Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Mein Name ist Ulrike Brucklacher, ich bin seit dem Jahr 2000 Rechtsanwältin und seit 2005 Fachanwältin für Medizinrecht. Nach beruflichen Stationen in Bonn in einer schwerpunktmäßig im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht tätigen Anwaltskanzlei und München in einer im Schwerpunkt krankenhausrechtlich tätigen Anwaltskanzlei bin ich seit 2008 bei VOELKER und Partner. Hier habe ich den Bereich Medizinrecht aufbauen dürfen und bin 2014 Partnerin geworden. Ich bin verheiratet und habe zwei Söhne (16 und 17 Jahre alt). In meiner Freizeit bin ich gern in der Natur, betätige mich sportlich und verreise gern mit meiner Familie.
Womit müssen Jurist:innen an einem typischen Arbeitstag im Medizin- und Gesundheitsrecht rechnen?
Bei VOELKER beraten wir im Medizinrecht ausschließlich Leistungserbringer bei dem regulatorischen, strukturellen und Vergütungsfragen. Wir bieten kein Haftungsrecht an – weder für Leistungserbringer noch für Patienten. Unsere Mandanten sind Krankenhäuser, Reha-Kliniken, niedergelassene Ärzte, Medizintechnikunternehmen und (Intensiv-)Pflegedienste. Unser Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich, es reicht von Vergütungsverhandlungen mit Krankenkassen, Zulassungsverfahren für Ärzte, Kooperationsverträgen zwischen Ärzten und Krankenhäusern bis hin zu berufsrechtlichen Verfahren und Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetruges. Als Medizinrechtler:in muss man daher für diesen Tätigkeitsbereich eher generalistisch aufgestellt sein, da wir zwar im Schwerpunkt im öffentlichen Wirtschaftsrecht und Sozialrecht tätig sind, jedoch immer wieder auch zivilrechtliche und strafrechtliche Kenntnisse gefragt sind. Auch gibt es viele Schnittstellen zum Arbeits- und Gesellschaftsrecht, bei denen wir hier mit unseren Experten in den anderen Disziplinen zusammenarbeiten.
Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet zu entscheiden? In welchem Karrierestadium fiel die Entscheidung, anwaltlich in diesem Bereich tätig zu werden?
Bereits im Studium hatte ich erste Bezüge zum Medizin-Bereich, bin zu Obduktionen und zu gerichtsmedizinischen Vorlesungen gegangen. Außerdem habe ich bereits im Studium angefangen, in einer kleinen Kanzlei zu arbeiten, in der unter anderem Patienten in Haftungsfragen vertreten wurden. Da wurde mir schnell klar, dass mich der medizinische Bereich interessiert, dass das Haftungsrecht aber nicht meine Materie ist. Im Referendariat habe ich dann meine Stationen vorwiegend im medizinrechtlichen Bereich gewählt. So war ich am Verwaltungsgericht in einer Kammer, die sich auch mit Approbationsfragen beschäftigt hat, in einer auf Vertragsarztrecht spezialisierten Anwaltskanzlei sowie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Nach dem Referendariat war für mich klar, dass ich nicht mehr Richterin werden will bzw. in die Verwaltung gehen möchte, wie ich dies ursprünglich geplant hatte, sondern lieber Anwältin werden wollte – insbesondere weil ich gesehen hatte, wie viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten und abwechslungsreiche Tätigkeitsfelder in verschiedenen Bereichen man als Anwältin haben kann. Auch wäre in der Justiz oder der Verwaltung eine Spezialisierung auf das Medizinrecht vermutlich nicht in der Tiefe möglich gewesen, wie in der Anwaltschaft.
Inwieweit sind Ihre Erwartungen an die praktische Arbeit im Medizin- und Gesundheitsrecht erfüllt worden? Was waren Ihre größten Überraschungen?
Meine Erwartungen sind vollständig erfüllt worden – und mehr noch: Die Arbeit ist noch vielfältiger, als ich mir dies ursprünglich vorstellen konnte. Obwohl ich mich bereits im Studium und Referendariat mit den Themen beschäftigt hatte, war es für mich immer noch überraschend, wie breit die Mandantschaft und damit auch die Beratungsmöglichkeiten im Medizinrecht sind. Das reicht vom StartUp mit innovativen Ideen zur Verbesserung der Patientenversorgung bis hin zur Unterstützung bei der Umwandlung von bisherigen Krankenhausstandorten in ambulante Gesundheitszentren.
Was sind Ihrer Meinung nach die aktuell spannendsten Fragen im Bereich Medizin- und Gesundheitsrecht?
Aktuell ist die anstehende Krankenhausreform das Thema, welches uns und unsere Mandanten am meisten bewegt. Viele der bisher im Krankenhaus erbrachten Leistungen sollen zukünftig ambulant erbracht werden, wofür neue Strukturen aufgebaut werden müssen. Des Weiteren beschäftigt uns sehr die Neuordnung der außerklinischen Intensivpflege. Aufgrund der Fortschritte in der Medizin überleben deutlich mehr Patienten schwere Unfälle bzw. leben deutlich länger mit schweren Erkrankungen, sind jedoch intensivpflegebedürftig. Auch hier werden gerade neue Strukturen aufgebaut, um mit zunehmend weniger Fachkräften die steigende Anzahl der Betroffenen versorgen zu können.
Was sind Ihrer Meinung nach die schwierigsten Herausforderungen in diesem Bereich?
