RA Tim Walter
Spezialisierung ist überall
Lieber Rechtsfreund, haben Sie schon einmal von Dominique Ansel gehört? Wahrscheinlich nicht. Und ich gebe zu: Auch ich musste seinen Namen erst ergoogeln. Aber höchstwahrscheinlich kennen sie einige seiner Kreationen. Ansel ist der Erfinder von Cookie Shot, Magic Soufflé und vor allem dem Cronut, ein Croissant-Donut-Gebäck mit dem Ansel weltberühmt wurde. Sein ganzes Wirken beschränkt sich daher auf die Erfindung und Herstellung außergewöhnlicher und sehr spezieller Konditoreierzeugnisse.
Und diese sind der Renner. Auch heute noch stehen Menschen regelmäßig in Soho (New York) vor der Konditorei, um eine der begehrten und limitierten Gaumenfreuden zu ergattern. Wer nicht warten möchte, bezahlt jeden Morgen Kuriere dafür, dass sie ihm einen Platz in der Reihe freihalten, oder ihm die Leckereien ins Büro liefern. Ansel hat es somit geschafft, einen Hype um ein einziges Produkt zu kreieren und hat mittlerweile Läden in London, Tokio und Los Angeles eröffnet, um auch dort seine recht exquisiten Spezialitäten anzubieten.
Warum sollten Sie sich spezialisieren?
Und auch in der Juristerei scheint es kaum anders zu laufen. Machen wir die Probe auf’s Exempel: Denken Sie an einen berühmten Juristen. Ok? Erledigt? Lassen Sie mich eine Vermutung anstellen: Es handelt sich um jemanden, der sich in einer bestimmten Disziplin sehr hervorgetan hat, nicht wahr? Die allermeisten bekannten Juristen sind in der Regel Spezialisten, absolute Kenner ihres Fachs, haben es geschafft sich in der Öffentlichkeit über kurz oder lang in den Fokus zu rücken und werden stets zu den gleichen Thematiken konsultiert.
Scheint also so, als würde auf dem Weg zu einer erfolgreichen Anwaltspersönlichkeit kein Weg an einer Spezialisierung vorbeiführen, oder? Die Ökonomie spricht jedenfalls dafür. Ohne nun vertieft in die stets dafür sprechenden Statistiken einzugehen, liegt es auf der Hand, dass sich potentielle Mandanten im Zweifel für den Spezialisten entscheiden. Hinzu kommt, dass die Spezialisierung mit einer enormen Steigerung der Effizienz einhergeht. Wer sich lediglich in bestimmten Gebieten tummelt, wird über kurz oder lang über ein umfangreiches Repertoire an Formularen, Standardschreiben und Datenbanken verfügen. Hinzu kommen weiche Faktoren wie die Kenntnis der speziellen Gerichtsgepflogenheiten, der Einstellung des jeweiligen Vorsitzenden zu bestimmten Gesichtspunkten. Das spart nicht nur Zeit, sondern erhöht die Erfolgsquote beträchtlich.
Und schließlich steht über allem wie eine drohende dunkle Wolke das wohl derzeit am intensivst diskutierte Thema legal tech. Zwar ist derzeit noch kaum absehbar, inwieweit legal tech im Bereich des “legal empowerment” oder “smart contracts” anwaltliche Dienstleistungen ersetzen wird. Jedoch scheint der Gedanke nicht allzu verwegen, dass es vor allem standardisierte Prozesse und immer wiederkehrende ähnliche Konstellationen sind, die bereits jetzt oder in naher Zukunft durch Automatisierung zufriedenstellend gelöst werden können. Der Verfasser jedenfalls ist angesichts der Gemächlichkeit, mit der sich der Gesetzgeber diesen Fragestellungen nähert, auch wenig optimistisch, dass hier (mögliche) regulatorische Maßnahmen der wachsenden Geschwindigkeit der Branche einen Bremsschuh anlegen werden. Legal Tech wird die Arbeit der Anwaltschaft verändern. In welchem Umfang, das wird man sehen.
