Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Nach meinem 2. Staatsexamen war ich Rechtsanwalt in der Steuerabteilung der KPMG, Sachgebietsleiter in der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens und dort u.a. in der Großbetriebsprüfung und als Leiter einer Amtsbetriebsprüfungsstelle eines großen Ruhrgebietsfinanzamtes tätig. In dieser Zeit habe ich im europäischen Beihilfenrecht an der Humboldt Universität in Berlin promoviert. Als Finanzrichter habe ich 1998 den Ruf an die Hochschule in Lüneburg bekommen, an der ich bis heute den Lehrstuhl für Steuerrecht und betriebliche Steuerlehre innehabe.
Seit 2003 bin ich niedergelassener Steuerberater. Außerdem bin ich als Dozent tätig, früher an der Bundesfinanzakademie, ab 2001 in der Steuerberaterausbildung (Körperschaft-, Gewerbesteuer, Abgabenordnung, internationales Steuerrecht) und im Rahmen der Fortbildung von Berufsträgern. Zudem entwickele ich Fortbildungsprogramme für Hochschulabsolventen, z. B. Tax for Practice (T4P), das am Steuerrecht Interessierten den Weg in die mittelständische Steuerberatung ebnet.
In meiner Freizeit lebe ich gerne meinen Bewegungsdrang aus, habe z. B. ein Fachwerkhaus gebaut, setze mich auch mal eine Woche aufs Fahrrad oder tobe mich beim Fitnesstraining aus.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen als Steuerstrafrechtler aus?
Steuerstrafrechtliche Mandate sind in der Regel Umfangsmandate. Zum Glück wird dieser Teil meines Arbeitsalltags deshalb nicht durch Routinearbeiten belegt, sondern nach eingehenden Gesprächen mit Mandanten zunächst durch intensives Aktenstudium und in der Regel die Einarbeitung in die steuerlichen Rahmenbedingungen des Mandanten.
Diese Vorarbeiten sind, unterschiedlich gewichtet, die Grundlage für Selbstanzeigeverfahren, die Begleitung von steuerlichen Betriebsprüfungen und/oder Rechtsbehelfsverfahren gegen Steuerbescheide und natürlich für eine optimale Verteidigung in einem Steuerstrafverfahren.
Sind diese Hausaufgaben erledigt, kommt der spannende Teil der Tätigkeit des Steuerstrafverteidigers, die Umsetzung einer Verteidigungsstrategie im Rahmen der Verhandlungen mit der steuerlichen Betriebsprüfung, auch schon einmal der Rechtsbehelfsstelle des Finanzamtes oder z. B. dem Erbschaftsteuerfinanzamt, der Steuerfahndung und der Straf- und Bußgeldstelle.
Optimalerweise schließen sich Verfahrensabschlüsse an, denn der Steuerstrafverteidiger bewegt sich in zwei rechtlichen Welten mit unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Regelungen. In der einen geht es um Geld, den staatlichen Besteuerungsanspruch, in der anderen um den staatlichen Strafanspruch. Das Bindeglied zwischen diesen Welten ist in der Regel das materielle Steuerrecht.
Sollten die steuerlichen Begehrlichkeiten der Finanzverwaltung berechtigt sein, kann der Verfahrensabschluss z. B. in einer tatsächlichen Verständigung auf einen der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt bestehen. Sollte eine Einigung nicht möglich sein, muss die Wahrnehmung der Interessen ggf. vor dem Finanzgericht fortgesetzt werden.
Sofern eine Einstellung des Strafverfahrens mangels Tatverdachts nicht realisierbar sein sollte, schließen sich auch im Steuerstrafverfahren Verhandlungen, dieses Mal über strafbefangene Steuerforderungen und einen möglichen Verfahrensabschluss mit der Steuerfahndung und der Straf- und Bußgeldstelle, an. Letztere führt das Ermittlungsverfahren in reinen Steuerstrafverfahren selbständig durch und nimmt damit die Stellung einer Staatsanwaltschaft ein, deren Rechte in diesem Ermittlungsverfahren jedoch unberührt bleiben.
Scheidet eine Einstellung des Strafverfahrens aus, droht ein Strafbefehl oder sogar eine Anklageerhebung. Dies hängt u. a. auch von der Steuerverkürzung ab. In diesem Fall wird die Verteidigung vor den Strafgerichten fortgesetzt.
Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit im Steuerstrafrecht zu entscheiden? In welchem Karrierestadium fiel die Entscheidung, anwaltlich in diesem Bereich tätig zu werden?
Durch die Doppelqualifikation als Jurist und Steuerberater besteht von Natur aus eine Nähe zum Steuerstrafrecht. Steuerberatung bedeutet zulässigerweise die Gestaltung und Optimierung der steuerlichen Verhältnisse des Mandanten. Die Steuergestaltung findet ihre Grenze aber dort, wo aus Gestaltung gemeinwohlschädliche Steuerverkürzung wird. Diese Grauzone muss der/die Steuerberater*in erkennen und ausloten.
Wurde die Grenze überschritten und wurden Steuern verkürzt, ist es abermals der/die Steuerberater*in, der den Mandant*innen über eine Selbstanzeige den Weg in die Steuerehrlichkeit und aus dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane ebnen kann.
Zudem begegnet der/die Steuerberater*in in steuerlichen Betriebsprüfungen häufig dem Gespenst des Steuerstrafverfahrens, das als „Einigungsverstärker“ eingesetzt wird.
Dementsprechend gab es in meinem über 30 Jahre währenden Berufsleben nicht DEN Zeitpunkt, an dem ich beschloss, Steuerstrafverteidiger zu werden, sondern allenfalls die Erkenntnis, den Schwerpunkt meiner Tätigkeit zu verschieben, die allerdings auch durch meine Freundschaft zum Gründungspartner von HT Defensio, Dr. Hennig, und sein tolles Team befeuert wurde. Die Interdisziplinarität und Vielfalt der Tätigkeit, die eine/n Steuerjurist*in wie in kaum einer anderen juristischen Disziplin fachlich und menschlich fordert, Empathie und Verhandlungsgeschick voraussetzt und die zudem ordentlich honoriert wird, waren der Treibstoff meiner Entscheidung, die ich nie bereut habe.
Was sind Ihrer Meinung nach die spannendsten bzw. schwierigsten Herausforderungen im Steuerstrafrecht?
Da sind zum einen die menschlichen Imponderabilien (auf die mich bereits mein Vater hingewiesen hat und der war kein Jurist, sondern Kaufmann). Zum Teil wird Steuerhinterziehung noch als Kavaliersdelikt betrachtet, sodass es an Einsichtsfähigkeit mangelt und ein Hang zur Bagatellisierung die Arbeit schwer machen kann. Steuerhinterziehung ist eine gemeinwohlschädliche Straftat und wird von den Strafverfolgungsbehörden zurecht auch so gehandhabt.
Erst die Einsicht (und auch die Strafandrohung) schafft den Boden für eine konstruktive fachliche Arbeit, die, gerade was den Sachverhalt angeht, die Basis einer guten Verteidigung bildet. Es ist in der Regel nicht damit getan, sich als Verteidiger*in zurückzulehnen und, wie mir ein Strafverteidiger mit Inbrunst und Überzeugung versicherte, die Strafverfolgungsbehörden „kommen zu lassen“ oder die „Steuerfahndung ermitteln zu lassen, weil deren Abschlussbericht vor Gericht ohnehin niemanden interessiere“. Unabhängig von den (nicht im Wege des Zwangs) fortbestehenden steuerlichen Mitwirkungspflichten ist der/die Mandant*in der/die zentrale Wissensträger*in und es ist die Aufgabe des der Strafverteidiger*in, den hilfreichen Sachverhalt herauszuarbeiten, auch dann, wenn Erkenntnis schon mal weh tut.
Zum anderen sind die Breite der Fachgebiete und ihr Zusammenspiel eine Herausforderung; dies gilt für das Strafrecht und Strafprozessrecht, aber besonders auch für das Steuerrecht. Wohl nicht ganz zu Unrecht wird behauptet, dass 60% der Weltliteratur im Steuerrecht in Deutschland geschrieben würde. Ich habe das nie verifiziert, aber so manches Mal kann ich dieser Behauptung etwas abgewinnen. Langweilig wird es einem/einer Steuerstrafverteidiger*in jedenfalls nicht, Routine ist eher ein Fremdwort.
Am Spannendsten sind sicherlich die Verhandlungssituationen, in denen der/die Steuerstrafverteidiger*in für die Interessen der Mandant*innen gegenüber einer Phalanx an Betriebsprüfer*innen, Steuerfahnder*innen und Mitarbeiter*innen der Straf- und Bußgeldstelle einstehen muss. Dies ist sicherlich das Lebenselixier des/der Steuerstrafverteidiger*in. Man muss es allerdings mögen, „in den Ring zu steigen“.
