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Sozialrecht: Interview mit Dr. Peter Krause (VOELKER & Partner)

Herr Dr. Krause von VOELKER & Partner teilt im Rahmen unserer Interviewreihe "Berufsspecials" seine Erfahrungen aus dem Gebiet des Rechts der Sozialunternehmen und geht dabei auf die Perspektiven und Anforderungen des Bereichs ein.

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Ich sehe hervorragende Zukunftsaussichten, da man sich hier eben nicht mit vielen anderen Mitbewerbern messen muss

Rechtsanwalt Dr. Peter Krause

Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?

Meine Name ist Dr. Peter Krause. Als Gesellschafter der Sozietät VOELKER & Partner verantworte ich an unserem Hauptsitz in Reutlingen das Referat Sozial- bzw. Non-Profit-Unternehmen. Ich bin 52 Jahre alt und bin erst nach einer klassischen Banklehre und einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung zum Jurastudium und Referendariat nach Tübingen gekommen. In Tübingen und in Heidelberg habe ich – neben der bereits 2004 begonnenen anwaltlichen Tätigkeit – noch promoviert – in dem vielleicht bis heute noch ungewöhnlichen Bereich des Sportrechts. Seit 2006 beschäftige ich mich im Schwerpunkt mit der Sozialbranche und ihren Unternehmen. Ich bin zugleich Geschäftsführer des Verbands der Komplexeinrichtungen in der Eingliederungshilfe in Baden-Württemberg.

Wie würden Sie als Spezialist das Gebiet des Rechts der Sozialunternehmen beschreiben? Welche Bereiche lassen sich dazu zählen?

Wer in diesem Gebiet als anwaltlicher Berater arbeitet, hat täglich auf all die vielfältigen Fragen Antwort zu geben, die von den Geschäftsführungs- und Verwaltungsebenen jener Organisationen kommen, welche sich um junge wie auch ältere Menschen mit vielfältigen Unterstützungsbedarfen kümmern. Bei uns geht es also um branchenbezogene Rechtsberatung, die sich innerhalb des Gesellschafts-, Sozial-, Zivil- und Verwaltungsrechts bewegt. Zum einen steht das gemeinnützige Handeln der Unternehmen im Vordergrund und zum anderen die Belange von Klein- bis Großunternehmen mit über 8.000 Beschäftigten, welche Dienstleistungen in diesem Bereich erbringen, die vielfältig sind. 

Unsere Beratung beginnt im Organisationsbereich mit allen Fragen aus dem Bereich des Vereins- und Stiftungsrechts und dem Gemeinnützigkeitsrecht im Allgemeinen. Den zentralen Schwerpunkt der Beratung bildet aber das sogenannte Leistungsvertragsrecht, das in diversen Sozialgesetzbüchern geregelt ist. Wir begleiten unsere Mandanten, die sich mit ihren Angeboten sowohl in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Beeinträchtigungen, in der ambulanten und stationären Pflege als auch in der Kinder- und Jugendhilfe bewegen, sich jeweils an die aktuellen Vorgaben dieses Vertragsrechts anzupassen. Jedes Sozialgesetzbuch setzt schließlich für diese Unternehmen voraus, dass sie – bevor sie mit ihren Angeboten an den Markt gehen – mit den für die Sicherstellung bedarfsgerechter Angebote und deren Refinanzierung zuständigen staatlichen Institutionen erst einmal entsprechende Verträge aushandeln und schließen. Der Gesetzgeber wird gerade in der Sozialbranche nicht müde, die Vorgaben hierfür zu ändern oder anzupassen. Die größte Herausforderung stellt dabei derzeit das Bundesteilhabegesetz dar – ein Reformwerk, mit dem er die jahrzehntealte Eingliederungshilfe, also das Leistungssystem für Menschen mit Behinderungen, komplett reformiert hat – mit gewaltigen Auswirkungen für die sog. leistungserbringenden Unternehmen. Neben dem Leistungsrecht beschäftigt den Berater in der Sozialbranche aber auch das Ordnungsrecht, mit dem der Gesetzgeber die zwischen den Unternehmen und ihren Klienten geschlossenen privatrechtlichen Verträge überwacht.

Das Gebiet des Sozialrechts gehört nicht zu den klassischen Rechtsgebieten, die in der Juristenausbildung auftauchen. Wie haben Sie sich für diesen Bereich begeistern können?

