Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Ich bin Jonas. Ich liebe meinen Beruf und wusste in der neunten Klasse nach einem Schülerpraktikum bei der Polizei, in dessen Rahmen wir eine strafrechtliche Gerichtsverhandlung besucht haben, „das ist es“, „das willst Du mal machen“: Strafverteidigung.
Der Reiz ist für mich Menschen zu helfen, die an der Wand stehen, egal ob schuldig oder unschuldig. Ohne effektive Strafverteidigung gibt es keinen Machtausgleich und damit kein faires Verfahren. Das spornt mich an. Im Strafrecht spielt das ganze Leben. Mit all seiner Tragik, Schönheit und seinen Brüchen und unauflösbaren Widersprüchen.
Auch wenn ich meinen Beruf mit großer Passion betreibe, gibt es auch andere Säulen in meinem Leben. Zuvorderst meine Familie; meine Tochter ist etwas über ein Jahr alt und es ist großartig sie wachsen zu sehen. Ich liebe es zu reisen. Afrika ist der Kontinent, der mich wahnsinnig begeistert. Und last but not least gute Weine, schöne Bars und Restaurants gehören für mich zum Lebensglück dazu.
Angenommen, wir möchten Sie als Strafverteidiger für uns mandatieren. Wie läuft das ab?
Sie rufen in der Kanzlei an oder schreiben eine Mail oder nutzen das Kontaktformular auf der Homepage. Sie bekommen dann schnell einen Termin für ein in der Regel digitales Erstgespräch. Sie müssten dazu sagen, dass Sie zu mir wollen, sonst könnten Sie auch bei meinen Kolleg*innen in der Kanzlei landen, womit Sie aber ebenso gut verteidigt wären. Meine Rechtsgebiete sind Korruption, Sexualstrafrecht (insb. Aussage gegen Aussage-Konstellationen) und das Medizinstrafrecht.
Wenn Ihr Fall nicht dazu gehört, muss die Sache schon sehr spannend sein, damit ich das annehme.
Was macht die Arbeit als Strafverteidiger für Sie besonders?
Die Arbeit mit Menschen. Das Leben schreibt so viele tragische, dramatische, manchmal auch witzige Geschichten. Niemand ist da so nah dran wie der/die Strafverteidiger*in.
Vor allem aber geht es um Machtausgleich. Der Beschuldigte in einem Strafverfahren sieht sich einem gigantischen, staatlichen Machtapparat ausgesetzt. Ein Verfahren kann nur dann fair sein, wenn eine Person zu hundert Prozent an seiner Seite steht, was nichts mit einer Billigung etwaiger Taten zu tun hat. Diesen Machtausgleich herbeizuführen und damit erst ein faires Verfahren zu gewährleisten, ist eine ehrenvolle und erfüllende Aufgabe für mich. Ohne effektive Strafverteidigung gibt es keinen Rechtsstaat.
Mich reizt auch die Aussagepsychologie. Der Zeuge ist ein so unheimlich überschätztes Beweismittel. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Aussagen und der menschlichen Erinnerungsfähigkeit fesselt mich immer wieder aufs Neue.
Die wichtigste Motivation ist die Freiheit. Für mich das höchste Gut. Für die Freiheit anderer zu kämpfen, ist eine große Verantwortung, aber die damit einhergehende Dankbarkeit unserer Mandant*innen ist unbezahlbar.
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H/T – Defensio Strafverteidiger
Gibt es Taten, bei denen Sie sich schwer tun/schwerer tun als bei anderen, den mutmaßlichen Täter/die mutmaßliche Täterin zu verteidigen? Wie ist es, wenn Sie wissen, dass die Person die Tat begangen hat?
Moralisch nicht, denn es geht wie ausgeführt um die Sicherstellung eines fairen Verfahrens. Das ist meines Erachtens immer ein zutiefst moralisches und rechtsstaatliches Anliegen. Ich verteidige aber keine Menschen, die mir eine unsinnige Verteidigungsstrategie aufzwingen wollen, die keinen Erfolg haben wird.