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Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber*innen hier einstellen?
Empathie, Verhandlungsgeschick (Kommunikationsstärke) und Verlässlichkeit, Kreativität und Reaktionsschnelligkeit sind sicherlich die zentralen Soft Skills eines/eienr Steuerstrafverteidiger*in, aber auch die Stärke, Grenzen aufzuzeigen und für seine Überzeugung nötigenfalls bis in die letzte Instanz einzustehen (Letzteres ist ausnahmsweise wörtlich zu verstehen). Die Summe aus Soft Skills und fachlichen Fertigkeiten bilden die Reputation des/der Strafverteidiger*in, sowohl im Verhältnis zum/zur Mandant*in als auch den Strafverfolgungs- und Finanzbehörden.
Sie sind Steuerberater. Inwiefern hilft Ihnen die Zusatzqualifikation bei Ihrer Tätigkeit als Steuerstrafrechtler?
Die Verteidigung der mit Abstand meisten Mandate basiert auf einer Prüfung der steuerlichen Feststellungen der Prüfungsdienste und Strafverfolgungsbehörden. Dies gilt naturgemäß auch für die Selbstanzeigenberatung und die parallele Betreuung von Betriebsprüfungen und Rechtsbehelfsverfahren. Ohne intensive steuerrechtliche Kenntnisse wäre ich meiner Effektivität beraubt.
Welche Zukunftsaussichten sehen Sie für Berufseinsteiger*innen im Steuerstrafrecht?
Seit jeher sind diese Aussichten exzellent. Den beschwerlichen Weg zum/zur Steuerstrafverteidiger*in gehen bedauerlicherweise nur wenige Jurist*innen, häufig aus Unkenntnis. Dies liegt sicherlich auch daran, dass viele juristische Fakultäten das Steuerrecht den Betriebswirten und Hochschulen mit wirtschaftsjuristischen Studiengängen überlassen haben. Z. B. in Bayern gehört das Steuerrecht richtigerweise aber noch zum Fächerkanon des Staatsexamens.
Damit ist die Konkurrenz gering, der Bedarf aber riesig und er wird steigen. Die Verdienstmöglichkeiten und Aufstiegschancen für Steuerstrafrechtler*innen sind außerordentlich gut unabhängig davon, ob eine Selbständigkeit angepeilt oder eine Tätigkeit bei Steuerberatungs- oder Anwaltskanzleien angestrebt wird. Steuerstrafrechtler*innen haben daher die Qual der Wahl, sodass eher die sonstigen beruflichen Rahmenbedingungen darüber entscheiden, bei welchem Unternehmen der berufliche Einstieg gewählt wird. Sorgen müssen sie sich nicht.
Welchen Ratschlag würden Sie am Steuerstrafrecht interessierten Nachwuchsjuristinnen und -juristen mit auf den Weg geben?
Da das Steuerrecht im Unterschied zur strafrechtlichen Ausbildung in der juristischen Ausbildung allenfalls eine untergeordnete Bedeutung spielt, sollten sich Nachwuchsjurist*innen möglichst frühzeitig nach Ausbildungsmöglichkeiten umschauen. Eigentlich sollte jede/r angehende Jurist*in mit einer Buchführung und Bilanz etwas anfangen können und die Rechtsgrundlagen für das Handeln der Finanzverwaltung kennen, die als Teil der deutschen Eingriffsverwaltung wie keine Zweite durch zahllose Verwaltungsakte Bürger*innen belastet.
Mit steuerlichen Kenntnissen in den Beruf zu starten, macht den Berufseinstieg einfacher. Zum Teil fördern Beratungsunternehmen Jungakademiker*innen durch sehr anspruchsvolle mehrmonatige interne Fortbildungsprogramme.
Wer unsicher ist, ob Steuerrecht Spaß macht, dem empfehle ich ein Praktikum in der Steuerberatung, idealerweise im breit aufgestellten Mittelstand. So lernt der/die Nachwuchsjurist*in das Beratungsgeschäft von Grund auf kennen. In der späteren Tätigkeit als Steuerstrafverteidiger*in gehört die Kooperation mit der steuerlichen Beratung ohnehin zum Berufsalltag.
Vielen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Herr Prof. Barth!
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