Sehr schwierig – insbesondere für Anfänger – ist es, das sehr komplexe Regelungsgeflecht im Sozialrecht zu verstehen und zu durchdringen. Der Gesetzgeber setzt in vielen Bereichen auf die Selbstverwaltung, an der viele verschiedenen Beteiligten mitwirken, z. B. Krankenkassen, Verbände der Leistungserbringer, der Gemeinsame Bundesausschuss usw. Für Anfänger ist es nicht leicht, diese Regelungssystematik zu verstehen, die dann ja auch Auswirkungen auf den Rechtsschutz hat. Wichtig ist es für Anfänger auch, Hintergrundwissen für die verschiedenen Leistungserbringer aufzubauen, also z. B. zu verstehen, wie eine Arztpraxis oder ein Pflegedienst sein Geld verdient.
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Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber:innen hier einstellen?
Bewerber:innen müssen auf jedem Fall ein großes Durchhaltevermögen mitbringen, da sich dieser Rechtsbereich nicht innerhalb eines halben Jahres erschließen lässt. Aufgrund des Umstandes, dass immer wieder neue Gesundheitsreformen durchgeführt werden, ist es auch erforderlich, sich tief in bestimmte Themen einzuarbeiten, sich gleichzeitig aber immer wieder auf Veränderungen einzustellen. Dies erfordert oft nicht nur ein juristisches Einarbeiten, sondern man muss die Branchen verstehen und auch erkennen, welche Interessen durch die einzelnen Player wahrgenommen werden. Auch gehört eine gewisse Unerschrockenheit dazu, da sich immer wieder neue Probleme stellen, zu denen es noch keine Rechtsprechung oder „vorgefertigte“ Meinungen gibt. Der Rechtsbereich erfordert – und ermöglicht – daher ein noch eigenständigeres Denken und Arbeiten, als dies in anderen Rechtsbereichen erforderlich ist.
Sie haben im Medizinrecht promoviert, inwieweit hilft Ihnen das dabei erworbene Wissen bei Ihrer anwaltlichen Tätigkeit? Würden Sie anderen Interessent:innen eine Promotion in diesem Bereich als Vorbereitung auf eine spätere praktische Tätigkeit empfehlen?
Mit meiner Promotion zum „Disziplinarrecht der Vertragsärzte“ habe ich für mich die Grundlagen im Vertragsarztrecht gelegt und mir ein gewisses Systemverständnis erarbeitet. Meine Kollegen meinen, dass der Doktortitel hilft, um auf Augenhöhe mit Ärzten zu kommunizieren, obwohl mittlerweile viele Ärzte selbst keinen Doktortitel mehr tragen. Gerade jedoch bei jüngeren Anwältinnen und Anwälten hilft der Doktortitel natürlich auch, um schon in jungen Jahren als kompetente Ansprechpartnerin bzw. kompetenter Ansprechpartner wahrgenommen zu werden.
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Erlangung des Fachanwaltstitels für die Tätigkeit im Medizin- und Gesundheitsrecht?
Die Erlangung des Fachanwaltstitels ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Zum einen wird im Fachanwaltskurs umfassendes Wissen im sehr breitgefächerten Fachgebiet vermittelt, von Haftungsrecht, über Krankenhaus-, Arzneimittel-, Apotheken- und Medizinprodukterecht bis hin zum Gesellschaftsrecht der Heilberufe oder Medizinstrafrecht. Zum anderen wird der Fachanwaltstitel von den Mandanten eindeutig als Qualitätsmerkmal wahrgenommen.
Welche Aus- und Weiterbildung in dem Rechtsgebiet würden Sie Junganwält:innen ans Herz legen?
Junge Anwälte sollten sich einen Teilbereich des Medizinrechts aussuchen, der sie wirklich interessiert, z. B. Telemedizin oder Medizinstrafrecht und sich hier schwerpunktmäßig einarbeiten. Dann sollten sie sich insgesamt mit der Branche beschäftigen und gegebenenfalls zu Branchentreffen gehen, um die gleiche Sprache, wie Ihre Mandanten zu sprechen und die Zusammenhänge besser verstehen zu können.
Welche Zukunftsaussichten sehen Sie für Berufseinsteiger:innen in diesem Gebiet?
Im Bereich Medizinrecht sehe ich sehr gute Berufsaussichten, da es ein breites Betätigungsfeld bietet. Zunehmend stellen beispielsweise Krankenhäuser eigene Jurist:innen ein. Die Gesundheitsausgaben belaufen sich in Deutschland auf ca. 500 Mrd. EUR/Jahr, das entspricht ca. 13 % des Bruttoinlandsproduktes. Der Sozialbereich stellt damit eine wesentliche Säule unserer deutschen Wirtschaft dar. Dennoch müssen wir immer wieder feststellen, dass in diesem Bereich immer noch sehr unterdurchschnittlich von Anwält:innen gearbeitet wird. Ich sehe daher sehr gute Zukunftsaussichten.
Welchen Ratschlag würden Sie am Medizin- und Gesundheitsrecht interessierten Nachwuchsjurist:innen mit auf den Weg geben? Welche Schwerpunkte sollten sie bei ihrer Ausbildung setzen?
Wenn sich Jurastudenten für diesen Bereich interessieren, gibt es einige Universitäten, die spezielle Studien- oder Schwerpunktbereiche anbieten, z. B. an der Universität Heidelberg für Medizin- und Sozialrecht oder in Marburg mit dem Schwerpunkt Arzneimittelrecht. Hier kann man bereits erste Einblicke gewinnen und wertvolle Grundlagen für eine spätere Tätigkeit in diesem Bereich legen.
Vielen Dank für die Zeit und das Interview, Frau Dr. Brucklacher!
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