Wer sich im Gegensatz zu mir schon Volljurist/in nennen darf, weiß, was es bedeutet, zwei juristische Staatsexamen in Bayern absolviert zu haben. Das ist nicht unbedingt ein Spaziergang. Es ist zeitaufwendig, erfordert Disziplin und Durchhaltevermögen. Das Referendariat ist schon ein Vollzeitjob. Denn – was viele Außenstehende nicht sehen – es gehören nicht nur die AG Zeiten und Sitzungstage dazu, sondern auch extrem viel Zeit am Schreibtisch.
Klausuren vorbereiten, AG nacharbeiten, lernen, Urteile oder Schriftsätze für die praktische Ausbildungsstation fertigen. Bleibt also unter dem Strich nicht viel freie Zeit, auch wenn gerade mal „nur“ zwei Tage AG in der Woche anstehen. Und dabei ist das enorm wichtige wiederholen des Stoffes noch nicht einmal eingeplant.
Wer ich bin
Bei mir beschränkt sich meine Zeit am Schreibtisch auf AG-freie Tage oder Abende. Denn die Nachmittage und das Wochenende gehören meinen Kindern!
Ich bin Marina, 26 Jahre, verheiratet, Rechtsreferendarin in Bayern und Mutter von drei Kindern. Wenn ich das erzähle, kommen oft erst einmal staunende Blicke. Denn in meinem Alter und mitten in der Ausbildung Mutter zu werden bzw. zu sein ist immer noch eine Ausnahme. Das liegt meiner Ansicht nach auch daran, dass das Referendariat zu starr geregelt ist.
Ein Kind während des Jurastudiums
Im Studium sieht das Ganze da schon wesentlich besser aus. Ein Kind während des Jurastudiums: Meinen großen Sohn habe ich in den Semesterferien zwischen dem fünften und sechsten Semester bekommen. Ein absolut geplantes Wunschkind. Mitten im Studium, im Jurastudium. Ich bekam wenig Verständnis von außen. Wie ich mir das denn vorstelle? Ob das so geplant war? Ob ich mir das auch gut überlegt hätte?
Ja, es war eine gründliche Überlegung und vorangegangene Recherche, Gespräche beim Studentenwerk wie es mit der Kinderbetreuung laufen könnte, welche finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten es gibt und was im Hinblick auf Prüfungsordnungen zu beachten ist, bis die Entscheidung wirklich stand, während des Studiums ein Kind zu bekommen.
Ich ließ mir von Anfang an für mich selbst die Option offen, ein Urlaubssemester einzulegen oder nicht. Letztendlich habe ich mein Studium ohne Pause in der Regelstudienzeit von neun Semestern an der Uni Augsburg beendet. Mit einem kleinen Prädikat im ersten Examen! Befriedigend. Das habe ich zusammen mit meinem Mann ohne Unterstützung von Eltern, Schwiegereltern oder Großeltern geschafft.
Teamwork entscheidend
Im ersten Jahr haben mein Mann und ich uns die Betreuung unseres Sohnes aufgeteilt, was problemlos möglich war, da im Studium keine Anwesenheitspflicht herrscht. Auf die noch fehlenden Klausuren konnte ich zuhause lernen, Hausarbeiten hatte ich fast alle schon geschrieben. Mein Seminar habe ich am Tag vor unserer Hochzeit gehabt. Ab dem zweiten Lebensjahr war unser Sohn vormittags in der Krippe der Universität.
Ich ging an drei Vormittagen ins Repetitorium, an den anderen beiden Vormittagen war ich in meinem Nebenjob arbeiten. Gelernt wurde abends. Klausuren habe ich oft bis nachts geschrieben. Das alles funktionierte über ein Jahr ganz gut.
Das Referendariat mit Kind
Ich habe meine fünfmonatige Zivilstation am Amtsgericht Augsburg und die dreimonatige Strafstation beim Strafrichter absolviert. Der AG Leiter und die Ausbilder hatten Verständnis für meine familiäre Situation. So musste ich spätestens um 15.30 Uhr aus der Sitzung um rechtzeitig meinen Sohn aus dem Kindergarten abzuholen, was immer möglich war. AGs, welche am Nachmittag stattfanden, konnten meist getauscht werden, so dass ich diesbezüglich selten Probleme hatte. Referendariat und Kind ließ sich bis dahin gut miteinander vereinbaren.