Der anwaltliche Spezialist sollte die Entwicklungen daher gut beobachten und sich vor allem auf das konzentrieren, was jedenfalls in naher Zukunft nicht so schnell automatisiert werden kann: Soziale Kompetenz und die Erstellung von juristischen Maßanzügen, wobei Ersteres die Bedingung für Letzteres ist. Wie lange benötigen Sie, um herauszufinden, ob Sie zu einem Fremden ein gewisses Vertrauen aufbauen können? Die Universität von Berkeley in Kalifornien fand heraus: Es sind rund 20 Sekunden. Die Studienautoren stellen dabei die metaphorische These auf: „Wir können Gene sehen. Menschen, die dieses besondere Vertrauens-Gen besitzen, scheinen häufiger zu nicken, zu lächeln, halten mehr Augenkontakt und besitzen eine offenere Körpersprache.“ Wer dieses „Gen” nicht besitzt, sei weniger in der Lage, sich in andere einzufühlen und deren Emotionen zu interpretieren.
Weitere wichtige Bausteine für ein gefestigtes Vertrauen sind: Regelmäßige Kommunikation, Authentizität, Ehrlichkeit, Geduld und eine Fehlerkultur. In all diesen Bereichen hat der menschliche Berater in der Regel (noch) Vorteile gegenüber einem Algorithmus. Insbesondere hinsichtlich der Authentizität werden wahrscheinlich noch einige Jahrzehnte ins Land gehen. Denn wie könnte ein Programm authentisch sein? Vielleicht haben Sie auch mal vom sog. Turing-Test gehört. Beim sog. Turing-Test versucht der Proband zu entscheiden, ob es sich bei A oder B jeweils um einen Computer oder einen Menschen handelt. Beide, sowohl Computer A als auch Mensch B, müssen den Probanden C davon überzeugen, dass sie selbst Menschen sind. Im Mai 2018 stellte Google auf einer Entwicklerkonferenz sein System Duplex vor. Dabei führte die KI einen Anruf bei einem Friseursalon oder Restaurant durch, um eine Terminvereinbarung durchzuführen. Die Probanden empfanden das Ergebnis erschreckend überzeugend.
Nun ist dies aber lange kein Beweis für einen erfolgreichen Turing-Test. Zum einen sind die Lebenssachverhalte bei der rechtsanwaltlichen Beratung deutlich komplexer, als die Bestellung für einen Samstagabendstisch – es sei denn sie wollen in Dominique Ansels Restaurant in Los Angeles essen – und zum anderen wissen sie oftmals nicht, womit der Mandant sie konfrontieren wird. Und genau das ist das Problem: Wie reagiert der Algorithmus auf Fragen, die er nicht kennt, oder auf Fehler in der Eingabe? Ausgehend davon gelingt es dem anwaltlichen Spezialisten die zwei Kernelemente der Beratung herauszufinden: Was der Mandant braucht und was der Mandant will. Beides ist nicht immer kongruent zueinander, kann aber im kommunikativen Gespräch von Angesicht zu Angesicht deutlich besser in Erfahrung und dann in Einklang gebracht werden als durch einen Automatismus.
Lohnt sich überhaupt eine juristische Bearbeitung? Gibt es eine praktische Herangehensweise? Gibt es eine zwischenmenschliche Lösung? Kann ein Mietstreit durch die Herausgabe eines einzigen Gegenstandes beendet werden? Ist es möglich den Sachverhalt noch zu verbessern, bevor man die Gegenseite anschreibt? Kennen Sie als Berater andere Institutionen vor Ort, die dabei helfen einen Beweis zu sichern? Hat der Spezialist diese Fragen beantwortet kann er sich an die juristische Verschmelzung machen und ist in der Lage auch auf Wankelmut schnell zu reagieren. Heraus kommt idealerweise ein Produkt, welches auf den Mandanten zugeschnitten ist.
Wie finden Sie Ihre Spezialisierung?
