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Erfolgreich Klausuren und Seminararbeiten schreiben

In diesem Auszug aus "Ich will Jura also bin ich" von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (Universität Berlin) erfahrt ihr, wie ihr erfolgreich Klausuren und Seminararbeiten im Jurastudium schreibt.
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Erfolgreich Klausuren und Seminararbeiten schreiben

I. Klausuren

Beim Klausurschreiben haben Sie wenig Zeit. Sie müssen sie sehr diszipliniert verwenden und gut einteilen. Gehen Sie in folgenden Schritten vor:

1. Lesen und Erfassen des Sachverhaltes
2. Herausschreiben der beteiligten Personen und Erfassen des Sachverhaltes
3. Auflisten der möglichen Anspruchsgrundlagen
4. Festlegung des Fallaufbaus.

Für diese Vorarbeiten dürfen Sie ein Drittel der Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, verwenden (auf keinen Fall mehr, auch weniger ist häufig nicht sinnvoll, weil die Erfahrung lehrt, dass Sie diese Zeit brauchen, um sich mit dem Fall hinreichend vertraut zu machen). In der verbleibenden Zeit (zwei Drittel):

Ausführen des obigen Konzeptes und dabei Folgendes beachten:

  1. grundlegende Änderungen des obigen Aufbaus sind unzulässig (Sie treten sonst in Wirklichkeit in Phase 1 zurück)
  2. offenlegen, wenn Sie etwas positiv nicht wissen und dann ihre eige- nen Ideen formulieren
  3. versuchen Sie, Klausuren immer zu Ende zu schreiben, und vor allem
  4. geben Sie sie ab. Sie brauchen die Erfolgskontrolle dringend, weil Sie keine andere Möglichkeit haben zu testen, wie weit Sie sind.

II. Studienarbeit (Seminararbeit)

Für die Studienarbeit haben Sie relativ viel Zeit und Sie wollen es natürlich besonders gut machen. Der letzte Aspekt wiegt schwer, denn oft führt er zu einer Schreibblockade – jeder Satz, den man denkt, jeder Satz, den man schreibt, klingt banal – die Folge davon ist, man fängt gar nicht erst an und dann ist plötzlich schon fast die ganze Zeit vorbei und man muss abgeben.

Jetzt sind Sie in eine selbstgemachte Falle getappt, drehen Sie die Dinge einfach um und sagen sich – ich soll zu einem Thema, das mir jemand gegeben hat, etwas schreiben – am besten Sie stellen sich vor, dass dieser jemand Oma oder Opa oder ein anderer netter Mensch ist und dass Sie dem zu dem gegebenen Thema etwas erklären sollen. Sie sollen also nicht den Literaturnobelpreis herbeischreiben, sondern Ihr Gegenüber soll am Ende begreifen, was Ihr Thema ist, was andere darüber bereits gedacht haben und was Sie schließlich und endlich vorschlagen zu tun oder zu lassen.

Studienarbeiten beruhen auf einem Thema – sie entsprechen deshalb strukturell den Aufsätzen, die Sie typischerweise in rechtswissenschaftlichen Zeitungen finden. Wenn Sie also wissen wollen, wie man eine gute Studienarbeit schreibt, dann schlagen Sie einfach eine NJW oder eine WM, eine ZIP, eine NVwZ oder NStZ auf und schauen mal, wie die Menschen, die dort Aufsätze geschrieben haben, diese gliedern. Sie werden überrascht sein, wie einfach und wiederkehrend die Gliederungsschemata sind, nämlich etwa wie folgt:

1. Problemstellung
2. Rechtspraktischer Hintergrund
3. Rechtsprechung
4. Literaturmeinungen
5. Eigene Meinung
6. Ergebnis – Ausblick

Natürlich ist mir klar, dass dies nicht für alle und für jeden Fall die richtige Struktur ist, aber so in etwa müssen Sie gliedern. Am Anfang stellen Sie das Problem vor – sagen dem Leser also, worum es inhaltlich in Ihrer Arbeit eigentlich geht, worüber Sie mit anderen Worten schreiben wollen. Das ergibt sich meist schon aus dem Titel der Arbeit. Normalerweise werden Themen für Studienarbeiten deshalb vergeben, weil die Themensteller möchten, dass Sie sich mit einer bestimmten, oft sehr grundlegenden Thematik aus dem Gebiet intensiv beschäftigen und das pro und contra darstellen.

