Mehr als 100 Jahre nach der Zulassung von Maria Otto als erste Rechtsanwältin im deutschen Reich hat Deutschland vergleichbar weniger Anwältinnen als viele andere europäische Länder (vgl. dazu Kilian, AnwBl 2020, S. 98 f.). Dennoch stellt die Bundesrechtsanwaltskammer (vgl. dazu die Presseerklärung der BRAK Nr. 4/2024 zur Mitgliederstatistik zum 01.01.2024) bei ihrer Mitgliederstatistik seit 2017 regelmäßig eines fest, nämlich: „Mehr Frauen …“. Auch im vergangenen Jahr 2023 stieg der Frauenanteil in der deutschen Anwaltschaft erneut, und zwar um 1,54 Prozent auf 37,09 Prozent bei den niedergelassenen Anwältinnen.
Dennoch ist die deutsche Anwaltschaft noch weit von Parität entfernt und das, obwohl mittlerweile schon seit Jahren weit über die Hälfte der Jurastudent:innen, der Absolvent:innen ebenso wie der Referendar:innen weiblich ist (vgl. hierzu die Pressemitteilungen des Bundesamts für Justiz vom 24.11.2022 bzw. 28.07.2023). Bei einer Anwaltsquote von 60 Prozent unter den Referendar:innen hat die hohe Frauenquote unter den Volljurist:innen u. a. dazu geführt, dass der Frauenanteil unter den Neuzulassungen in der Anwaltschaft seit 2017 regelmäßig die 50-Prozent-Hürde übersteigt.
Ernüchternde Geschlechterquoten in der Anwaltschaft
Die stetige Feststellung „Mehr Frauen …“ der Bundesrechtsanwaltskammer darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Anwaltschaft weiterhin sehr männlich geprägt ist. Nachdem erst 2015 mehr als ein Drittel aller Rechtsanwält:innen in Deutschland weiblich ist, hat der Frauenanteil seitdem nur langsam zugenommen.
Schaut man sich die Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer etwas genauer an, zeigt sich, dass insbesondere bei Neuzulassungen der Trend zur Zulassungsart Syndizi geht. Diese ist bei Frauen besonders beliebt. Zum 01.01.2024 betrug ihr Anteil 59,39 Prozent.
Von einer solchen Zahl ist man in der Gesamtanwaltschaft noch weit entfernt. Nach der o. g. Mitgliederstatistik der Bundesrechtsanwaltskammer zum 01.01.2024 betrug der Anteil der „Nur-Anwältinnen“ 34,77 Prozent und stieg im Vergleich zum Vorjahr um 1,52 Prozentpunkte. Nur jede dritte Rechtsanwältin ist auch Fachanwältin (vgl. die o. g. BRAK-Pressemitteilung Nr. 4/2024), nur jeder siebte Notar eine Frau (https://www.lto.de/recht/juristen/b/interview-praesident-bundesnotarkammer-nachwuchssorgen-notare-image-langeweilig-wenige-frauen).
Nimmt man die Geschlechterverhältnisse in Deutschlands Kanzleien konkreter in den Blick, wird eines deutlich: Groß-, mittelständische und Boutique-Kanzleien weisen weiterhin eine deutliche Geschlechterkluft auf, die umso größer wird, je höher die Führungsebene ist.
Die diesjährige Iurratio-Arbeitgeber-Umfrage ergab dazu ernüchternde Zahlen.
Während der Frauenanteil unter den Associates in diesen Kanzleien im Jahr 2023 etwa 48 Prozent – im Vergleich zu 43 Prozent bspw. im Jahr 2017 (vgl. https://www.juve.de/markt-und-management/glaeserne-decke-nur-jeder-zehnte-equity-partner-in-deutschland-ist-eine-frau/) – betrug, sind Partnerinnen weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Keine der analysierten Kanzleien kommt auf eine Frauenquote von 20 Prozent. Zudem blieb der Frauenanteil in der Vollpartnerschaft mit einem Zuwachs von 1,4 Prozent im Vergleich zu 2022 nahezu unverändert (vgl. dazu JUVE, Heft 1/2023, S. 16 ff.). Dieser liegt nach der o. g. Iurratio-Arbeitgeber-Umfrage mit 16 Prozent etwa 32 Prozentpunkte unter dem der Associates.
Karrierehindernis Geschlecht?
Der „klassische“ Anwaltsberuf begeistert offensichtlich (noch) zu wenige Frauen, zum einen für den Berufsstart und zum anderen für einen Verbleib. Gründe, warum bspw. in den Kanzleien der Anteil der Associates noch mehr als 12 Prozentpunkte unter dem der Absolventinnen und der der Partnerinnen noch mehr als 27 Prozentpunkte unter dem der Associates liegen, gibt es viele.