Wie können Sie länger arbeiten als gewöhnlich? Wie werden Sie produktiver als gewöhnlich? Wie erzielen Sie bessere Resultate als gewöhnlich? Ganz einfach. Indem Sie die Dinge mit Leidenschaft tun. Wenn Sie herausfinden wollen, in welchem Bereich Sie sich spezialisieren möchten, dann müssen sie herausfinden, was Ihre Leidenschaften sind. Optimalerweise haben Sie das bereits getan und wenn nicht, dann wird es höchste Zeit vielleicht einmal den Kopf aus dem Wasser zu nehmen und am Leben teilzunehmen. Denn das Leben steckt voll von so vielen Erfahrungen und faszinierenden Eigenheiten, dass es nahezu unmöglich ist, sich nicht für etwas zu interessieren.
Und denken Sie bitte nicht, dass sich Ihre Leidenschaft nicht mit einem juristischen Beruf verknüpfen lässt. Das ist Unsinn. Egal, ob Sie im Keller eine Eisenbahn fahren lassen, am Wochenende als Farodin, der Elf, unterwegs sind, oder sich den gesamten Oberkörper tätowieren lassen, für all diese Dinge gibt es in der juristischen Welt eine Verknüpfung. Sie können sich eine Nische suchen, in der Sie die Transaktion von virtuellen Gütern begleiten, die rechtlichen Ansprüche bei mangelhafter Tätowierung überprüfen, oder einen Fachanwaltskurs für Transport- und Speditionsrecht besuchen.
Warum nicht? Sie haben durch zwei juristische Staatsexamen – unabhängig vom Ausgang – den Beweis erbracht, dass Sie hohe intellektuelle Leistungen erbringen können, also werden sie doch hoffentlich auch einen Weg finden, Ihre Leidenschaft zu Ihrem Beruf zu machen. Haben Sie diesen erst beschritten, werden Sie sich auch relativ schnell freimachen können vom ökonomischen Imperativ. Über den Verfasser dieser Zeilen findet sich in seinem Abiturjahrbuch folgendes Zitat: „…oder man meldet sich bei ICQ an, denn dort findet man ihn rund um die Uhr.“ Und tatsächlich: Ich hegte seit jeher eine extreme Faszination hinsichtlich der Kommunikation über virtuelle Medien.
Überrascht es also, dass die erste Amtshandlung des Verfassers nach Ankunft in der Kanzlei in Unna die Einläutung des Wechsels zum längst überfälligen digitalen Diktat war? Nun sind Unna und das Ruhrgebiet nicht unbedingt das Mekka der Kommunikation, aber wer braucht schon Mekka, wenn er einen juristischen YouTube Kanal eröffnen kann? Und in welchem Bereich kann mehr kommuniziert werden als im vom Verfasser praktizierten Familienrecht? Sie sehen: Sie können es gar nicht verhindern. Ihre Leidenschaften werden Ihre Arbeitsrealität ohnehin prägen, also geben Sie ihnen den Raum und sorgen Sie dafür, dass Sie diese Flamme am Lodern halten und den optimalen Nutzen für sich daraus ziehen.
Wie werden Sie Spezialist?
Haben Sie erst einmal ihre Leidenschaft entdeckt und sich eine Nische überlegt, müssen Sie diese natürlich einem Realitäts- und Machbarkeitscheck unterziehen. Wenn Sie in einem bestimmten Bereich arbeiten wollen, dann müssen Sie natürlich zusehen, dass Sie an Mandanten kommen. Das führt üblicherweise dazu, dass Sie sich auch dort befinden, wo Ihre Mandanten sind. Ihr größtes Know-How im Transportrecht hilft Ihnen relativ wenig, wenn sie in Mühlhausen – der zentralsten Stadt Deutschlands – sitzen, ihre Mandanten aber in Hamburg oder München. Der Digitalisierung zum Trotz findet eben doch noch nicht alles im virtuellen Raum statt und ein persönlicher Kontakt ist oftmals unumgänglich.
Haben Sie vor sich einer Kanzlei anzuschließen, dann ist neben dem Gehalt und der Arbeitszeit die Möglichkeit zur Erlangung eines Fachanwaltstitel das wichtigste Kriterium überhaupt. Gibt es genug Fälle? Können Sie ein Referat komplett allein übernehmen? Fördert Sie die Kanzlei? Wird der Fachanwaltskurs bezahlt? Schauen Sie in die Anforderungen und fragen Sie nach! Entscheidend ist nicht, was Sie in der erstbesten Station verdienen, sondern wie wertvoll Sie am Arbeitsmarkt werden. Mit steigender (nachgewiesener) Expertise steigt Ihr Wert exponentiell und Sie sind auch vor Unwägbarkeiten besser geschützt.
