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Verständigung – Risiken einer Beteiligung für Anwälte

Verteidiger, welche die gesetzlichen Vorschriften des VerstG nicht einhalten, könnten den Tatbestand der nachfolgenden Normen des StGB erfüllen. Im Folgenden wird die mögliche Strafbarkeit eines Verteidigers im Zusammenhang mit einer Verständigung erörtert.
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Ihm ist ein passives und abwartendes Verhalten anzuraten

„Kann sich ein Verteidiger durch Beteiligung an einer Verständigung strafbar machen?“

von Pascal Alt, (Auszug aus einem in Iurratio 2/2015 veröffentlichten Beitrag)

 

Die Verständigung

Strafverfahren, v.a. Wirtschaftsstrafverfahren, zeichnen sich oftmals durch eine hohe Komplexität beim Umfang und den zu beurteilenden Rechtsfragen aus. Aus diesem Grund streben die Verfahrensbeteiligten nicht selten eine sog. „Verständigung“, auch „Deal“ genannt, an.1

Inhalt dieser Absprache ist zumeist die Zusage einer Strafmilderung bzw. eines relativ konkret festgesetzten Strafmaßes seitens des Gerichts gegen die Abgabe eines Voll- oder Teilgeständnisses seitens des Angeklagten.2 Verständigungen wurden jahrzehntelang ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt.

Der Gesetzgeber sah sich gezwungen, eine rechtliche Grundlage für Absprachen zu schaffen und deren inhaltlichen Grenzen festzulegen. Folgerichtig trat am 4.8.2009 das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ in Kraft, welches Verständigungen zwischen den Verfahrensbeteiligten mit dem Ziel einer vorbesprochenen Verfahrensgestaltung oder Verfahrensbeendigung, insbesondere im § 257c StPO, der zentralen Vorschrift des VerstG, vorsieht.

Verständigung – Risiken einer Beteiligung für Anwälte

Verteidiger, welche die gesetzlichen Vorschriften des VerstG nicht einhalten, könnten den Tatbestand der nachfolgenden Normen des StGB erfüllen. Im Folgenden wird die mögliche Strafbarkeit eines Verteidigers im Zusammenhang mit einer Verständigung erörtert.

Beteiligungsstrafbarkeit

Eine Beteiligungsstrafbarkeit des Verteidigers kommt sowohl im Hinblick auf § 339 StGB als auch auf § 258 StGB in Betracht.

Rechtsbeugung, § 339 StGB

Grundsätzlich setzt sich ein Strafverteidiger, welcher an einer unzulässigen Absprache mitwirkt, einem Strafbarkeitsrisiko wegen Beteiligung an den Taten der Amtsträger aus. Es kommt lediglich eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht, da er selbst kein tauglicher Täter des § 339 StGB sein kann. Ob eine Anstiftung oder Beihilfe einschlägig ist, hängt davon ab, ob das Gericht, die Staatsanwaltschaft oder der Verteidiger selbst die Verständigung angeregt hat.49

Kommt es, trotz Initiative des Verteidigers, nicht zu einer Verständigung, so kommt der Anstiftung zur versuchten Rechtsbeugung oder der versuchten Anstiftung zur Rechtsbeugung Bedeutung zu. Für eine vollendete Anstiftung müsste der Anstifter den Täter zur Begehung einer rechtswidrigen Tat bestimmen. Für die Bestimmung ist wesentlich, dass der Anstifter den Tatentschluss beim Täter hervorruft.50

Dies ist dem Verteidiger jedoch nur sehr schwer nachzuweisen, da oftmals das Gericht nach außen Zurückhaltung zeigt, in Wirklichkeit aber nur auf den Anstoß durch den Verteidiger wartet. Diese Situation ist mit einem schon gefassten Tatentschluss zu vergleichen.51 Ging hingegen die Initiative bzgl. einer Verständigung vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft aus, kommt für den Verteidiger im „Erfolgsfall“ eine Strafbarkeit wegen Beihilfe in Betracht. Ferner ist eine Beihilfe zur Rechtsbeugung wegen Beteiligung an einer informellen Absprache möglich.

Aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Regelung gibt es keine Aussage darüber, ob es einer Zustimmung des Verteidigers zu einer informellen Absprache bedarf oder nicht. Sieht man eine Zustimmung als erforderlich an, kommt auf alle Fälle eine Beihilfe durch positives Tun in Betracht, andernfalls eine Beihilfe durch Unterlassen. Der Verteidiger hätte die Protokollierung der informellen Absprache dadurch veranlassen können, dass er das Unterlassen als prozessordnungswidrige Maßnahmen nach § 238 Abs. 2 StPO rügt.52

Strafvereitelung, § 258 StGB

Bei einer durch eine unzulässige Absprache erfolgten Strafvereitelung durch den Richter gem. § 258a StGB kann sich der Verteidiger als Mittäter iSd § 25 Abs. 2 StGB strafbar machen. Der Verteidiger wird hierbei nicht lediglich als Gehilfe angesehen, was daran liegen könnte, dass man sich im Bereich des § 258 StGB daran gewöhnt hat, dass dem Verteidiger hier nicht nur eine Nebenrolle zukommen soll.53

Eine Mindermeinung vertritt die Ansicht, der Verteidiger scheide generell aus dem Kreis potentieller Täter bzw. Teilnehmer des § 258 StGB durch Mitwirkung an einer Absprache aus, weil er als Beistand des Beschuldigten auf eine u.U. auch unangemessen geringe Bestrafung hinarbeiten dürfe.54 Hier ist sich jedoch an dem Lügenverbot zu orientieren, wonach der Verteidiger aufgrund seiner Schweige- und Solidaritätspflicht Vorschläge des Gerichts auch dann annehmen darf, wenn er sie für rechtswidrig hält und meint, der Angeklagte werde zu gering bestraft.

Es soll ihm lediglich verwehrt sein, die Strafverfolgungsorgane durch aktive Verteidigungsmaßnahmen dazu zu veranlassen, eine unzulässige Absprache abzuschließen, sodass der Mandant nicht mehr objektiv gerecht bestraft wird.55 Selbst wenn der Verteidiger aktive Maßnahmen ergriffen hat, ist allerdings von einem sehr weiten Beurteilungsspielraum seinerseits auszugehen. Dieser hat jedoch da seine Grenzen, wo die vom Verteidiger initiierte Verständigung die in der Norm vorgeschriebene Mindeststrafe noch unterschreitet.

Parteiverrat, § 356 StGB

Verteidiger im Abspracheverfahren werden oftmals als „Doppelagenten“ bezeichnet.56 Der Verteidiger dient bei einer Verständigung sowohl dem Interesse des Angeklagten als auch dem Interesse der Rechtspflege an einem beschleunigten Verfahren. Dementsprechend könnte sich ein Anwalt wegen Parteiverrates strafbar machen, wenn es zu einer für den Mandanten nachteiligen Verständigung kommt.

In Betracht kommt hierbei ein „Dienen“ sowohl des Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft. Für eine Strafbarkeit gem. § 356 StGB müsste die Staatsanwaltschaft als Partei anzusehen sein, was umstritten ist.57 Dieser Streit ist nicht aufzulösen, da § 356 StGB in der Praxis nicht von Relevanz sein dürfte. Unter „Dienen“ ist nur das bewusste und zielgerichtete Fördern der Interessen der Gegenpartei zu verstehen.

Es reicht also nicht aus, wenn die Interessen der Gegenpartei faktisch gefördert werden, dies aber in dem Willen geschieht, die Interessen der eigenen Partei zu stärken.58 Dies wird bei Verständigungen regelmäßig der Fall sein. Selbst wenn der Verteidiger seinen Mandanten zum Abschluss einer Absprache nur aus dem Motiv veranlasst, in Zukunft bei Gericht als verlässlicher Kooperationspartner gut dazustehen, wird ihm dies kaum nachweisbar sein.59

Verletzung der Verschwiegenheitspflicht, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Zusätzlich besteht für den Verteidiger bei Verständigungen die Gefahr, sich wegen Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht strafbar zu machen. Bedeutung könnte hier § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB zukommen, nämlich die Preisgabe von Geheimnissen durch einen Verteidiger zum Nachteil seines Mandanten im Rahmen von Verständigungsgesprächen.

