antrieb mit dem Themenbereich in Kontakt kommt. Das ist schade, da das Umwelt-, Planungs- und Energierecht in der Praxis immer wichtiger werden und insbesondere für die Umsetzung der Energiewende unverzichtbar sind. Es gibt immer noch nicht besonders viele Kanzleien mit einem starken Schwerpunkt im Umweltrecht – diese freuen sich wegen der mangelnden Repräsentanz im regulären Studium aber in der Regel über Bewerber:innen, die explizit nach Umweltrecht fragen. Also: Einfach bewerben, auch wenn man noch keine Vorerfahrung in diesem Bereich hat. Und wenn es an der eigenen Uni keinen Schwerpunkt im Umweltrecht gibt – keine Sorge. Das ist absolut keine zwingende Voraussetzung für eine spätere Tätigkeit im Umweltrecht.
Vielen Dank für das Interview und die Zeit, Frau Dr. Wulff!
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