Können Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Mein Name ist Franziska Mayer, ich komme ursprünglich aus München und habe Jura an der Uni Regensburg studiert. Schon während meiner Schulzeit und auch während meines Studiums habe ich mich sehr für Strafrecht, v.a. Jugendstrafrecht interessiert. Ich habe während des Studiums mehrere Auslandsaufenthalte in Spanien (Erasmus), Mittel- und Südamerika (Freiwilligenarbeit/Praktika), sowie in den Niederlanden (LL.M.) verbracht. Vor allem zwei Praktika haben mich auch für meinen beruflichen Werdegang geprägt: Pferdegestützte Therapie mit behinderten Kindern in Ecuador und Mexiko und ein Praktikum im Jugendgefängnis in Peru. Diese Erfahrungen haben mich motiviert, meinen Schwerpunkt im Jugendstrafrecht zu setzen und im Rahmen meines Masters of Laws (LL.M.) die Masterarbeit über alternative Sanktionsformen für jugendliche Straftäter zu schreiben, die demnächst auf Deutsch veröffentlicht wird. (Titel: „Auf dem Pferderücken in die Gesellschaft. Ein Bauerhofprojekt als alternative Sanktionsform für jugendliche Straftäter.“) Ein ähnliches Thema werde ich im Rahmen meiner Doktorarbeit dieses Jahr behandeln.
Womit müssen Jurist:innen an einem typischen Arbeitstag als Verteidiger:in im Jugendstrafrecht rechnen?
Die Verteidigung im Jugendstrafrecht unterscheidet sich weder organisatorisch noch inhaltlich wesentlich zu der von Erwachsenen. Man führt die Mandantengespräche allerdings in den meisten Fällen – nach Entbindung der Schweigepflicht durch den Jugendlichen – zusammen mit den Eltern. Diese sind dabei oftmals aufgeregter als die Jugendlichen selbst. Ich versuche die Erstberatungsgespräche so zu führen, dass sowohl die Eltern aber vor allem meine jugendlichen Mandanten den Ablauf des Strafverfahrens, die Besonderheiten im Jugendstrafrecht und das weitere Vorgehen verstehen und mit einem besseren und beruhigteren Gefühl aus dem Gespräch gehen. In der weiteren Verteidigung im Ermittlungsverfahren oder vor Gericht mache ich keine Unterschiede. Hier lohnt es sich vor allem, für eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts und eine saubere rechtliche Würdigung sowie gegen eine Eintragung im Erziehungsregister zu kämpfen, was die Staatsanwaltschaften, aber auch Gerichte in der Hauptverhandlung, oft unterschlagen, um eine „gemeinsame Lösung durch ein offenes Gespräch“ herbeizuführen. Das kann in den Fällen sehr hilfreich und zielführend sein, in denen sich der Jugendliche geständig zeigt. Dann geht es – sofern Gericht und Staatsanwaltschaft fair sind – tatsächlich darum, im Gespräch eine sinnvolle erzieherische Lösung zu finden.
Aber aktive Verteidigung mit schweigendem Mandanten – wie im Erwachsenenstrafrecht üblich bei einem Freispruchsziel – wird vor dem Jugendgericht oftmals als „störend“ empfunden. Das muss man als Verteidiger aushalten können und mit Empathie für den Mandanten und Standfestigkeit gegenüber dem Gericht auftreten.
Was hat Sie dazu bewogen, sich für eine Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet zu entscheiden? In welchem Karrierestadium fiel die Entscheidung, anwaltlich in diesem Bereich tätig zu werden?
Das Interesse war bereits früh da. Schon in der Schulzeit und im Studium habe ich mich sehr mit diesem Rechtsgebiet beschäftigt. Auch im Schwerpunkt und während meines Masters of Law habe ich mehrere schriftliche Arbeiten in diesem Bereich verfasst (s.o.). Als ich als Strafverteidigerin bei HT Defensio angefangen habe, habe ich dieses Rechtsgebiet in unserer Kanzlei übernommen und bin inzwischen Fachkoordinatorin für Jugendstrafrecht, d.h. ich bin Ansprechpartnerin für die Kollegen bei Fragen im Jugendstrafrecht, besuche laufend Fortbildungen und verteidige häufig in jugendstrafrechtlichen Verfahren.
Ich bin der Meinung, dass vor allem Menschen in diesem jungen Alter viel Unterstützung brauchen, v.a. wenn sie sich einem Strafverfahren ausgesetzt sehen. Diese Unterstützung möchte ich leisten, um den Jugendlichen zur Seite zu stehen und für deren Rechte zu kämpfen, wenn es von Eltern keine Unterstützung gibt oder sie diesen als juristischen Laien oftmals nicht möglich ist. Das Jugendstrafrecht bietet im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht eine große Palette an (erzieherischen und juristischen) Möglichkeiten, was ich an diesem Rechtsgebiet sehr schätze.