Zur zweiten Frage: Ich weiß nicht, ob jemand die Tat begangen hat. Ich war nicht dabei. Und wäre ich dabei gewesen, würde ich das Mandat nicht annehmen. Sie meinen vermutlich die Situation, dass mir der/die Mandant*in sagt, er sei „es gewesen“ und ich soll ihn dennoch auf Freispruch oder Einstellung mangels Tatverdacht verteidigen.
Zunächst einmal ist das selten. In der Regel ist es so, dass der/die Mandant*in im Innenverhältnis die Tat bestreitet und dann eine Verteidigung auf Einstellung mangels Tatverdacht bzw. Freispruch anvisiert wird. Oder aber er räumt die Tat ein und es ist auch nach Aktenlage sinnvoll eine Strafmaßverteidigung mit Geständnis umzusetzen.
Zum anderen heißt der Satz „ich war es“ noch lange nicht, dass tatsächlich ein strafbares Verhalten vorliegt. Das kann mitunter von komplexen tatsächlichen und vor allem rechtlichen Fragen abhängen.
Aber selbst wenn der/die Mandant*in im Innenverhältnis eine Tat eindeutig einräumt und die Aktenlage aber durchaus Freispruchschancen beinhaltet, habe ich damit kein Problem. Es ist nicht meine Aufgabe zu fragen, ob jemand etwas getan hat, sondern das bestmögliche Ergebnis für den/die Mandant*in zu erzielen. Nur so kann ich in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren meiner Aufgabe gerecht werden. Was sich in so einen Fall natürlich berufsrechtlich und auch moralisch verbietet, ist ein Lügenmärchen für den/die Mandant*in zu erfinden. Sowas hat aber ohnehin keinen Erfolg. Bei einer guten Verteidigung auf Freispruch, schweigt der/die Mandant*in in aller Regel. Und wenn es dann nicht für eine Verurteilung reicht, ist dass das richtige prozessuale Ergebnis. Damit kann ich gut leben unabhängig von dem, was der/die Mandant*in mir sagt. Niemand ist gezwungen, an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken!
Ich habe es übrigens nur einmal in all den Jahren vor Gericht erlebt, dass ein Mandant mir gegenüber eine Tat sehr deutlich eingeräumt hat, aber vor Gericht geschwiegen hat. Ergebnis war ein Freispruch.
Sie haben sich in einem früheren Interview für die Änderung/Abschaffung des Strafvollzugs ausgesprochen. Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern bzw. was sehen Sie als Alternative? Zum Interview
Meine Kollegin Franziska Mayer und ich haben 10 Thesen für eine Alternative zur jetzigen Form der Freiheitsstrafe anhand einer Auswertung aller aktuellen und relevanten kriminologischen Studien entworfen. Dies hier wiederzugeben, würde den Rahmen sprengen. Wir werde die Thesen noch 2023 veröffentlichen.
Im Kern geht es darum, dass wir als Gesellschaft und auch die Opfer von Straftaten ein vorrangiges Interesse haben, dass sich Straftaten nicht wiederholen. Einer der Kernstrafzwecke ist folgerichtig die Resozialisierung. Dieser Zweck wird zu Lasten von Täter*innen, Opfern, der Gesellschaft und auch den Steuerzahler*innen durch unsere jetzige Form des Strafvollzugs nicht nur nicht realisiert, sondern ins Gegenteil pervertiert. Menschen werden stigmatisiert, kriminalisiert und nehmen schwere seelische Schäden durch die jetzige Form des Strafvollzugs. In einfachen Worten: Wie will ich einem Menschen Eigenverantwortung für sein selbstbestimmtes, soziales Leben in der Mitte unserer Gesellschaft in der künstlichen Struktur eines Gefängnisses beibringen? Zelle, Frühstück, Hofgang, Einschluss. Kaum Therapie, kaum Sozialarbeiter*innen, kaum Arbeit. All das über Jahre. So geht es nicht. Wir brauchen mehr offenen Vollzug, vielmehr Angebote, die Simulation eines echten gesellschaftlichen Lebens, das die Menschen vorbereitet. In Skandinavien gibt es sehr erfolgreiche Modelle.