Vollständige Recherche

Anders als in einer Doktorarbeit geht es in einer Studienarbeit noch nicht darum, dass Sie eigenständig ein neues, bisher ungelöstes Problem lösen oder ein bisher noch gar nicht dargestelltes Gebiet (zum Beispiel rechtshistorisch) entwickeln. Damit wären Sie auch völlig überfordert – das wissen die Themensteller, das heißt, Sie können sich darauf verlassen, dass der Titel der Studienarbeit, die Ihnen zugeteilt wurde, auch genau die Erwartungshaltung Ihres Themenstellers wiederspiegelt – sie oder er möchte nämlich wissen, ob Ihnen klar ist, was sich hinter den Problemen, die im Titel angedeutet sind, verbirgt.

Deshalb können Sie die Problemstellung (1.) auch erst schreiben, wenn Sie zu dem Titel ihrer Arbeit eine vollständige Recherche durchgeführt haben. Ich betone das Wort vollständig – es genügt nicht ein kurzer Blick ins Internet, womöglich zu Wikipedia – es genügt auch nicht ein Blick auf die gängigen Artikel in den Online-Zeitschriften und es reicht auch nicht, mit Beck-Online zu recherchieren. Sie müssen schon darüber hinaus eine vollständige wissenschaftliche Recherche durchführen und dazu gehört ein Blick in sämtliche Zeitschriften, die sich mit dem Thema beschäftigen könnten (und Sie werden dabei einige entdecken, die Sie bisher gar nicht kannten). Außerdem gehört aber auch ein Blick in alle Kommentare, die es überhaupt nur gibt in diesem Themenbereich, ebenso wie ein Blick in sämtliche Monographien, die sich mit ihrem Thema möglicherweise schon einmal beschäftigt haben. Monographien könnten Dissertationen oder auch Habilitationen oder Bücher sein, die irgendetwas mit ihrem Studium zu tun haben – aber Achtung: Die klassischen (oft sehr verkürzten) Lern- und Lehrbücher genügen auf gar keinen Fall, um eine Studienarbeit angemessen zu schreiben.

Mit der Studienarbeit sollen Sie zeigen, dass Sie ein Problem wissenschaftliche-systematisch erfassen und darstellen können – und das Allererste, was dazu gehört, ist eine vollständige Recherche sämtlicher Literatur, die es zu ihrem Thema gibt. Am Besten Sie geben also erst einmal Stichworte ein und schauen, was bei den Stichworten so herauskommt, dann gehen Sie in die ersten Bücher und Aufsätze hinein, die Sie finden, und auch diese Weise kommen Sie in aller Regel weiter – geben Sie erst auf, wenn Sie der Meinung sind, dass Sie wirklich absolut vollständig recherchiert haben – das ist die halbe Miete für Ihre Arbeit. Diese Recherchearbeit nimmt das erste Drittel Ihrer Studienarbeit vollständig in Beschlag – das sind meist zwei Wochen. Natürlich haben Sie in dieser Zeit auch schon quergelesen, aber noch nicht alles wirklich vertieft. Das ändert sich jetzt, nachdem Sie die vollständige Recherche abgeschlossen haben.

Problemstellung

Jetzt steigen Sie wirklich in das Thema ein und entdecken, worum es eigentlich im Kern gehen soll – das stellen Sie nun unter der Problemstellung (1.) dar und sagen dem Leser, warum Sie glauben, dass man sich mit Blick auf ihr Thema gerade mit den Fragen beschäftigen sollte, die Sie jetzt gleich stellen werden. Ganz besonders wichtig: Weisen Sie auf das Problem hin, das es gibt, also zum Beispiel darauf, dass viele der Auffassung sind, dass es in dem gegebenen Zusammenhang für eine bestimmte Gruppe von Menschen keinen Anspruch gibt oder dass jemand bestraft werden muss oder umgekehrt nicht bestraft werden darf, dass die verfassungsmäßige Ordnung verletzt sein könnte oder der Bundespräsident bei seinen Entscheidungen vielleicht im Unrecht gewesen ist. Wichtig ist, dass man erfährt, worum es gehen soll, warum Sie ihre Arbeit also schreiben.