Ist aber ein solider Ort gewählt, dann sollten Sie zusehen, dass Ihre einmal erworbene Expertise auch möglichst bald sichtbar wird. Idealerweise können Sie dies durch den Erwerb eines Fachanwaltstitels belegen. Und wenn ich idealerweise sage, dann meine ich notwendigerweise. Denn gerade als junger Kollege ist das häufig Ihr einziges Abgrenzungskriterium und Gütesiegel. Versetzen Sie sich einfach in die Lage des Mandanten. Er kommt in Ihre Kanzlei und vor ihm sitzt ein 30-jähriges Milchgesicht. Hat er aber auf der Homepage oder im Wartezimmer bereits die Urkunde über ihre Expertise bewundern können, wird er erheblich beruhigter ins Gespräch einsteigen und sogar der Meinung sein, dass er es mit einem absoluten Durchstarter zu tun hat. Nun können Sie mit ihrer eigenen Systematik und der Erfahrung aus mindestens 2359 Fällen dem Mandanten gezielte Fragen stellen und ihm dadurch schnell signalisieren: “Du bist hier richtig mein Freund.”
Scheuen Sie sich auch nicht, dies teilweise in der Beratung einfließen zu lassen. Sagt die Mandantin z.B.: „Aber mein Mann ist ein harter Hund, der wird ganz schön aufbrausend werden.“ dann antworten Sie: „Das beeindruckt weder uns, noch die Vorsitzenden. Wir machen seit 56 Jahren Familienrecht in dieser Kanzlei, für uns zählen nur die Argumente.“ Seien Sie nicht zu prahlerisch, aber seien Sie ruhig selbstbewusst. Sie sind der Experte, also dürfen Sie auch so auftreten. Den Fachanwaltstitel können Sie über verschiedenste Wege erwerben. Entweder besuchen Sie die Präsenzveranstaltungen eines Fachanwaltskurses, oder aber Sie entscheiden sich für die Online- bzw. Fernvariante. Der Verfasser hatte sich für Letztere entschieden und ist damit gut gefahren. Letztlich kommt es darauf an, dass Sie in 3 Klausuren ihre Fertigkeiten unter Beweis stellen und Aufgaben lösen, die etwas unter Examensniveau liegen. Sie besitzen zudem den Vorteil, dass Ihnen die Materie leichter von der Hand geht, weil sie sich dafür interessieren. Oder etwa nicht? Dann haben sie nichts begriffen und sollten diesen Beitrag bitte noch einmal von vorne lesen.
Derzeit gibt es 23 Fachanwaltstitel. Daneben sollten Sie dafür sorgen, dass sie noch auf andere Weise sichtbar werden. Das kann durch das Halten von Fortbildungen, durch den Aufbau des Kontaktes mit den entsprechenden Zielgruppen als auch durch die Nutzung der neuen Medien geschehen. Welchen Weg sie wählen bleibt ihnen überlassen, Sie sollten sich aber nicht dafür quälen müssen. Daraus kann nichts Gutes entstehen. Besuchen Sie die Fortbildungen und werben sie auch damit. Wofür haben Sie denn schließlich so viel bezahlt? Nur um einer lästigen Pflicht nachzukommen? Nein, Sie haben natürlich aufgepasst, sind über die aktuelle Rechtsprechung des BGH im Bilde und dürfen dies somit auch überall kenntlich machen. Leisten Sie gute Arbeit, respektieren Sie die Ziele der Mandanten, rechnen Sie fair ab und Sie können nicht verhindern, dass Sie als Experte für das entsprechende Gebiet weiterempfohlen werden.
Zu guter Letzt müssen sie sich unter allen Umständen und stets vor Augen zu halten, dass Sie ihr Gebiet ausüben, weil es ihre Wahl war. Ansonsten lassen Sie es besser gleich, oder Sie werden innerlich verkrüppeln. Sie müssen in dem Gebiet arbeiten, weil Sie es lieben.
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