Personalmangel in deutschen Gerichten
Seit einigen Jahren droht durch die Pensionierungswelle der Richter und Staatsanwälte ein massiver Personalmangel in den deutschen Gerichten. Dieser ist in den neueren Bundesländern sogar besonders stark. Dazu kommt, dass die meisten Absolventen kein Interesse am Richterberuf haben. Sollte dieser Entwicklung nicht bald entgegengewirkt werden, könnte dies Gefahren für den Rechtsstaat bergen.
Neue Bundesländer besonders stark betroffen
Aktuelle Zahlen geben vor, dass bis 2030 deutschlandweit rund 40 Prozent der Juristen aus dem Dienst ausscheiden würden. Das bedeutet, dass etwa 11.000 der rund 28.000 Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. In den neuen Bundesländern verliert die Justiz bis dahin sogar 62 Prozent aller Richter und Staatsanwälte, warnt der Deutsche Richterbund (DRB).
So werden in Sachsen-Anhalt zum Beispiel ab dem Jahr 2025 nach Angaben des Justizministeriums innerhalb von sieben Jahren die Hälfte der Richter und Staatsanwälte aus Altersgründen ausscheiden.
Der Grund für den starken Wegfall der Richter besonders im Osten ist die damalige Einstellungspraxis. Es wurden viele Mitarbeiter im gleichen Alter eingestellt, die heute alle zwischen 50 und 60 Jahren alt sind und bald pensioniert werden. Aber auch die übrigen Bundesländer sind von dem Problem betroffen.
Die Folge ist, dass die Justiz einer viel zu hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt ist. Richter und Staatsanwälte versinken in einer Klageflut, etwa bei Asylverfahren. Strafverfahren ziehen sich oft in die Länge oder müssen eingestellt werden. Haftanstalten sind in manchen Bundesländern überbelegt. Nach einer Berechnung werden in Deutschland etwa 2000 neue Richter und Staatsanwälte benötigt.
Richterjob unattraktiver als Wirtschaft
Die Lösung für das Problem ist mehr Nachwuchs. Es müssten jetzt überplanmäßig neue Richterinnen und Richter eingestellt werden, damit diese gut auf ihre Aufgaben vorbereitet sind, sollten ihre älteren Kollegen in Rente gehen. Dies gestaltet sich aber schwieriger als gedacht.
Nur wenige Jura-Absolventen zieht es nämlich in die Justiz. Vor allem diejenigen, die im Examen ein Prädikat oder besser erreicht haben, suchen sich lieber eine Stelle in der Wirtschaft oder in einer Großkanzlei. Der überwiegende Grund hierfür ist das Einkommen. Großkanzleien können mit einem jährlichen Einkommen von etwa 120.000 Euro im Einstiegsjahr dienen, während ein Richter nur auf etwa 48.000 Euro im Jahr kommt.
Auch zwischen den einzelnen Bundesländern zeichnen sich hier nochmal Unterschiede ab. Laut DRB bekam ein Richter in Baden-Württemberg im Jahr 2017 für die gleiche Arbeit fast 6000 Euro weniger als sein Kollege in Bayern. Im Saarland verdiente er sogar 11.000 Euro weniger. Kritiker bemängeln die unterschiedliche Richterbesoldung im Bundesgebiet als Folge der Föderalismusreform.
Geringere Einstellungsvoraussetzungen für Richter
Um deshalb trotzdem noch genügend Berufseinsteiger anzulocken, werden die Voraussetzungen für eine Einstellung herabgesetzt. Fast überall sind nun nicht mehr zwei Prädikatsexamina nötig; Noten im Bereich eines oberen „Befriedigend“ mit 7,7 Punkten reichen aus. Mehr zu den genauen Voraussetzungen ist in unserem Beitrag „Karriere ohne Prädikat“ zu finden.
Einige Kritiker befürchten, dass das Herabsenken der Einstellungsvoraussetzungen die Qualität der Rechtsprechung gefährdet. Hier muss sich jedoch die Frage gestellt werden, wie qualitativ hochwertig die Arbeit der überbelasteten Richter noch ist, wenn sich Verfahren stauen, Prozesse platzen und Verdächtige immer wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen, wie es zur Zeit der Fall ist.
Hilfe durch „Pakt für den Rechtsstaat“
Um die Justiz zu unterstützen hat die große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag einen „Pakt für den Rechtsstaat“ vereinbart. Damit sollten 2000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte sowie für entsprechendes Folgepersonal geschaffen werden. Ein erster Schritt in die richtige Richtung, wenn auch ein kleiner.
Der Bund stellt als Starthilfe Mittel für die neuen Stellen bereit. Die Länder sollen insgesamt 220 Mio. Euro erhalten. In jedem Fall ist die Finanzierung des Bundes nur für zwei Jahre vorgesehen. Damit es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt, soll das Geld durch „Festbeträge im Rahmen der vertikalen Umsatzsteuerverteilung“ frei gemacht werden. Dabei handelt es sich um einen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, dessen Verteilung vor allem in § 1 des Finanzausgleichsgesetz (FAG) geregelt ist.
Wie die Aufgaben der Länder in der Zukunft finanziert werden sollen ist noch unklar. Die Länder blicken dem Pakt noch skeptisch entgegen. Sie bemängeln, dass die Hilfe vom Bund nicht ausreiche und der Rechtsstaat auf diese Weise nicht gestärkt werden könne.
Wie die Verhandlungen auch ausgehen mögen, mehr besetzte Richterstellen sind in jedem Fall nötig, damit die deutschen Gerichte auch in Zukunft noch eine gute Arbeit leisten können (Stand 2019).