Was macht die Arbeit als Strafverteidigerin für Sie besonders?
Die Arbeit als Strafverteidigerin bedeutet Kampf. Kampf für den Mandanten. Kampf für die Freiheit. Kampf gegen die Übermacht der Justiz. Es ist mir wichtig, für meine Mandanten in jedem einzelnen Verfahren in den Ring zu steigen und für das bestmöglichste Ergebnis zu streiten, der Justiz zu zeigen, was für ein Mensch vor Ihnen sitzt und den Mandanten vor dieser staatlichen Übermacht, vor Voreingenommenheit und vor ungerechten Urteilen zu schützen.
Was sind Ihrer Meinung nach die spannendsten bzw. schwierigsten Herausforderungen in dem Rechtsgebiet? Was gibt es für Besonderheiten bei der Arbeit für und mit Jugendlichen?
Das Schönste an der Verteidigung im Jugendstrafrecht ist die Verhandlungsatmosphäre vor Gericht. Gute Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte haben den Erziehungsgedanken wirklich verinnerlicht und leben diesen sowohl im, als auch außerhalb des Gerichtssaals. Dort ist dann ein offenes Gespräch und ein zielführendes – am Erziehungsgedanken orientiertes – Ergebnis möglich. Diese Ergebnisorientiertheit hat jedoch auch Tücken: Oftmals werden die rechtliche Würdigung, die Einhaltung der Strafprozessordnung oder gar die Beschuldigtenrechte nicht so ernst genommen, da „wir uns ja im Jugendstrafrecht befinden“ und das „nicht so Ernst zunehmen“ sei. Vor allem werden die Jugendlichen oftmals seitens der Polizei falsch belehrt und (ohne Anwalt) befragt, die Erziehungsberechtigten entgegen § 67 JGG nicht informiert oder ohne Rechtsgrundlage durchsucht. Für Jugendliche sind solche Situationen sehr überfordernd. Leider ist im Jugendstrafrecht bei amtsgerichtlichen Urteilen auch nur ein Rechtsmittel (entweder Berufung oder sodann Revision) möglich. Daher sind die Möglichkeiten der Überprüfung solcher Rechts- und Verfahrensfehler beschränkt. Es gibt erfreulicherweise im Jugendstrafrecht weitergehende Maßnahmen, die im Erwachsenenstrafrecht fehlen (z.B. weitere Einstellungsmöglichkeiten auch bei Verbrechen, umfangreichere Auflagen und Weisungen, U-Haftvermeidung, Vorbewährung, nachträglich Bewährungsanordnung etc.), jedoch auch in einigen Punkten eine erhebliche Benachteiligung im Gegensatz zu Erwachsenen (Eintragung von Einstellungen im Erziehungsregister, Rechtsmittel etc.).
Im Gegensatz zur oben beschriebenen Situation vor Gericht gibt es leider Richter und Staatsanwälte, die auch im Jugendstrafrecht den Jugendlichen um jeden Preis „bestrafen“ wollen und ihre Maßstäbe zu sehr am Erwachsenenstrafrecht anlehnen. Auch eine Unkenntnis der (rechtlichen) Besonderheiten im Jugendstrafrecht seitens der Justiz ist oftmals eine große Herausforderung für die Verteidigung. Eine aktive, selbstbewusste Verteidigung wird oftmals als Störfaktor empfunden oder als „Konfliktverteidigung“ verbrämt.
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Welche Soft Skills sind für eine anwaltliche Tätigkeit in diesem Rechtsgebiet vorteilhaft bzw. notwendig? Auf welche Anforderungen der Branche müssen sich Bewerber:innen hier einstellen?
Fundierte Kenntnisse im Jugendstrafrecht mit allen Besonderheiten (z.B. Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht, Eintragungen im Erziehungsregister, Voraussetzungen und Stufenverhältnis der Einstellungsnormen, Voraussetzungen der Jugendstrafe, Vorbewährung, etc.) sind natürlich Grundvoraussetzung.