Geschlechtsspezifische Nachteile sind noch immer ein Thema für Anwältinnen. In der Soldan-Europa-Studie (vgl. hierzu Kilian, AnwBl 2020, S. 164 f.) berichteten 27 Prozent der Frauen, dass sie aufgrund privater Verpflichtungen in der Kanzlei benachteiligt wurden bzw. werden, jedoch nur 8 Prozent der Männer. Noch immer ist es nicht in allen Kanzleien selbstverständlich, dass Teilzeit oder Elternzeit keine Auswirkung auf die Beförderung oder den Bonus haben (vgl. dazu Lienemann/Lembeck, AZUR 2/2022, S. 91 ff.). Auch teilten 39 Prozent der Anwältinnen bei der Studie mit, dass sie gelegentlich, häufig oder immer aufgrund ihres Geschlechts Nachteile hinnehmen mussten, hingegen nur 2 Prozent der Männer.
Neben den Dauerthemen „Vereinbarkeit von Familie und Anwaltsberuf“ und „hohe zeitliche Belastung“ sind fehlende Rolemodels sowie mangelnde Karriere- und Entwicklungsperspektiven wichtige Punkte, die sich nachteilig auf den Anteil von Frauen in Kanzleien als auch auf deren Verbleib sowie auf die Anwaltschaft allgemein auswirken.
Aus persönlichen Gesprächen mit zahlreichen Kolleginnen nehme ich es so wahr, dass noch immer der Weg nach oben von Anwältinnen einen hohen, z. T. auch deutlich höheren, Einsatz als von ihren Kollegen verlangt. Meine Gesprächspartnerinnen führen dies vor allem auf die Strukturen ebenso wie die Kultur in den Kanzleien zurück. In einem Arbeitsumfeld mit noch immer deutlich mehr Männern an der Spitze haben diese Frauen nicht selten das Gefühl, sich zu sehr der männlich dominierten Businesswelt – sei es in puncto Führungsstil bzw. Arbeitsstrukturen und -zeiten, beim „Dauerthema“ Vereinbarkeit oder auch in puncto Kommunikation oder Karrierewege usw. – anpassen zu müssen.
Aufstiegschancen berechnen
Auch wenn zu Beginn der Karriere eine Kanzleipartnerschaft noch in weiter Ferne zu liegen scheint und Nachwuchsjurist:innen zudem meist viele Jahre bis zu diesem Karriereschritt benötigen, lohnt es sich trotzdem, schon frühzeitig darüber nachzudenken, wohin die eigene berufliche Karriere gehen und welche Entwicklungsmöglichkeiten dafür günstig sind.
Grundsätzlich führt ein überdurchschnittlich hoher Anteil weiblicher Associates zu einem höheren Frauenanteil in der Partnerschaft. Dies ist jedoch kein Automatismus oder eben ein nur mit einem langen Atem zu erreichendes Ergebnis, wie die aktuellen Zahlen zeigen.
Von den im Jahr 2023 ernannten 470 neuen Partner:innen und Counseln der JUVE-Top-50 Kanzleien (vgl. https://www.juve.de/markt-und-management/wo-die-frauenquote-bei-den-befoerderungen-am-hoechsten-ist/) waren 37 Prozent weiblich, was nur einen Anstieg um 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
Auch wenn die Partnerriegen der Kanzleien insgesamt weiblicher werden, erscheinen diese 37 Prozent bei einem genaueren Blick als nicht die ganze Wahrheit. Schlüsselt man diese Zahl weiter auf, wird eine bekannte Tendenz klar, nämlich ein Sinken des Frauenanteils bei Beförderungen je höher die Karrierestufe ist. So war die Frauenquote bei den Partnerernennungen mit 34 Prozent geringer als die der Counsel mit 39 Prozent.
Nimmt man jedoch frühere Jahre dazu in den Blick können diese Zahlen dennoch als ein Erfolg gewertet werden. So betrug der Frauenanteil in der Partnerebene nach Auswertung der 50 umsatzstärksten Kanzleien im Jahr 2015 nur 14 Prozent (Vgl. https://www.juve.de/markt-und-management/flaute-am-jahresbeginn-grosse-kanzleien-ernennen-weniger-equity-partner-frauenanteil-minimal/) und hat sich damit mehr als verdoppelt. Bei den Counsel ist der Anstieg nicht ganz so hoch, denn der Frauenanteil betrug dort im Jahr 2017 bereits rund 31 Prozent (Vgl. https://www.juve.de/markt-und-management/glaeserne-decke-nur-jeder-zehnte-equity-partner-in-deutschland-ist-eine-frau/).