Eine echte Gefahr droht demnach dem Strafverteidiger, wenn er sich für Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung mit anderen Verfahrensbeteiligten trifft, ohne hierbei seinen Mandanten in Kenntnis zu setzen. In dieser Situation wird es dem Verteidiger ermöglicht, ihm bekanntgewordene, für seinen Mandanten ungünstige, Umstände preiszugeben. Dies gilt erst recht dann, wenn der Verteidiger im Rahmen von Verständigungsgesprächen ein Geständnis, das sein Mandant ihm gegenüber offenbart hat, ohne dessen Einwilligung ankündigt oder preisgibt.60

Scheitert nun eine Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten, ist für den Verteidiger jede spätere Verteidigung, die auf einen Freispruch angelegt wäre, von vornherein unglaubwürdig und zum Scheitern verurteilt.61 Es ist dem Verteidiger daher anzuraten, sich vorher mit seinem Mandanten zu besprechen, ob er eine Verständigung führen darf und wenn ja, welcher Inhalt preisgegeben werden soll.62

Nötigung, § 240 StGB

Ebenso wie der Richter kann sich auch der Verteidiger wegen Nötigung gem. § 240 StGB strafbar machen. Dies ist dann der Fall, wenn der Verteidiger seinen Mandanten, aus welchen Gründen auch immer, bedrängt, sich auf eine Verständigung einzulassen.63 Wenn aber alle Verfahrensbeteiligten den Angeklagten bedrängen, so ist fraglich, ob sich der Verteidiger lediglich wegen Beihilfe (§ 27 StGB) oder wegen Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) strafbar macht.64

Hierbei ist auf die zu § 258 StGB vertretene Meinung abzustellen, nach welcher sich ein Verteidiger wegen Mittäterschaft zur Strafvereitelung strafbar machen kann. Dies soll ebenso bei § 240 StGB gelten.65 Trotz alledem ist der Verteidiger verpflichtet, auch strafbare Angebote seitens des Gerichts weiterzugeben und mit seinem Mandanten zu beraten. Er darf allerdings nicht durch seine Verhaltensweisen unter Beachtung der Tatherrschaftslehre oder der subjektiven Theorie als Mittäter eingestuft werden.66

Fazit

Der Verteidiger sollte zur Vermeidung des Risikos der eigenen Strafbarkeit nicht seine Hand zu „Deals“ reichen, welche nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Andernfalls besteht für ihn ein erhebliches strafrechtliches Risiko, welches durch das VerstG im Vergleich zur früheren Rechtslage gestiegen ist.76

Zwar erscheint es unwahrscheinlich, dass gerade der Verteidiger z.B. wegen Strafvereitelung belangt wird, während die übrigen Verfahrensbeteiligten unbehelligt bleiben, da ein Handeln zugunsten seines Mandanten ihm noch am ehesten verziehen werden dürfte.

Der Verteidiger sollte sich trotzdem nicht zu sehr auf die Subsidiarität seiner strafrechtlichen Haftung und auch nicht auf die Solidarität der an der Absprache beteiligten Strafverfolgungsorgane ihm gegenüber verlassen.77 Ihm ist ein passives und abwartendes Verhalten anzuraten.78

 

Fußnoten:
1 Klemke/Elbs, Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, S. 256, Rn.791 ff.
2 Beulke, StPO, S. 257, Rn. 394.
49 Satzger, in: FA-Strafrecht, S. 1299, Rn.79.
50 Heine, in: Sch/Sch, StGB, § 26, Rn.4.
51 Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung, S. 220.
52 Globke, in: JR 2014, 9 (18).
53 Fahl, in: Eng/Fa/S/Sw, Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, S. 22.
54 Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung, S. 220.
55 Beulke/Ruhmannseder, Verteidiger, S. 98, Rn.123a.
56 Dießner, in: StV 2011, 43 (48).
57 Bejahend: Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers, S. 23; verneinend: Braun, Die
Absprache im deutschen Strafverfahren, S. 98.
58 Prinz, Der Parteiverrat des Strafverteidigers, S. 90 ff.
59 Fahl, in: Eng/Fa/S/Sw, Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, S. 24.
60 Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung, S. 223.
61 Dahs, in: NStZ 1988, 153 (156).
62 Satzger, in: FA-Strafrecht, S. 1301, Rn.84.
63 Fahl, in: Eng/Fa/S/Sw, Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, S. 26.
64 Ignor/Matt/Weider, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, § 13, Rn.87.
65 Fahl, in: Eng/Fa/S/Sw, Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine, S. 27.
66 Fahl/Winkler, Strafrecht AT und BT/1, § 25, Rn.13.
76 Satzger, in: FA-Strafrecht, S. 1301, Rn.85.
77 Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers S. 97, Rn.123.
78 Satzger, in: FA-Strafrecht, S. 1301, Rn.80.

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