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Interview mit Strafverteidiger Dr. Jonas Hennig (H/T Defensio Strafverteidiger)

Im Rahmen unserer Interviewreihe zu unseren Berufsspecials haben wir Rechtsanwalt Dr. Jonas Hennig von H/T Defensio hinsichtlich seiner Tätigkeit als Strafverteidiger und den Anforderungen sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich Strafrecht befragt.
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Das jetzige Wegsperren ist zu meiner Überzeugung mit einem humanistischen Menschenbild nicht vereinbar.

Rechtsanwalt Dr. Jonas Hennig

H/T Defensio Strafverteidiger

Tätigkeit

iurratio: Mit vielen Teilen des Strafrechts setzen sich Juristen bereits im Studium auseinander. Welche Aufgaben erwarten einen Berufseinsteiger bei einer anwaltlichen Tätigkeit in diesem Bereich?

Dr. Jonas Hennig: Die Tätigkeit des Strafverteidigers/der Strafverteidigerin ist spannend und abwechslungsreich. Die Ausarbeitung und Umsetzung von Verteidigungsstrategien durch Erstellung von Schutzschriften im Ermittlungsverfahren, Strafverteidigung vor Gericht, aber auch Mandantengespräche sind drei Kernaufgaben. Berufsanfänger begleiten die Partner in den ersten drei Monaten bei all diesen Kernaufgaben, werden aber bereits ab Monat 4 in diesen Bereichen eigenverantwortlich eingesetzt.

iurratio: Wie sieht der Arbeitsalltag eines Strafverteidigers aus?

Dr. Jonas Hennig: Jeder Tag ist anders. Mandantengespräche, Haftbesuche, Verteidigung im Gerichtssaal, Teambesprechung, Aktenstudium und viel Spontanes. Bei uns kommt auch Reisezeit dazu, da wir bundesweit verteidigen. Im Zug lässt sich aber sehr gut arbeiten. Oft ist es schwierig, das Ende des Arbeitstages vorher festzulegen. Aber Strafverteidigung ist mehr Berufung als Beruf. Ich kenne keinen guten Strafverteidiger/Strafverteidigerin, dem es generell wichtig ist zu einer bestimmten Uhrzeit in den Feierabend zu gehen. Und wenn es dafür an bestimmten Tagen doch gute Gründe gibt, so lässt sich das einrichten.

iurratio: Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit im Strafrecht zu entscheiden?

Dr. Jonas Hennig: Ich habe mich nicht entschieden, im Strafrecht zu arbeiten, sondern Strafverteidiger zu werden. Alle anderen Berufe im Strafrecht insbesondere Strafrichter und Staatsanwalt habe ich immer ausgeschlossen, obwohl ich nach dem zweiten Staatsexamen ein Angebot aus der Justiz hatte. Abgesehen von den monetären Beschränkungen und den veralteten Strukturen in der Justiz stehe ich dem Konzept Freiheitsstrafe zu kritisch gegenüber. Der Reiz, einen Machtausgleich zu schaffen und für den Mandanten zu kämpfen, ist bei mir wesentlicher Antrieb für den Beruf des Strafverteidigers. Für das Strafrecht generell spricht, dass die Lebenssachverhalte spannend sind und es für den Mandanten um mehr als nur um Geld geht. Es geht oft um die Freiheit. Für mich ist Freiheit der wichtigste Wert im Leben.

iurratio: Welche Delikte stehen bei der Arbeit an Ihren Mandaten am häufigsten im Raum? Was sind die aktuell spannendsten Fragen im Strafrecht aus der Sicht eines Strafverteidigers?

Dr. Jonas Hennig: Wir bei Defensio haben vier Bereiche:

1. Wirtschafts- und Steuerstrafrecht
2. Sexualstrafrecht
3. Allgemeines Strafrecht einschließlich Medizinstrafrecht
4. Betäubungsmittelstrafrecht.

In unserem Team sind wir intern verschiedentlich spezialisiert. Meine Tätigkeit liegt vor allem im Sexual- und Wirtschaftsstrafrecht sowie dem Medizinstrafrecht. Umfangs- und Schwurgerichtsverfahren verteidigen wir meistens im Team und ich bin in diesen Fällen als Koordinator und oft auch Frontverteidiger mit dabei.