Praktischer Hintergrund

Im nächsten Schritt (2.) stellen Sie das rechtstatsächliche Umfeld vor und beschreiben nun im Einzelnen, wie viele Menschen oder Unternehmen von dem Konflikt, um den es Ihnen geht, wohl betroffen sind, wie viele Jahre das schon anhält, ob das ein großes Problem oder ein kleines Problem für die Sozialordnung ist – ob es sich um viel oder wenig Geld handelt, ob es sich um lange oder kurze Strafen handelt oder ob die verfassungsmäßige Ordnung möglicherweise mit der europarechtlichen kollidiert. Auf diese Weise gewinnt man ein Gespür dafür, ob es sich um eine wirklich wichtige Frage handelt, die Sie stellen und beantworten wollen – Sie selbst erleben bei dieser Gelegenheit auch, ob ihnen eigentlich die Tragweite ihres Themas bewusst ist.

Rechtsprechung und Literatur

Von nun geht es eigentlich relativ rasch, denn jetzt sind Sie bereits vollständig eingelesen und können im Grunde genommen die Dinge abarbeiten, so wie sie von Ihnen recherchiert und aufbereitet sind. Es bietet sich oft an, zunächst einmal die Rechtsprechung (3.) darzustellen, die es zu Ihrer Frage bereits gibt – natürlich immer in der gebotenen Kürze, aber so, dass man auch den Sachverhalt versteht (bedenken Sie, dass der Sachverhalt eigentlich das Allerwichtigste für die Betroffenen ist und dass die Fälle sich nicht alle gleichen).

Im nächsten Schritt ist es dann vernünftig zu fragen, wie sich denn die Literatur (4.) mit den Fragen auseinandergesetzt hat, um die es Ihnen im Kern geht. Am Besten Sie verteilen die Literaturstimmen in pro und contra oder in herrschende und Mindermeinung, wobei Sie aufpassen sollten – viele herrschende Meinungen sind gar nicht so herrschend, wie man glaubt, und viele Mindermeinungen sind auch nicht so mindermäßig, wie man denkt – eigentlich ist es viel vernünftiger darüber nachzudenken, wie die Argumentation verläuft und anhand der Argumentationsschemata kann man dann auch gliedern.

Eigene Meinung

Wenn Sie auf diese Weise das pro und contra auch aus der Perspektive der Literatur entwickelt haben und nunmehr Ihr Leser einen vollständigen Überblick über das Problemfeld, die dazu ergangene Rechtsprechung und sämtliche Literaturstimmen hat, dann setzen Sie zu ihrem entscheidenden Teil der Arbeit an, nämlich jetzt stellen Sie ihre eigene Auffassung (5.) vor. In diesem Zusammenhang greifen Sie noch einmal alle Meinungen und alle Argumentationslinien, die Sie dargestellt haben, auf, zeigen, warum Sie die eine Linie für Sie überzeugend, die andere für weniger überzeugend halten, warum Sie der einen Stimme mehr folgen und der anderen Stimme weniger folgen wollen und sagen, ob Ihnen möglicherweise etwas zusätzliches argumentativ einfällt, was allen anderen bisher nicht eingefallen ist.

Wenn das so ist, dann sagen sie es klar, präzise und gut begründet, aber Achtung: Es ist nicht so ganz einfach, ein neues Argument zu finden, das noch keiner vor ihnen hatte. Seien Sie also nicht überheblich – versuchen Sie nicht dem Leser Sand in die Augen zu streuen, sondern bleiben Sie ehrlich – wenn Ihnen nichts besseres einfällt als all den vielen anderen, die sich vor Ihnen über dieselbe Frage Gedanken gemacht haben, dann sagen Sie dies auch – das ist beim besten Willen keine Schande, denn meistens zählen zu denen, die sich schon geäußert haben, auch Bundesrichter/innen. Reihen Sie sich in den Kreis der Argumentierenden ein – sagen Sie also, wovon Sie überzeugt sind und wem Sie folgen wollen und wo Sie möglicherweise weniger überzeugt sind, sodass Sie empfehlen würden, einer bestimmten Linie eher nicht zu folgen.