Man sollte sowohl Empathie für den Jugendlichen und die Eltern mitbringen, als auch ein Feingefühl für den Umgang mit den sonstigen Verfahrensbeteiligten (Gericht, STA, JGH) vor Gericht und für die richtige Strategie. Hier geht es vor allem um die richtige Kommunikation. Der Jugendliche muss Vertrauen aufbauen, indem man ihm alles verständlich und nicht „belehrend“ erklärt und ihm signalisiert, ihm den Rücken zu decken und allein auf seiner Seite zu stehen. Die Eltern müssen sich abgeholt fühlen und die Richter und Staatsanwälte müssen entweder mit der nötigen Schärfe oder mit dem nötigen Einfühlungsvermögen behandelt werden. Auch ist es oftmals wichtig, Kontakt mit der Jugendgerichtshilfe oder sonstigen Stellen aufzubauen, um ein erzieherisch sinnvolles Ergebnis für den Jugendlichen zu erzielen. Die Verteidigung im Jugendstrafrecht ist daher manchmal etwas (Zeit)intensiver als bei Erwachsenen.
Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Erlangung des Fachanwaltstitels im Strafrecht?
Ich halte den Fachanwaltstitel für sehr sinnvoll und wichtig. Zwar lernt man im Studium und im Examen Strafrecht AT und BT und teilweise StPO. Allerdings ist das eben nicht der Inhalt des Fachanwaltslehrgangs. Hier werden die verschiedenen Rechtsgebiete aus dem Strafrecht – mit denen man weder im Studium, noch im Referendariat in Berührung kommt – z.B. Jugendstrafrecht, Betäubungsmittelstrafrecht, Verkehrsstrafrecht, Verteidigungsmethoden, Berufsrecht etc. vertieft behandelt. Es findet ein guter Austausch mit den Dozenten und unter den Kollegen statt. Letzteres ist ebenfalls ein wertvolles Tool im Alltag. Weiter ist man verpflichtet, jedes Jahr Fortbildungsstunden nachzuweisen, was ich ebenfalls als sehr wichtig empfinde, um vor allem bei Gesetzesänderungen oder Neuerungen in der Rechtsprechung am Ball bleiben (zu müssen).
Welche Aus-/Weiterbildung in dem Rechtsgebiet würden Sie Junganwält:innen ans Herz legen?
Auf jeden Fall den Fachanwaltskurs. Es gibt leider wenige FAO-Fortbildungen explizit für Jugendstrafrecht, aber dennoch immer wieder. Wichtig ist natürlich auch die Lektüre von Fachliteratur oder Handbücher für die Verteidigung im Jugendstrafrecht.
Welcher Ihrer Fälle ist bei Ihnen am meisten hängen geblieben? Was hat den Fall so besonders gemacht?
Das sind vor allem zwei große Fälle in den letzten 4 Jahren.
Der erste Fall ist leider so abgelaufen, wie oben beschrieben. Die Richter haben in diesem Verfahren vor der großen Jugendkammer am Landgericht (wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes in mehreren Fällen) den Erziehungsgedanken verkannt und horrende Jugendstrafen für die Angeklagten ausgesprochen. Meine aktive Verteidigung wurde von der Jugendkammer offen missbilligt.
Im Gegensatz dazu habe ich vor Kurzem einen tollen Erfolg am Jugendschöffengericht wegen des Vorwurfs des Handeltreibens (mit Waffen) mit mehreren Kilo Marihuana erlebt. Zunächst konnte ich den Mandanten aus der Untersuchungshaft holen. Dann konnte ich das Gericht zusammen mit einem Sachverständigung und einer sehr engagierten Jugendgerichthilfe überzeugen, überhaupt noch Jugendstrafrecht anzuwenden und am Jugendschöffengericht (und nicht am Landgericht) zu verhandeln, obwohl der Mandant bei einem Teil der Taten bereits erwachsen war. Ein weiterer großer Erfolg war die Überzeugung des Gerichts, eine Jugendstrafe zur Bewährung auszuurteilen, während die Staatsanwaltschaft 3 Jahre 9 Monate Jugendstrafe forderte. Hier fehlte seitens der Staatsanwaltschaft eine Begründung dieser hohen Jugendstrafe anhand des Erziehungsgedankens völlig. Das Urteil wurde dann nach Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft rechtskräftig. Das war letztes Jahr das schönste Weihnachtsgeschenk für meinen Mandanten, seine Familie und für mich.
Welchen Ratschlag würden Sie an diesem Rechtsgebiet interessierten Nachwuchsjurist:innen mit auf den Weg geben?
Traut euch an die Materie. Es gibt hier zwar viele Unterschiede und Besonderheiten im Gesetz, die man erstmal durchdringen muss. Aber gleichzeitig gibt es hier auch viel mehr Möglichkeiten als im Erwachsenenstrafrecht. Es macht unfassbar viel Spaß, kann aber auch manchmal frustrierend sein. Vor allem für Jugendliche ist es aber wichtig, dass sie jemanden an deren Seite wissen, dem sie vertrauen können und der für sie kämpft.
Vielen Dank für Ihre Zeit und das Interview, Frau Mayer!
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