Um langfristig ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bspw. in der Partnerschaft zu erreichen, müsste der Frauenanteil bei den Ernennungen aufgrund der Ausgangslage jedoch mehrere Jahre deutlich über 50 Prozent liegen. Dies könnte bspw. dadurch erreicht werden, dass die Kanzleien eine feste Quote für die oberste Führungsebene bestimmen und damit dem weiblichen Nachwuchs klare Perspektiven aufzeigt.
Für eine feste Quote entscheiden sich jedoch nur wenige Kanzleien (vgl. dazu Sontheim, JUVE 4/2024, S. 33 (34)). Kanzleien bemühen sich eher, durch entsprechende Frauenförder- Mentoringprogramme die Chancengleichheit zu stärken. Diese sollen Nachwuchsjuristinnen Möglichkeiten für den eigenen Karriereweg aufzeigen, sodass diese nicht nur vom Wohlwollen einzelner Partner(:innen) abhängig sind.
Mehr als gezielte Unterstützung
Mehr Frauen für die Anwaltschaft zu gewinnen bzw. auch zu halten, erfordert mehr als flexible Arbeitszeitmodelle, Home-Office und auf die einzelne Anwältin angepasste Entwicklungsmöglichkeiten.
Eine offene, wertschätzende, auf Diversität ausgerichtete Kanzleikultur, die entsprechend gelebt und mit der nicht nur geworben wird, ist enorm wichtig. Wenn diese jedoch nur auf dem Papier existiert und nicht durch entsprechende weibliche (sowie mittlerweile auch männliche) Rolemodels sichtbar wird, entscheiden sich Frauen häufiger gegen den Anwaltsberuf oder eben auch nicht für die nächste Karrierestufe und damit für die (Junior-)Partnerschaft in ihrer Kanzlei. Unter den Junganwälten, die die Anwaltschaft verlassen, haben Frauen einen Anteil von fast 60 Prozent (vgl. Kilian, AnwBl 2024, S. 202 f.).
Die Autorin erlebt es immer wieder, dass sich Frauen bei strategischen Themen durch ihre unmittelbaren Vorgesetzten (in vielen Fällen noch immer ein Partner) alleingelassen fühlen. Diese Kolleginnen wünschen sich nicht nur beim Berufseinstieg, sondern auch beim -aufstieg eine gezielte Unterstützung zu karriererelevanten Themen wie bspw. zu strategischem Networking oder Mandatsakquise durch ihre jeweilige Führungskraft ebenso wie durch weitere kanzleiinterne oder externe Sparringspartner:innen, die als zusätzliche Türöffner für den nächsten Karriereschritt fungieren.
Kolleginnen schildern der Autorin regelmäßig, dass sie sich als Anwältinnen (egal ob in Großkanzleien, in Anwaltsboutiquen oder in mittelständischen Kanzleien) immer noch mehr beweisen müssen und als das im Anwaltsberuf unterrepräsentierte Geschlecht aufgrund von stereotypen Rollenbildern häufig anders als ihre männlichen Kollegen beurteilt werden. Diese Frauen erwarten jedoch, dass ihre Fähigkeiten, Kompetenzen, persönlichen Qualitäten ebenso wie ihre Leistungsbereitschaft bereits von Anfang an uneingeschränkt und damit unabhängig vom Geschlecht anerkannt und wertgeschätzt werden.
Die Erfahrung der Autorin zeigt, dass Juristinnen Wert auf Unterstützung und Vertrauen von Seiten ihrer Vorgesetzten sowie auf konstruktives Feedback zu ihrer Arbeit und ihren persönlichen Stärken legen, welches ihnen klare und machbare Entwicklungschancen aufzeigt. Sie wollen auf Augenhöhe agieren, was vor allem in den ersten Berufsjahren in rein männlich besetzten Gesprächsrunden häufig herausfordernd ist. Sie bevorzugen zudem eine Kanzleikultur, die von Offenheit, auch gegenüber Fehlern, gegenseitiger Wertschätzung und einem vertrauensvollen Umgang geprägt ist.