Ergebnis

Ganz zum Schluss (6.) zeigen Sie, welche Konsequenzen sich aus dem, was Sie sagen, ergeben und machen einen kleinen Ausblick, möglicherweise indem Sie andeuten, dass der Gesetzgeber vielleicht etwas tun oder auch lassen sollte. In manchen Fällen müssen Sie vielleicht auch noch etwas zu den Rechtsfolgen sagen. Das ist insbesondere wichtig, wenn es um Ansprüche geht oder um Straffolgen. In diesen Fällen müssen Sie noch ein weiteres Kapitel einfügen, nämlich das über die Rechtsfolgen und nun sagen, ob jemand einen Anspruch hat und möglicherweise in einer ganz bestimmten Höhe einen Schadensersatz durchsetzen kann oder nicht.

Mehr ist im Grunde nicht zu sagen, außer, dass es für die Leser/innen einer Studienarbeit besonders interessant ist, wenn Sie problemorientiert schreiben, sich an konkreten Fällen entlang hangeln, also nicht nur abstrakt und völlig losgelöst von der Wirklichkeit argumentieren, sondern mitten drin sind und zeigen, wieso Menschen sich über bestimmte Fragen innerhalb des Rechtssystems eigentlich streiten. Sie orientieren sich also an der Funktion des ganzen Rechtssystems, die darin besteht, soziale Konflikte angemessen zu lösen, Menschen also Antworten auf drängende, konfliktreiche Fragen zu geben.

Die Rechtsordnung ist kein Glasperlenspiel, sondern eine wirkungsmächtige Ordnung, mit dem Ziel, das Zusammenleben für uns alle zu verbessern und zu erleichtern – das ist selbst dann noch der Fall, wenn es um eine rein rechtsdogmatische Arbeit, also um eine solche geht, wo es um die Frage geht, ob eine bestimmte rechtliche Institution oder ein bestimmter Rechtsbegriff innerhalb des juristischen Begriffsystems angemessen oder unangemessen angesiedelt oder in diesem System definiert wird.

Wenn Sie beispielsweise über den Begriff des Scheinbestandteils in § 95 BGB eine Studienarbeit schreiben sollen, dann wäre es fatal, wenn Sie in diesem Zusammenhang nicht zeigen würden, dass die Praxis besondere Probleme bei Windrädern und Solaranlagen mit diesem Begriff hat. Bei Windrädern und Solaranlagen ist man nämlich nicht sicher, ob sie auf Dauer oder nur für eine gewisse Zeit mit dem Grund und Boden verbunden sind, mit der Folge, dass sie möglicherweise als Scheinbestandteil gelten. Das Problem ist deshalb interessant, weil dann, wenn Sie die Solaranlage/das Windrad als Scheinbestandteil einordnen, Sie der Bank zur Absicherung der Finanzierung der Anlagen Sicherungseigentum einräumen. Sind Sie dagegen der Auffassung, dass die Anlagen keine Scheinbestandteile, sondern fest mit Grund und Boden verbunden sind, müssen Sie stattdessen über eine Hypothek/Grundschuld oder Reallast als Sicherungsgrundlage für die Finanzierungsdarlehen bei der Anschaffung dieser Anlagen nachdenken. Das sind praktisch große Unterschiede, die die Rechtsabteilungen der Banken ins Schwitzen bringen – wenn Sie das bei einer Studienarbeit unter den Tisch fallen lassen würden und nur abstrakt über den Begriff des Scheinbestandteils sprechen, dann kann ihnen niemand mehr folgen.

Also immer daran denken, wo liegt eigentlich das konkrete, praktische Problem in meiner Studienarbeit – solange Sie dieses konkrete, praktische Problem nicht gefunden haben, stimmt irgendetwas nicht – dann müssen Sie unbedingt noch einmal in sich gehen und herausfinden, wo der Schuh wohl drücken könnte. Danach ist es einfach, Sie müssen jetzt nur noch schreiben.

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