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Berufsspecial

Vergaberecht

Vergaberecht

Praxis

Viel mehr als nur ein Annex zu anderen Rechtsgebieten

Mit seinen Ursprüngen im Haushaltsrecht, lange Zeit als Annex zu Rechtsgebieten wie dem Kartell- und Baurecht reduziert, hat das Vergaberecht in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung und schließlich die Eigenständigkeit gewonnen. Als 22. Fachanwaltschaft und somit „neue“ Spezialisierungsmöglichkeit seit dem Jahre 2015 ist dieses attraktive Rechtsgebiet nicht mehr wegzudenken. Sowohl für erfahrene Berater*innen als auch für Neueinsteiger*innen ist das also die Gelegenheit, in diesem rasant wachsenden Gebiet Fuß zu fassen.

Gegenstand und Tätigkeitsfelder

Das Vergaberecht befasst sich konkret mit der Beschaffung von Gütern sowie Bau- und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand und im Rahmen von privatrechtlichen Verträgen. Die öffentliche Auftragsvergabe stellt einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar: Es werden jährlich Aufträge in Höhe von dreistelligen Milliardenbeträgen an private Unternehmen vergeben. Im Zuge dieser Einkäufe muss die öffentliche Hand Verfahrens- und Rechtsschutzregelungen beachten. Das Vergaberecht umfasst also sämtliche Regeln und Vorschriften, die die öffentliche Hand beim Einkauf von Gütern und Leistungen und bei der Vergabe von Konzessionen befolgen muss.

Dazu zählt insbesondere die Einhaltung der in § 97 GWB genannten Grundsätze des Vergaberechts: Demnach muss die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in einem transparenten, diskriminierungsfreien und wettbewerblichen Verfahren stattfinden; mittelständische Interessen müssen gefördert werden; die Vergabe darf gemäß des sog. Eignungsvierklangs nur an fachkundige, leistungsfähige, zuverlässige und gesetzestreue Unternehmen erfolgen und der Zuschlag nur auf das wirtschaftlichste Angebot gegeben werden (Wirtschaftlichkeitsgrundsatz). Diese Gebote verhindern Korruption, Vetternwirtschaft und Diskriminierungen.

Bei einem nicht gesetzeskonformen Verfahren läuft der öffentliche Auftraggeber Gefahr, dass sich sein Bauvorhaben verzögert, er sich erheblichen Schadensersatzansprüchen aussetzt oder das gesamte Vorhaben neu ausgeschrieben werden muss. An dieser Stelle sind die Experten und Expertinnen im Vergaberecht gefragt, die dem öffentlichen Auftraggeber im Vergabeverfahren zur Seite stehen und ihn bestenfalls schon bei der Ausschreibung unterstützen, damit diese allen Anforderungen gerecht wird. Doch auch auf der anderen Seite der Medaille besteht Beratungsbedarf – und zwar bei einer tatsächlichen oder drohenden Benachteiligung oder Diskriminierung von Bieter*innen durch Vergabefehler. Auch hier hilft der/die Spezialist*in im Vergaberecht und unterstützt in Vergabenachprüfungsverfahren und bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.

Das Vergaberecht richtet sich in weiten Teilen nach EU-Richtlinien. Insofern sollte der- oder diejenige, der/die dieses Rechtsgebiet für sich ins Auge fasst, keine Abneigung gegen das Europarecht hegen und sich auch dort bestens auskennen. Schnittstellen können sich auch zu anderen Rechtsgebieten ergeben wie dem öffentlichen Wirtschafts-, Bau-, Umwelt- und Infrastrukturrecht. Die Anforderungen an den Nachwuchs sind also klar: interdisziplinäre Fähigkeiten gepaart mit der Bereitschaft, sich stetig fortzubilden und eine rhetorische Begabung bei der Beratung von Mandanten/Mandantinnen. Mit diesen Eigenschaften kann einer erfolgreichen Karriere im Vergaberecht fast nichts mehr im Wege stehen!

Berufschancen & Gehälter

Berufsaussichten – Was sind meine Möglichkeiten?

