Richtig Jura lernen mit verschiedenen Lernkonzepten
I. Keine Details, sondern Zusammenhänge lernen
Wenn Sie eine Norm gedanklich erarbeiten, so lernen Sie sie bitte nicht nur auswendig, sondern stellen Sie sich die Frage, in welchem Zusammenhang die Norm steht und warum es sie überhaupt gibt. Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass kein einziges Wort in einer Norm überflüssig ist.
Und es gibt eine zweite Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine Norm wirklich einen Anwendungsbereich hat, auch dann, wenn Sie ihn vielleicht noch nicht begriffen haben. Diesen Anwendungsbereich, d.h. den Zusammenhang der Norm zu anderen Normen, müssen Sie versuchen herauszubekommen.
II. Denken Sie selbst
Die Fülle an Nachweisen und Meinungen verdeckt in der Jurisprudenz häufig die Tatsache, dass Sie meist bei eigenem Nachdenken auf die gleichen Ideen gekommen wären, die andere vor Ihnen schon hatten. Natürlich ist es richtig, auf das Vorwissen zurückzugreifen, aber es darf nicht dazu führen, dass Sie sich womöglich nicht mehr trauen, selbst zu denken.
Im Gegenteil: Versuchen Sie erst Ihre eigene Lösung zu finden, danach prüfen Sie, wie andere mit dem Problem umgegangen sind. Dadurch werden Sie nicht nur außerordentlich schnell und effizient, sondern vor allem selbstsicher im Umgang mit juristischen Lösungen.
III. Das Vorlesungskonzept
Vorschlag: Kernaussagen der Vorlesung auf Karteikarten mitschreiben, vorn die Frage, auf der Rückseite die Antwort. Und unbedingt Entscheidungshinweise mitschreiben. In den Vorlesungen werden regelmäßig wenige Entscheidungen zitiert. Diese sind dann fast immer grundlegend wichtig. Versuchen Sie sich die Zeit zu nehmen, diese Entscheidungen im Laufe des Tages nach der Vorlesung herauszusuchen, zu kopieren und am Nachmittag oder Abend zu lesen. Übertragen Sie auch diese Fälle in Ihre Datei in Kurzform.
Zuerst der knappe Sachverhalt, dann die knappe Lösung. Dadurch entsteht im Laufe der Zeit eine Sammlung ganz wichtiger zentraler Fälle, die Sie in kürzester Form wiederholen können. Darüber hinaus lernen Sie über praktische Fälle die Realität der Rechtsanwendung kennen und üben sich gleichzeitig im Erfassen komplexer Sachverhalte. Es ist nämlich nicht ganz einfach, aus den vielen Erwägungen, die ein Urteil regelmäßig begleiten, diejenigen herauszufiltern, die zentral für die Lösung eines Falles sind.
IV. Das Selbstlernkonzept
Vieles von dem, was Sie später können müssen, erarbeiten Sie sich selbst. Vorlesungen, Übungen und Seminare sind nur ein Teil Ihres Studiums. Sie brauchen also ein Selbstlernkonzept. Sie brauchen dieses Konzept möglichst früh, damit Sie überflüssige Wiederholungen vermeiden und Sie brauchen ein möglichst effizientes Konzept, weil Sie wenig Zeit haben. Schließlich sollte Ihr Leben nicht nur aus Juristerei bestehen.
Vorschlag: Karteikartensystem in Form von Fragen (vorn) und Antworten (hinten) – geht auch am Laptop!.
Grundgedanke: Lesen Sie nichts, ohne den Willen zu haben, den Kern dessen, was Sie lesen, zu notieren. Wenn Sie der Meinung sind, dass das, was Sie lesen, wichtig ist, so formulieren Sie eine Frage (diese schreiben Sie auf die Vorderseite Ihrer Karteikarten) und notieren Sie sodann die Antwort kurz auf die Rückseite.
Folge: Sie sind automatisch voll konzentriert, Sie wissen sofort, wann Sie wegen Müdigkeit aufhören sollten, weil Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, den Text zu erfassen; Sie denken selbst, d.h. Sie werden Teil der Materie, die Sie durcharbeiten; Sie können sich leicht in Zukunft selbst abfragen, ebenso wie Sie sich leicht abfragen lassen können; und: Sie können den Erfolg ihrer Tätigkeit quantifizieren. Hinweis: Karteikartengeordnetes Wissen kann man auch kaufen.
Es gibt sehr gute Systeme, und ich würde Ihnen auf keinen Fall abraten, sich mit ihnen vertraut zu machen. Wichtig ist aber, dass diese Systeme Ihr eigenes, von Ihnen selbst erarbeitetes Karteikartensystem zwar ergänzen, nicht aber ersetzen können.