Weitere Familienplanung während des Referendariats
Meinem Mann und mir war klar, dass wir ein weiteres Kind während meines Referendariats wollten. Der Plan war, so früh wie möglich nach Beginn des Referendariats wieder auszusteigen, um dann am Ende „aus dem Gröbsten raus zu sein“ und sich auf das Lernen konzentrieren zu können und um während der Elternzeit, die ich während des Referendariats unbedingt nehmen wollte, nicht allzu viel zu vergessen.
Während der viermonatigen Verwaltungsstation mit integriertem Steuerrechtslehrgang wurde ich dann schwanger. Mit Zwillingen.
Ich hatte in den ersten Wochen extrem mit Müdigkeit und Übelkeit zu kämpfen. Teilweise habe ich mich trotzdem in die AG geschleppt, Klausuren geschrieben, war bei den Praxisausbildern. An Tagen, an denen es gar nicht ging, habe ich mich krankschreiben lassen.
Rechnerisch war klar, dass ich ich die Verwaltungsstation und die Hälfte der Anwaltsstation noch vor der Entbindung absolvieren würde. Unser Plan war, dass ich die eigentlich für November 2017 vorgesehen Examensklausuren dann ein Jahr später schreiben würde.
Aufgrund einer Risikoschwangerschaft und Komplikationen erhielt ich jedoch von meiner Ärztin bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche ein Beschäftigungsverbot. Somit war klar, dass aus meiner geplanten einjährigen Auszeit 1,5 Jahre werden würden.
Ich habe letztendlich von Mitte März 2017 bis September 2018 ausgesetzt und im Oktober 2018 zur Anwaltsstation wieder begonnen. Die 22 fehlenden Tage aus der Verwaltungsstation wurden mir vom OLG erlassen.
In diesen 1,5 Jahren habe ich mich nicht mit Jura befasst, keine Ergänzungslieferungen bezogen, keine Unterlagen angesehen, keine Prüfungsschemata wiederholt, keine Rechtsprechungsänderung verfolgt.
Lediglich in den letzten paar Wochen habe ich die Vormittage, in denen die Zwillinge nach erfolgreicher Eingewöhnung in der Krippe verbracht haben, zum Wiederholen genutzt. Ansonsten belege ich hin und wieder zum Wiederholen und Anschluss finden teure, mehr oder weniger gute, Wochenend-Kurse.
Vorstellungsgespräch mit zwei Babys
Direkt an meinem ersten Tag nach der Elternzeit war ich bei meinem Anwalt. Die Suche nach einer Kanzlei, die mich ausbilden wollte, war nicht ganz einfach, da ich mit meinen Bewerbungen verhältnismäßig spät dran war. Das lag daran, dass ich erst eine Zusage der Krippe abwarten wollte, um die Kinderbetreuung der Zwillinge sicherstellen zu können. „Der Große“ war gut im Kindergarten untergebracht.
In einer Kanzlei für Familienrecht wurde ich nach Schilderung meiner Situation kurzerhand recht spontan zum Bewerbungsgespräch eingeladen. So kurzfristig jemanden für die Kinderbetreuung zu finden war kaum möglich. Der Anwalt sah darin kein Hindernis und so verblieben wir, dass ich die Zwillinge einfach mitbringen sollte.
Die Kanzlei befindet sich im 4. OG. Zwar ist im Gebäude ein Aufzug vorhanden, aber dieser ist nicht groß genug für ein Zwillingskinderwagen. Aber auch solche Situationen bin ich mittlerweile gewohnt.
Das Gespräch selbst war kurz und gut. Mit zwei Babys ist ein ausführliches Bewerbungsgespräch auch nicht möglich. Aber das war sowohl meinem Anwalt, selbst Vater von zwei Kindern, als auch mir, vorher bewusst. Der Anwalt ging mit mir meinen Lebenslauf und meine Zeugnisse durch, gratulierte mit zu meinem Organisationstalent, meinen Leistungen bisher und erteilte mir eine Zusage.
Die Anwaltsstation mit drei Kindern
Bis heute haben wir keine festen Zeiten, an denen ich in der Kanzlei bin. Termine vereinbaren wir, wie es mir möglich ist. Akten hole ich ab und bearbeite sie von zu Hause aus. Von der Seite aus habe ich keine Probleme.