Mit einer Spezialisierung im Vergaberecht ist man nicht nur als Anwalt/Anwältim in Wirtschaftskanzleien gefragt, sondern auch als neutrale/r Schiedsrichter*in in den Vergabekammern. Diese Behörden sind gerichtsähnliche Kontrollinstanzen und zuständig für das Nachprüfungsverfahren, in dessen Rahmen die Rechtmäßigkeit der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen überprüft wird, wenn bspw. der Vorwurf der Diskriminierung oder Intransparenz im Raum steht. Wer seine Berufung in einer internationalen Tätigkeit im Ausland sucht, wird vielleicht zB. in der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission fündig. Es mangelt also nicht an Einsatzmöglichkeiten für Vergaberechtler*innen!

Gehaltsaussichten – Es lohnt sich!

Ob man an der Seite der öffentlichen Auftraggeber steht oder auf der gegenüberliegenden Seite versucht, die Vergabefehler aufzudecken – mit Aufträgen, die jährlich über 300 Milliarden Euro beziffern, ist das Vergaberecht ein lukratives Feld, in dem die öffentliche Hand und Unternehmen auf eine qualifizierte Rechtsberatung angewiesen sind. Das Durchschnittsgehalt beträgt in Kanzleien ca. 95.000 €,** wobei sich hier je nach Kanzleiform große Unterschiede ergeben. Ganz weit vorne liegen die Großkanzleien mit durchschnittlichen Bruttojahresgehältern von 122.500€;** dahinter kommen die  die Boutiquen mit 89.000€ und zu guter Letzt die mittelständischen Kanzleien mit ca. 83.500€.**

Für die Arbeit in einer Landes- oder Bundesbehörde richtet sich die Besoldung nach der jeweiligen Besoldungstabelle des Landes bzw. Bundes für Beamte.

Bildung

Fachanwaltstitel im Vergaberecht

In diesem noch recht jungen Rechtsfeld ist qualifizierter Nachwuchs gefragt. Der jüngsten Statistik zufolge sind erst 304 Fachanwälte/-anwältinnen für Vergaberecht verzeichnet, was daran liegt, dass es diese Möglichkeit erst seit 2015 gibt. Man kann sich in diesem Bereich also insbesondere durch den Erwerb des Fachanwaltstitels im Vergaberecht hervorheben. Die zuständige Rechtsanwaltskammer, der der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin angehört, verleiht nach Maßgabe der Fachanwaltsordnung (FAO) die Berechtigung zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung. Voraussetzungen für diese Verleihung sind:

  • dreijährige Zulassung und Tätigkeit innerhalb der letzten sechs Jahre vor Antragstellung (§ 3 FAO)
  • Antragstellung bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 22 FAO)
  • Nachweis besonderer theoretischer Kenntnisse (§§ 4, 4a und 6 FAO)
  • Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen (§§ 5, 6 FAO)

Zudem muss er/sie die in §14o FAO genannten besonderen Kenntnisse nachweisen.

Promotion und LL.M. im Vergaberecht

Natürlich besteht auch in diesem vielfältigen Berufsfeld die Möglichkeit, zu promovieren oder einen Master of Laws zu erwerben. An der Universität Passau kann zB. der LL.M. „Europäisches Wirtschafts- und Reguliergunsrecht“ berufsbegleitend erworben werden (Dauer: 4 Semester; Kosten: 3.200€ pro Semester). Ebenfalls berufsbleitend kann das englischsprachige Masterprogramm „Competition and Regulation“ der Leuphana Universität Lüneburg absolviert werden (Dauer: 3 Semester; Kosten: 9.700€ plus 207€ Semesterbeitrag). Des Weiteren bietet die Universität Wien den deutschsprachigen LL.M. „Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht“ an (Dauer: 2-4 Semester in Voll-/ Teilzeit; Kosten: 12.600€).

Ist man an einem ausländischen, englischsprachigen LL.M.-Programm interessiert, sollte man nach Mastern im European/ International Business Law Ausschau halten. Nähere Details zum LL.M. im Wirtschaftsrecht gibt es auf unserer Infoseite zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Dort findet ihr Informationen zu spannenden Programmen von verschiedenen europäischen Universitäten und der Columbia Law School in den USA!

** basierend auf unserer Umfrage von 143 Kanzleien.

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Im Rahmen unserer Interviewreihe „Berufsspecials“ berichtet Dr. Jutta Möller von FPS über die Anforderungen und Perspektiven einer anwaltlichen Tätigkeit im Vergaberecht und teilt ihre Erfahrungen.