Und ein letzter Hinweis: Arbeiten Sie so früh es geht mit anderen zusammen. Bilden Sie Arbeitsgruppen aus mindestens zwei bis höchsten fünf Personen. Treffen Sie sich pro Woche etwa zweimal für etwa zwei Stunden. Legen Sie vorher fest, in welchen Bereichen Sie arbeiten wollen und benutzen Sie ihre Karteikarten, um sich gegenseitig abzufragen. Diskutieren Sie Fragen nur kurz und knapp, so dass Sie Ihr Arbeitsprogramm wirklich schaffen.
Versuchen Sie sich dabei vorzustellen, Sie würden eine Arbeitssitzung eines Seminars leiten. Sie disziplinieren sich auf diese Weise, werden beim Erfassen der wesentlichen Fragen eines Problems schnell und sicher und vor allem: Sie haben noch genügend Zeit zum ausgiebigen Kaffeetrinken. Notieren Sie sich diejenigen Fragen, die sie während der Arbeitssitzung nicht beantworten konnten; lösen Sie sie am nächsten Tag und erfassen Sie sie in Ihrem Karteisystem.
V. Schauen Sie über den Tellerrand
Rechtswissenschaft beschäftigt sich im Wesentlichen mit den tragenden Spielregeln zwischen uns Menschen. Außerordentlich viele juristische Probleme entstehen in Lebensbereichen, die der Rechtswissenschaft vorgelagert sind. Über die in diesen Lebensbereichen die Menschen leitenden Hintergründe gibt Ihnen die Rechtswissenschaft selten Auskunft.
Warum und wie Konflikte zwischen Menschen entstehen, sind Fragen an die Psychologie, an die Philosophie, an die Biologie und Genetik, an die Kybernetik, an die vergleichende Verhaltensforschung (Ethologie), an die Theologie, an die Geisteswissenschaften, an die Soziologie, an die Physik, die Chemie, die Medizin, die Meteorologie und viele andere mehr. Natürlich können Sie nicht in all diesen Gebieten ein Ass sein.
Aber Sie können sich einen Überblick verschaffen. Gerade in der Universität ist das möglich, weil Sie Zutritt zu jeder Vorlesung haben. Schauen Sie in die Vorlesungsverzeichnisse und prüfen Sie, ob es nicht gelegentlich Grundveranstaltungen gibt, die von allgemeinem Interesse sind. Darüber hinaus gibt es allgemein verständlich geschriebene Bücher, die Grundwissen aus anderen Disziplinen vermitteln. Sie geben Ihnen oft weitreichende Einblicke in die Grundlagen Ihres eigenen Faches.
Schließlich sollte es für Sie selbstverständlich werden, mindestens zwei anspruchsvolle Zeitschriften (z.B. Spiegel / Die Zeit / Handelsblatt / FAZ) zu lesen. Es kommt nicht darauf an, ob Sie in allen Punkten gleicher Meinung sind, sondern dass Sie wissen, worüber die Menschen miteinander streiten. Gehen Sie mit Büchern und Zeitschriften systematisch um. Schauen Sie also insgesamt durch, was an Informationen zur Verfügung steht und entscheiden Sie, welche Informationen Sie wollen.
Versuchen Sie auch Zugang zu solchen Informationen zu finden, die für Sie bisher fremd waren und sind. Das Auseinandersetzen mit fremden Interessen ist wesenstypisch für die juristische Arbeit, gleichzeitig aber außerordentlich anstrengend, jedenfalls am Anfang.
Überwinden Sie Ihre Hemmschwellen und versuchen Sie, Zugang zu für Sie fremden Lebensbereichen zu finden (Wirtschaftsteil/ Wissenschaftsteil/ Psychologie …). Und natürlich: Versuchen Sie sich auch eine halbwegs ordentliche belletristische Bibliothek zu schaffen. Kaufen Sie sich gebrauchte Bücher und lassen Sie sich Bücher von Freunden, Bekannten und Eltern schenken, so oft es nur geht.
Gute Belletristik öffnet die Augen für das wirkliche Leben, für Grenzbereiche des Denkens und Erfahrens, für Verhaltensweisen, die Ihnen fremd sind und für Denk- und Lösungsmöglichkeiten, an die Sie selbst ebenfalls kaum denken würden. Hier kann man außerordentlich viel und schnell lernen.
Und schließlich: Das Medium unserer Zeit ist der Film. Zusammenhänge werden hier in einer Geschwindigkeit verdeutlicht und auf den Punkt gebracht, die für alle anderen Medien, mit Ausnahme des Theaters vielleicht, untypisch ist. Aber beachten Sie bitte immer, dass Filme deshalb so erfolgreich sind, weil sie vieles von dem, was in ihnen abläuft, gerade nicht analysieren, sondern verdrängen und verschweigen.
Fragen Sie sich, warum Ihnen ein Film bzw. nicht gefällt. Versuchen Sie sich die jeweilige Gegenposition vorzustellen und prüfen Sie, ob Sie wirklich vorurteilsfrei mit dieser Gegenposition umgehen können. Gerechtigkeit ist (auch) die Kunst, seine eigenen Vorurteile in Frage stellen zu können.
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