Als ich mein Jurastudium abschloss, hatte ich – wie wohl die meisten Absolventen – die Vorstellung, dass sich die Praxis stets irgendwo zwischen jenen Themen bewegt, von denen man morgens bis abends in den Vorlesungen hört. Spezialisierung außerhalb eines klassischen Rechtsgebiets oder branchenbezogene Rechtsberatung – das waren bis dahin Begrifflichkeiten aus einer fremden Welt. Von meinem ursprünglichen Wunsch, einmal als Richter tätig zu sein, war ich spätestens im Referendariat abgekommen, hat mich doch das Gestalterische, das die Anwaltstätigkeit vielfach mit sich bringt, doch viel stärker in den Bann gezogen.

Die anwaltliche Tätigkeit brachte mich dann praktisch per Zufall in Berührung mit der Sozialbranche, in der mich schnell begeisterte, dass es auch eine Welt gibt, die nicht ausschließlich von Umsätzen und Gewinnmaximierung getrieben ist. Dort traf ich und treffe ich bis heute auf engagierte Menschen, die sich mit den von ihnen betriebenen Angeboten dem Wohl von Benachteiligten verschrieben haben. Und gerade diese Menschen legen einem ganz komplexe Rechtsfragen auf den Tisch und wünschen Begleitung bei der Umsetzung neuer Hilfsideen und deren Refinanzierung.

Womit müssen Jurist:innen an einem typischen Arbeitstag in diesem Bereich rechnen?

Der typische Arbeitsalltag besteht daraus, dass es einen solchen nicht gibt. Es kann sein, dass Sie morgens angerufen werden wegen Fragen zum Unterbringungsrecht bei Menschen mit schweren Verhaltensauffälligkeiten, am Mittag erfahren, dass ihre seit drei Monaten mit einem staatlichen Kostenträger laufenden Verhandlungen über eine Vergütungsvereinbarung gestern für gescheitert erklärt wurden und ihr Mandant gleich morgen einen Schiedsstellenantrag eingereicht wissen will und sie abends noch zu einer Verwaltungsratssitzung dürfen, da man dort kurzfristig über das Thema der Vorstandshaftung beraten will. Sie verbringen aber auch viel Zeit mit Vertragsgestaltung im Bereich des Sozialrechts und mit dem Bemühen, dass zu verstehen, was sich der Gesetzgeber mit einem gerade wieder beschlossenen Änderungsgesetz im betroffenen Bereich eigentlich gedacht hat. 

Welche Erwartungen hat die praktische Arbeit in der Sozialbranche an ihre Berater? Was sind dabei aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

Die Sozialbranche und die Sozialgesetzbücher gehören zu jenem Bereich des Rechts, in dem der Gesetzgeber mit der höchsten Taktung an Änderungen und Novellierungen arbeitet. Das für den typischen Juristen in seinem Rechtsgebiet üblicherweise beruhigende Gefühl, zu wissen, wo die Dinge geregelt sind und was dort in etwa steht, wird in dieser Branche immer wieder auf die Probe gestellt. Meist gibt es keine Fortbildungen in diesem Bereich, weshalb Sie schlicht auf das Selbststudium und die Regellektüre namens Gesetzesbegründung angewiesen sind. Fachanwaltslehrgänge kennt unser Beratungsbereich nicht. Das hält einen aber auch beweglich. 

Man darf unsere Tätigkeit nicht mit jener der klassischen Anwälte im Sozialrecht verwechseln, die täglich Betroffene bei der Wahrnehmung ihrer Rechte etwa im Bereich des Existenzminimums, unterstützen. Für diese Kollegen gibt es eine Vielzahl, wenn nicht gar Flut an Fachanwalts- und Themenlehrgängen. Wir hingegen sind Berater jener Unternehmen, die für diese Betroffenen Dienstleistungen erbringen. Deren rechtlichen Belange spielen in den klassischen Fachanwaltslehrgängen bis heute leider keine Rolle.

Als besonders herausfordernd – und das spiegeln mir die jüngeren Kolleginnen und Kollegen immer wieder – ist die hohe Komplexität der Fälle, in denen eben unterschiedlichste Rechtsgebiete aufeinander Einfluss nehmen und sie bemüht sein müssen, die Wirkungen des einen Rechtsbereichs auf die anderen Rechtsgebiete in dem Fall ausreichend zu überblicken. 