Eine gewisse Flexibilität für den eigenen Lebensentwurf ist meiner Meinung nach nicht nur für Frauen, sondern nach den IUR50-Erhebungen auch für die junge Generation ein entscheidender Aspekt, damit sich diese zunächst für den Anwaltsberuf und später für eine Führungsposition (wie Counsel bzw. Partnerin) in der Kanzlei entscheiden. Sind die Voraussetzungen für eine „Work-Life-Balance“ nicht gegeben, sind Nachwuchsjuristinnen viel häufiger und auch schneller bereit, die Kanzlei gegen eine Position bspw. als Unternehmens- oder Verbandsjuristin, in der Justiz oder im öffentlichen Dienst einzutauschen. So haben bspw. zwischen 2017 und 2024 etwa 10 Prozent der Berufsträger die Kanzlei wieder verlassen, wovon – wie bereits erwähnt – ein Großteil Frauen sind (vgl. Kilian, AnwBl 2024, S. 202 f.).
Die Förderung von Frauen erfordert daher nicht nur die bereits erwähnten Mentoringprogramme, wie sie viele Groß- bzw. mittelständische Kanzleien mittlerweile anbieten. Nach der aktuellen IUR50-Erhebung sind für den Großteil aller Nachwuchsjurist:innen klare Strukturen, transparente und an die jeweilige Person innovativ angepasste Karriereperspektiven (wie eine Teilzeitpartnerschaft) und eine offene Kultur, die in und von der Sozietät gelebt wird, mindestens genauso wichtig. Dies zeigt sich nicht zuletzt am großen Zuspruch der Kanzlei Noerr als Wunscharbeitgeber:in.
Das Commitment in Richtung Geschlechtergerechtigkeit muss dabei von der Kanzlei selbst kommen. Hierzu kann es bspw. hilfreich sein, auch junge Kolleginnen mit (Teil-)Managementaufgaben zu betrauen und sie mitgestalten zu lassen. Denn all dies führt dazu, dass sie sich noch mehr mit der Kanzlei identifizieren und gegenüber einer Führungsposition offener sind.
Die Anwaltschaft durch die Einwirkung von außen weiblicher machen
Das Ziel einer Geschlechtergerechtigkeit in der Anwaltschaft ist auch eine Frage der Gesellschaft und nicht nur der Kanzleikultur, um den o. g. im Vergleich zu vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten deutlich geringeren Frauenanteil zu verändern.
Neben den eben angeführten, weichen Förderungsaspekten spielt auch der Einfluss von Mandant:innen eine Rolle. Mandantinnen und Mandanten haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Geschlechtergerechtigkeit in Kanzleien, indem sie noch vehementer diverse Beratungsteams einfordern müssen (vgl. Editorial, JUVE, Heft 4/2024, S. 3), um auf diese Weise die Marktrealitäten zu verändern.
Darüber hinaus müssen Stereotype zu Lasten von Frauen ebenso wie von Männern weiter abgebaut werden. Dafür ist es notwendig, die Teilzeitmodelle für Männer (die aus Kanzleiperspektive fast ausschließlich Berufsträger betreffen) weiter zu enttabuisieren und in puncto Umfang und Sichtbarkeit in der Kanzlei auszubauen.
Alles andere als weiblich
Das Fazit dieses Beitrags für die niedergelassene Anwaltschaft lautet aufgrund der o. g. Zahlen noch immer: „Alles andere als weiblich“. Denn derzeit ist der klassische Anwalt und Partner ein Mann, der über 50 Jahre alt und weiß ist sowie aus einer Akademikerfamilie stammt (vgl. dazu Lienemann/Lembeck, AZUR 2/2022, S. 91 ff.). Dies ist für Kanzleien bei den oben beschriebenen Gegebenheiten nicht die beste Ausgangsposition, um Nachwuchsjuristinnen für den Anwaltsberuf zu gewinnen ebenso wie sie in diesem Beruf zu halten.
Auch wenn beim Berufseinstieg viel über das hier bewusst ausgelassene Geldthema gesprochen wird, sind für Frauen die o. g. nicht-monetären Kriterien mindestens genauso wichtig oder gar wichtiger.
Ein grundlegender Wandel und positive Beispiele
Um zukünftig mehr Nachwuchsjuristinnen für den Anwaltsberuf zu gewinnen und den „Brain-Drain“ aus den Kanzleien zu minimieren, bleibt ein grundlegender Wandel in Struktur und Kultur unerlässlich. Dazu gehört u. a., dass Kolleginnen in Teilzeit weiterhin in interessante Mandate involviert und eben nicht als Associates zweiter Klasse gesehen werden (vgl. hierzu: https://www.lto.de/karriere/im-job/stories/detail/teilzeit-in-kanzleien-anwaelte-work-life-balance-karriere-partnerschaft), so dass sie die gleichen Karrierechancen wie Vollzeit-Kolleg:innen haben.