Die Zwillinge habe ich bei „Schließtagen“ oder Erkältung auch schon mit in die Kanzlei genommen, wenn ich nur Akten holen oder bringen musste.
Meine geplante Wahlstation
Auch eine Stelle für meine Wahlstation habe ich bereits. Diese werde ich bei einer Juristin bei der Regierung von Schwaben absolvieren.
Sie ist selbst Mutter von zwei Kindern. Bei ihr habe ich neben einem Teil der Verwaltungsstation bereits ein Praktikum während des Studiums absolviert, als ich noch keine Gedanken an eigene Kinder hatte. Sie hat mir damals von einer Bekannten erzählt, die während des Studiums Mutter wurde. Da- im zweiten Semester- habe ich mich das erste Mal mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dass das eine realistische Möglichkeit ist.
Mit meiner Ausbilderin habe ich auch schon meinen Urlaub geplant.
Denn mit Urlaubstagen muss gut kalkuliert werden, wenn allein im Sommer wegen unterschiedlicher Ferien fünf Wochen ohne Krippe und Kindergarten überbrückt werden müssen. Was für mich zu Beginn des Referendariats noch Überwindung gekostet hat, bereits am ersten Arbeitstag über Urlaub zu sprechen, ist mittlerweile selbstverständlich. Denn so kann nicht nur ich planen, sondern auch mein Ausbilder.
Mein Mann hat schon Urlaub für eine Pfingstferienwoche eingereicht, da der Kindergarten geschlossen hat. Ich schreibe in dieser Zeit mein Examen.
An den anderen sechs Tagen werde ich wie gewohnt die Kinder in der Früh fertig machen und in Kindergarten und Krippe bringen und dann Examen schreiben. Das hat im ersten Examen schon gut funktioniert.
Erst abends, wenn alle Kinder gegen 20 Uhr im Bett sind, geht es für mich wieder an den Schreibtisch. Bis 23 Uhr. Vielen mögen die drei Stunden recht kurz erscheinen. Meine Kollegen und Kolleginnen verbringen oft sechs oder sieben Stunden in der Bibliothek.
Volle AG Pläne in der Anwaltsstation
Allerdings weiß ich, dass ich nicht beliebig viel Zeit habe und meine knappe Lernzeit nutzen muss. Keine Kaffeepausen, Handy weg. Denn drei Stunden sind wirklich schnell um. Gut, dass es immer wieder mal
Tage ohne AG oder Station gibt. Gut, dass diese Tage zum Ende hin immer mehr werden. So kann ich meine langen Lerntage auch in der Bibliothek verbringen und schaffe es auch hin und wieder, Stoff mit den mühsam geschriebenen Karteikarten zu wiederholen.
Der AG Plan hingegen stellt mich mittlerweile vor größere Probleme.
Immer mehr AGs finden am Nachmittag statt, es gibt keine Möglichkeit zum Tauschen, Termine werden erst sehr kurzfristig bekannt gegeben oder geändert. Das sorgt für zusätzlichen Stress. Bisher haben wir aber immer eine Lösung gefunden. Gott sei Dank ist mein Mann in solchen Situationen dann einigermaßen flexibel und kann die Kinder abholen.
Vereinfachen würde es das Ganze, wenn man AGs nur vormittags abhalten würde oder zumindest nachmittags von einer Anwesenheitspflicht absehen würde. Home Office ist mittlerweile schon in den meisten Kanzleien angekommen. Nur im Referendariat steht das nicht zur Debatte.
Ich bin nicht die Einzige in unserem Kurs mit Kind(ern). Alle Eltern stehen vor diesem Problem mit Kinderbetreuungszeiten, die sich schlecht mit dem Referendariat vereinbaren lassen. Nur sind die meisten meiner Kollegen und Kolleginnen in der glücklichen Lage, auf ihre Eltern oder Schwiegereltern als zusätzliche Betreuungspersonen zurückgreifen zu können.
Das gleiche betrifft die Zeit, in denen die Kinder krank sind. Wenn ich selbst krank bin, genügt eine kurze Mail. Ist hingegen eines meiner Kinder krank, benötige ich dafür ein ärztliches Attest. Das ist meist sehr mühsam.