Die Praxis – und dazu zählen zuallererst ihre Mandanten – hat zudem die Erwartung an Sie, möglichst schnell eine Lösung mit den Behörden zu finden und eine für alle möglichst praktikable Lösung zu gestalten. Das verlangt, dass sie mit Menschen, mit behördlichen Perspektiven und den sich daraus ergebenden Konflikten umgehen können. Am Ende gilt jener als guter Berater, der ein Ergebnis erzielt hat und nicht jener, der sich ständig in die Instanzenzüge bei Gericht begibt. In der Sozialbranche herrscht ein hoher Zeitdruck, weil es Menschen zu versorgen gilt, für deren Unterstützungsangebote es meist schnelle Lösungen braucht. Flexibilität und Pragmatismus – das sind zwei Eigenschaften, die Berater in dieser Branche ausmachen.

Was sind Ihrer Meinung nach die aktuell spannendsten Fragen im Sozialrecht? 

Die spannendsten Fragen sind immer jene Themen, an denen der Gesetzgeber gerade arbeitet, und auf deren Regelung ihre Mandanten für ihren Hilfebereich dringend warten – vielleicht auch, weil sie von den Mandanten selbst schon vor längerer Zeit gebeten worden waren, beim zuständigen Ministerium in Berlin vorstellig zu werden, um den Handlungsbedarf zu beschreiben. Dann kommt irgendwann ein neuer Regelungskomplex ins Gesetz und ihre Mandanten wollen sofort an die Umsetzung gehen. Dann sind die neuen Regelungen meist stark auslegungsbedürftig. Es liegen noch keine Kommentare und Entscheidungen vor. Genau hier arbeiten Sie ausschließlich wieder mit den Grundfertigkeiten, die man einem hoffentlich an der Universität beigebracht hat.

Erwarten Sie bei VOELKER von Anfang an eine Spezialisierung in Ihrem Rechtsgebiet? Oder findet hier auch ein „training on the job“ im Sinne eines Heranführens von kleinen zu großen Aufgaben und an die Besonderheiten des Gebiets statt?

Wenn es in einem solchen Rechtsbereich praktisch keine Lehrbücher gibt, wäre es vermessen, von Berufsanfängern eine Spezialisierung zu verlangen. Wir wollen, dass unsere Berufsanfänger die Branche vom ersten Tag an in ihrer ganzen Komplexität kennenlernen. Dabei bearbeiten sie dann Stück für Stück immer mehr Teilbereiche daraus. In der Regel benötigen junge Kolleginnen und Kollegen rd. drei Jahre, um größere Mandate erstmals selbst führen zu können. Und diese Mandanten werden sie meist für viele Jahre begleiten.  

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Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsbereich vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber:innen hier einstellen?

Die bedeutendste Fähigkeit, die man mitbringen sollte, ist die Bereitschaft, sich aus dem Stand in gesetzliche Regelungen einzuarbeiten, mit denen man mit ganz großer Sicherheit im Studium noch nie etwas zu tun hatte. Ich kann das nur jedem anwaltlichen Berufsanfänger – ganz unabhängig von unserem Rechtsgebiet – raten: Machen Sie sich von der Vorstellung frei, dass das Studium die Realität abbildet und man immer das nachher täte, was einem im Hörsaal begegnet ist. Wir in unserem Rechtsbereich wissen bei unseren Bewerbern eine gute universitäre Grundausbildung zu schätzen, mit der Handwerkszeug und die Fähigkeit, strukturiert zu denken, vermittelt wurde. Das kann in einer Universität aber immer nur am klassischen Beispiel erfolgen und im Reinraum. Die schnellste Entwicklung machen bei uns meist jene Personen, die ohne starre Vorfestlegung auf ein Rechtsgebiet bei uns ankommen, aber Mut und Offenheit für die Fälle haben, die diese Branche uns bringt. 

Welche Zukunftsaussichten sehen Sie für Berufseinsteiger:innen in diesem Rechtsgebiet?

Ich sehe hervorragende Zukunftsaussichten, da man sich hier eben nicht mit vielen anderen Mitbewerbern messen muss – da es eben ein Nischenthema ist. 

Welchen Ratschlag würden Sie an diesem Rechtsgebiet interessierten Nachwuchsjurist:innen mit auf den Weg geben? Welche Schwerpunkte sollten sie bei ihrer Ausbildung setzen? 

Auch wenn es zum Teil eine Plackerei ist: Legen Sie sich in Ihren Interessen nicht zu früh fest, nehmen Sie so viel an Rechtsgebieten und Grundkenntnissen mit wie möglich. Schärfen Sie Ihren Blick für die Vielfalt der Rechtswelt und der Realität. Sie werden alles später irgendwie gebrauchen können – jedenfalls in der Sozialbranche.

Vielen Dank für das Interview und die Zeit, Herr Dr. Krause!


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