Die Ursachen für Delinquenz liegen zum großen Teil in der kindlichen Sozialisierung. Hinzu kommen Faktoren wie Impulskontrolle, die teils angelegt sind. Beides entzieht sich der menschlichen Kontrolle. Wenn man diese Faktoren ernst nimmt, kann man nicht ernsthaft daran festhalten, dass das jetzige Wegsperren sinnvoll oder gerecht ist.
Das klassische Konzept der Freiheitsstrafe ist vollkommen aus der Zeit gefallen, widerspricht allen kriminologischen Erkenntnissen und ist mit einem humanistischen Menschenbild nicht vereinbar. In 100 Jahren werden die Menschen über diese Form der Strafe sprechen, wie wir es heute über die Folter tun.
Übrigens werden die anderen Strafzwecke wie Abschreckung (negative Spezial- und Generalprävention) in den meisten Deliktsfeldern nachweislich ebenfalls nicht durch die gesetzliche Androhung von Freiheitsstrafen realisiert.
Obwohl heute jeder weiß, dass es kein sinnvoller Weg der Erziehung ist, Kinder zum Hausarrest einzusperren, hat es sich bisher nur in der Wissenschaft rumgesprochen, dass das auch bei Erwachsenen nicht funktioniert.
Ich will nicht missverstanden werden. Wir brauchen Reaktionen auf Regelverstöße, aber diese sollten – nicht zuletzt im Sinne der Opfer – in einer humanistischen Gesellschaft nicht auf Vergeltung gerichtet sein, sondern dafür Sorge tragen, dass sich das Fehlverhalten nicht wiederholt.
Klar ist übrigens, dass die Gesellschaft vor gefährlichen Menschen geschützt werden muss. Das hat aber nichts mit Strafe zu tun, sondern mit dem Institut der Sicherungsverwahrung. Das ist ein anderes Thema.
Welcher Ihrer Fälle ist bei Ihnen am meisten hängen geblieben? Was hat den Fall so besonders gemacht?
Ich habe einen Mandanten über sieben Jahre begleitet. Das Verfahren stammte aus meiner Anfangszeit als Anwalt. Dem Mandanten wurde eine schwere Körperverletzung vorgeworfen. Das Opfer war in der Tat für den Rest seines Lebens ein Pflegefall. Sehr tragisch!
Mein Mandant, der an jenem denkwürdigen Abend selbst Opfer von Angriffen geworden ist, hat den Vorwurf immer bestritten und ich bin heute von seiner Unschuld überzeugt. In diesem Verfahren stand ich sehr unter Druck. Es ging um die Frage, ob das Opfer in einem wirren Geschehen mit vielen Personen von einem Balkon gestürzt ist oder von meinem Mandanten geworfen wurde. In der ersten Instanz haben wir 13 Tage am Amtsgericht verhandelt. Die Staatsanwaltschaft forderte 3,5 Jahre. Es gab einen hart erkämpften Freispruch. In der zweiten Instanz hat es fast genauso lange gedauert. Am Ende beantragte diesmal auch die Staatsanwaltschaft einen Freispruch, der es dann auch geworden ist. Die Rechtskraft dieses Freispruchs war nicht nur für den Mandanten, sondern auch für mich eine Erlösung. In sieben gemeinsamen Jahren sind wir zu einer Art Schicksalsgemeinschaft geworden. Beide sind wir in dieser Zeit Vater geworden.
Vielen Dank für die Zeit und das Interview, Herr Dr. Hennig!
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