Hierbei zeigen insbesondere männliche Vorbilder, die in Teilzeit Karriere machen und/oder Equity-Partner sind bzw. werden, deutlich, dass eine Stundenreduktion nicht zu einer Stagnation der Karriere (oder gar deren Ende) führen muss (vgl. dazu Flick/Forst, AZUR 2/2022, S. 38 ff., die beispielshaft die Kanzleien Bird & Bird, Loschelder und Ashurst anführen).
Neben einem effektiven Retention Managements ist der angesprochene Wandel weiterhin zu forcieren, um für Nachwuchsjuristinnen ebenso wie erfahrene Berufsträgerinnen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und zu bleiben. Denn dies wird ebenso wie eine breite Palette an konkreten Unterstützungsmaßnahmen sowie transparente und gleichzeitig individuelle Karriereperspektiven –auch in Teilzeit – darüber entscheiden, ob und wann die Anwaltschaft tatsächlich von Geschlechtergerechtigkeit im Anwaltsberuf sprechen können wird.
Von Belang sind für den Anwaltsnachwuchs nicht nur möglichst individuelle Weiterbildungs- und Karrierekonzepte, ein früher Mandantenkontakt oder viel Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort, wie es mittlerweile nicht nur die Großkanzleien (wie bspw. Freshfields, Hengeler Mueller oder Gleiss Lutz), sondern auch große mittelständische Kanzleien (wie bspw. Luther, Heuking, Görg oder Advant Beiten, dazu Albert, AZUR 2/2022, S. 47 ff.)) anbieten.
Auch das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist eines, welches immer häufiger eingefordert wird. Zahlreiche Kanzleien gehen hier mit positivem Beispiel voran. Neben organisatorischer und finanzieller Hilfe bei der Kinderbetreuung (so bspw. bei Freshfields, Linklaters oder Hengeler Mueller) oder zusätzlichen freien Tagen für die Betreuung kranker Kinder (so bspw. Heuking, Luther) zahlen andere Kanzleien wie Noerr, Latham & Watkins, Ashurst, Skadden oder Milbank mittlerweile bis zu 6 Monate das volle oder halbe Gehalt während der Elternzeit zusätzlich zum Elterngeld weiter bzw. ermöglichen einen Wiedereinstieg in Teilzeit ohne unternehmerischen Druck und mit unbegrenzter Home-Office-Möglichkeit (vgl. Sontheim, JUVE, Heft 4/2024, S. 33 (40); Flick/Forst, AZUR 2/2022, S. 38 ff.).
Nicht immer ist ein Kind der Grund für eine Auszeit. Verschiedene Kanzleien ermöglichen auch ein bezahltes Sabbatical über ein bis drei Monate (wie bspw. Oppenhoff, Osborne Clarke oder GLNS) ab einer bestimmen Senioritätsstufe bzw. alle 5 Jahre. Andere (wie bspw. SZA) finanzieren über Teilzeit- oder Gehaltsstreckungsregelungen eine berufsbegleitende Promotion bzw. LL.M. mit.
Das Fazit ist simpel und herausfordernd zugleich: Nahezu alle Kanzleien wollen junge Anwältinnen für sich gewinnen und behalten. Schließlich performen gemischte Teams nicht nur besser, sondern diese werden auch immer häufiger von den Mandant:innen eingefordert und von interessierten Bewerber:innen angesprochen.
Allen Beteiligten in den Kanzleien ist mittlerweile klar, dass für den angesprochenen Wandel, insbesondere an deren Spitze, noch einiges zu tun ist. Bis deutschlandweit auf der Partner-Ebene zumindest ein ähnlicher Frauenanteil wie bei den Counsel erreicht ist, müssen dem weiblichen Anwaltsnachwuchs innovative Angebote gemacht und glaubhafte Rolemodels auch über das Einstieg hinaus sichtbar und ansprechbar sein.
Über die Autorin
Dr. Anja Schäfer ist Anwältin und Expertin für Networking & Female Leadership in Kanzleien. Seit mehr als 7 Jahren unterstützt und begleitet sie als Karrierementorin exklusiv Juristinnen in puncto Sichtbarkeit als Expertin durch Personal Branding, Selbstmarketing sowie Networking sowie bei ihrer strategischen Ausrichtung im Rahmen einer beruflichen Neu- oder Umorientierung.
Sie gibt ihre Tools und Tipps in Keynotes oder Workshops weiter und publiziert regelmäßig zu ihren Themen in juristischen (Online-)Magazinen wie bspw. in der LTO oder im BRAK-Magazin. Sie ist Host vom „Juristinnen machen Karriere!“-Podcast und Gastgeberin diverser digitaler sowie vor Ort stattfindender „Juristinnen netzwerken …” Event-Formate.