Die wichtigsten aktuellen Fragen für mich sind zwei:

1. Ist das Strafrecht, wie wir es kennen mit dem Glauben an eine individuelle Schuld des Menschen im Lichte der Erkenntnisse der neueren Hirnforschung überholt?

2. Wie kann man Strafvollzug grundlegend ändern/abschaffen um dem Strafzweck Resozialisierung gerecht zu werden. Das jetzige Wegsperren ist zu meiner Überzeugung mit einem humanistischen Menschenbild nicht vereinbar.

iurratio: Was unterscheidet die anwaltliche Tätigkeit im Strafrecht in einer Kanzlei wie H/T Defensio von einer solchen Tätigkeit in einer „Großkanzlei“, anderen Strafrechtsboutiqen sowie Einzelkämpfern im Strafrecht?

Dr. Jonas Hennig: Wir sind eine Strafrechtsboutique. Es gibt kaum Strafrechtsboutiquen in Deutschland, die das gesamte Strafrecht und nicht nur das Wirtschaftsstrafrecht abdecken. Insofern besteht bei uns eine größere Auswahl hinsichtlich der anvisierten Spezialisierung innerhalb des Strafrechts. In Großkanzleien beschränkt sich Strafecht in der Regel auf Compliance und Internal Investigation. Unser Kerngeschäft der Strafverteidigung von Einzelpersonen im Straf- und Wirtschaftsstrafrecht wird in der Regel nicht angeboten.

Wer bei uns anfängt, ist je nach Ausrichtung schnell im Gerichtssaal und im Mandantengespräch und führt Mandate eigenverantwortlich. Viele meiner Freunde sind in Großkanzleien tätig und haben auch nach Jahren noch keinen Gerichtssaal gesehen, was nichts Schlechtes ist. Man muss nur wissen, ob man das will und wo die eigenen Talente und Bedürfnisse liegen.

Auf der anderen Seite ist eine Tätigkeit beim Einzelstrafverteidiger nicht mit derjenigen bei Defensio vergleichbar. Durch die Teamstruktur sind wir innerhalb des Strafrechts viel stärker spezialisiert. Wir haben zum Beispiel eine Strafverteidigerin, die gezielt aussagepsychologische Fragen im Ermittlungsverfahren bearbeitet und einen Kollegen, der für das gesamte Team Ansprechpartner im Bereich Vermögensabschöpfung ist. Zudem bietet der Austausch im Team ohne Ellenbogenmentalität auf Augenhöhe und mit flachen Hierarchien weitreichende Möglichkeiten, die eigene Verteidigerpersönlichkeit zu entwickeln.

Anforderungen

iurratio: Welche Qualifikationen bzw. welche Soft Skills sind für eine Tätigkeit als Strafverteidiger vorteilhaft bzw. notwendig?

Dr. Jonas Hennig: Rhetorisches Talent, selbstbewusstes Auftreten und eine schnelle Auffassungsgabe. Die Fähigkeit zu zweifeln, wo für andere feststeht, was passiert ist, hilft ebenso wie ein gewisses Bedürfnis, Autoritäten in Fragen zu stellen. Bei uns ist zudem Teamfähigkeit eine unverzichtbare Voraussetzung.

iurratio: Erfahrung im Strafprozess ist für Strafverteidiger besonders wichtig. Da Berufsanfänger diese naturgemäß noch nicht haben, findet hier ein „Training on the job“ im Sinne eines Heranführens von kleinen zu großen Aufgaben statt?

Dr. Jonas Hennig: Bei uns ist das der Fall. Alle Associates begleiten mehrfach Partner bei kleinen und großen Verfahren und sind dort bereits „vorne in Robe“ mit dabei. Zudem gibt es einen „Associate-Buddy“ in den ersten Monaten. Sobald die ersten Verfahren alleine bestritten werden, gibt es ein wöchentliches Mentoring-Programm bei den Partnern.

iurratio: Welche Anforderungen stellen Sie an Referendare/WissMits bzw. an Berufsanfänger für eine Tätigkeit als Strafverteidiger in Ihrer Kanzlei?