Strukturierte Tage und lange Abende
Durch den aktuell sehr vollen AG Plan komme ich kaum mit dem Nacharbeiten hinterher, worüber sich aber auch meine kinderlosen Kollegen und Kolleginnen beklagen. Die Berge an Unterlagen werden höher, die Abende länger und somit die Nächte kürzer.
Da man ein solches Pensum aber nicht über mehrere Monate durchhalten kann, setze ich mir mein Limit abends aktuell auf 23 Uhr. Denn bevor ich am nächsten Tag in die AG gehe, müssen in der Früh erst drei Kinder versorgt werden. Anziehen, Frühstück richten, Brotzeit richten, den Großen in den Kindergarten bringen, die Zwillinge in die Krippe. Und trotzdem bin ich meistens eine der Ersten morgens in der AG. Erstens komme ich nicht gerne auf den letzten Drücker oder gar zu spät. Zweitens kann ich dann noch vor Beginn selbst in Ruhe frühstücken oder den ein oder anderen Sachverhalt nochmal überfliegen, falls es abends doch nicht mehr ganz gereicht hat. Außerdem habe ich dann einen kurzen Augenblick, um mit dem „Mama-Sein“ abzuschalten und mich auf das „Juristin-Sein“ einzustellen.
Die Zeit nach der AG nutze ich meist für Einkaufen und Haushalt, bevor ich um 14 Uhr die Kinder wieder abhole. An Praxistagen wird das unter Umständen auch später.
Ab da heißt es wieder Spielplatz, malen oder basteln, Handballtraining mit dem Großen, Verabredungen zum Spielen.
Wenn man meine Klausuren nach der Elternzeit betrachtet, ist mir der Wiedereinstieg gar nicht so schlecht gelungen würde ich sagen. Die größte Schwierigkeit lag meiner Meinung nach weniger im „Wissen“.
Denn nach kurzem Wiederholen habe ich viele gängige Probleme, bekannte Sachverhalte etc. wieder gekannt. Ich hatte mehr Schwierigkeiten mit dem „juristischen Handwerkszeug“ im 2. Staatsexamen:
Standard-Formulierungen für die Klausuren, Klausurtaktik, Arbeiten am Fall, Zeitmanagement währen der Klausur, Arbeiten mit dem Kommentar.
In all das musste ich mich erst wieder rein finden. Dank der kurz nach meinem Einstieg stattfindenden Intensiv-Klausuren-Woche mit fünf Klausuren in fünf Tagen habe ich aber zahlreiche Möglichkeiten zum
Üben bekommen. Und ich hatte tatsächlich wieder richtig Freude am juristischen Arbeiten. Ich hoffe, dass diese Freude mir mindestens bis zum Examen erhalten bleibt und mich motiviert.
Zukunftspläne
Ich bin so realistisch, nicht mit einem großen Prädikat aus dem zweiten Examen zu kommen und in einer Großkanzlei arbeiten zu können.
Das waren aber auch nie meine Absichten. Spätestens seit der Entscheidung zum ersten Kind war das klar. Natürlich werden meine Kinder in Kindertageseinrichtungen fremd betreut. Aber ich möchte nicht, dass meine Kinder in der Früh die ersten und abends die letzten sind. Weder jetzt im Referendariat noch später im Arbeitsleben.
Die Nachmittage gehören meiner Familie. Eine Vollzeitstelle mit langem Arbeitsweg kommt für mich nicht in Betracht.
Ich hoffe, bei den späteren Bewerbungen damit zu punkten, was ich bisher alles geleistet habe. Denn Referendariat mit Kindern erfordert neben Disziplin und Durchhaltevermögen auch gutes Zeitmanagement, Organisationstalent, die Fähigkeit schnell Entscheidungen zu treffen und belastbar zu sein.
Dank abgeschlossener Familienplanung falle ich bei meinem zukünftigen Arbeitgeber nicht mehr schwangerschaftsbedingt oder wegen Elternzeit aus. Und das kommt mir (traurigerweise) eventuell zu Gute.
Denn meiner Meinung nach muss man sich heutzutage nach wie vor entscheiden: Kind oder Karriere? Ich habe mich (erst mal) für meine Kinder entschieden. Natürlich mit guter Ausbildung und hoffentlich einem guten Job nach dem zweiten Examen. Und vielleicht starte ich meine Karriere mit 40. Während meine Kolleginnen ihr Kleinkinder aus der Krippe abholen und meine Kinder dann schon groß und selbstständig sind.