Dr. Jonas Hennig: Grundsätzlich ein befriedigend im ersten Staatsexamen, bei WissMits ist ein Prädikat nicht zwingend aber wünschenswert. Teamfähigkeit und echtes Interesse am Strafrecht sind unverzichtbar.

Weiterbildung

iurratio: Was würden Sie Bewerbern raten, die sich für eine Karriere im Strafrecht interessieren? Welche Schwerpunkte sollten sie bei ihrer Ausbildung setzen, auf welche fachübergreifenden Fähigkeiten Wert legen?

Dr. Jonas Hennig: Der Schwerpunkt Kriminologie ist sinnvoll, aber nicht zwingend. Rhetorische Fähigkeiten in Schrift und Wort sollten früh geschult werden. Wer die Möglichkeit hat, aussagepsychologische Kenntnisse zu erwerben, sollte dies nutzen. Im Wirtschaftsstrafrecht können zudem Kenntnisse im Gesellschaftsrecht oder anderen Gebieten des Wirtschaftsrechts von Vorteil sein. Für eine Verteidigung in Steuerstrafverfahren sind steuerrechtliche Kenntnisse unverzichtbar.

iurratio: Wie kann man sich Ihrer Meinung nach schon im Referendariat am besten auf eine Tätigkeit als Strafverteidiger vorbereiten?

Dr. Jonas Hennig: Indem man sowohl die Wahl- als auch die Anwaltsstation beim einem Strafverteidiger/einer Strafverteidigerin oder eine strafrechtlichen Boutique ableistet.

iurratio: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das Erlangen eines Fachanwaltstitels im Strafrecht?

Dr. Jonas Hennig: Heute ist das sehr wichtig. Unsere Associates, die direkt nach dem zweiten Staatsexamen bei uns einsteigen, beginnen unmittelbar mit dem Fachanwaltskurs, der vollständig von der Kanzlei finanziert wird.

iurratio: Welche Weiterbildungsmöglichkeiten gewährt Ihre Kanzlei?

Dr. Jonas Hennig: Wir fördern berufsbegleitende Promotionen im Strafrecht durch Teilzeitmodelle und übernehmen alle unmittelbaren und mittelbaren Kosten für den Fachanwaltstitel. Zudem besuchen wir als Team mindestens drei mehrtägige Fortbildungsveranstaltungen im Jahr. Für diesen Herbst ist auch ein Seminar auf Mallorca mit dabei. Die Kanzlei zahlt sämtliche Fortbildungen einschließlich der Reisekosten. Zudem bieten wir für Promotionsprojekte die Möglichkeit des Sabbaticals an.

iurratio: Welche Zukunftsaussichten sehen Sie für Berufseinsteiger im Bereich des Strafrechts?

Dr. Jonas Hennig: Sehr gute! Ich glaube allerdings, dass das Konzept des Einzelkämpfers, das sich bisher ausschließlich im Strafrecht mit Erfolg halten konnte, nicht zukunftsfähig ist.

iurratio: Können Sie sich an ein herausragendes Ereignis in Ihrer bisherigen Laufbahn als Strafverteidiger erinnern und würden Sie uns von diesem berichten?

Dr. Jonas Hennig: Es sind zahlreiche Momente, die in ihrer Gesamtheit ein Bild aus vielen bunten Mosaiken ergeben. Erfolge, Rückschläge tragische und manchmal sogar komische Begebenheiten. Oft sind es Verfahren, die weder medial noch wirtschaftlich eine besondere Bedeutung haben und dennoch im Gedächtnis bleiben. Ein Mosaikstein, der mir spontan einfällt, ist eine 13-tägige Hauptverhandlung zu einer eskalierten Weihnachtsfeier, an deren Ende ich ein langes Freispruchplädoyer gehalten habe. Bis heute bin ich von der Unschuld des Mandanten überzeugt, aber meine Prognose war, dass das Gericht verurteilen wird. Die Staatsanwaltschaft hatte eine langjährige Haftstrafe gefordert. Die eigene Überraschung über das Ergebnis – es war ein Freispruch – und die Erleichterung und Dankbarkeit des Mandanten und seiner Frau werde ich nie vergessen.

iurratio: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Herr Dr. Hennig!

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