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Gesellschaftsrecht: Limited, GmbH und UG

Anhand eines Fallbeispiels beleuchtet dieser Beitrag den Umgang mit den Rechtsformen der GmbH und Limited im Kontext des IPR in der Falllösung.
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Die britische Ltd. entspricht nämlich, so in etwa, der deutschen GmbH, also einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

Gesellschaftsrecht im europäischen Kontext

Über Weihnachten habe ich Charlotte wiedergetroffen. Nachdem sie mir erzählte, dass sie noch eine Klausur nachschreiben müsse, fragte ich sie höflichkeitshalber, worum es geht. Daraufhin antwortete sie unsicher, dass sie IPR mit Gesellschaftsrecht thematisieren wird. Im weiteren Verlauf des Gesprächs offenbarte sie, dass sie jedoch nicht genau wisse, was Gesellschaftsrecht überhaupt sei.

Als sie mich über die verbliebende Zeit zum Lernen aufklärte, schaute sie mich etwas merkwürdig aus den Augenwinkeln an und ich konnte ihr die Frage, ob ich es ihr mal versuchen sollte, zu erklären, buchstäblich von den Lippen ablesen. Am darauffolgenden Tag steckten wir unsere Köpfe über einen im Internet veröffentlichten Fall zusammen, den Charlotte mitgebracht hatte.

Es ging um einen Versandhandel in Nürnberg, der in der Rechtsform der britischen Ltd. in London gegründet worden war (Grundkapital drei Pfund) und nun Rechnungen, die in Nürnberg aufgelaufen waren, nicht bezahlen konnte.

Der Gläubiger wollte stattdessen einen der beiden vermögenden Gesellschafter in Anspruch nehmen und meinte, in Wirklichkeit hätten die beiden Gesellschafter nach deutschem Recht eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) betrieben und deshalb nähme er jetzt den vermögenden Gesellschafter (A) unmittelbar und persönlich in Anspruch. Charlotte kam zunächst auf die Idee, in das deutsche IPR zu schauen, um herauszufinden, ob der Fall nach englischem oder deutschem Recht zu lösen ist.

IPR steht für Internationales Privatrecht, das die Kollisionsnormen enthält, wenn ein Sachverhalt Auslandsberührung hat und steht teilweise im EGBGB, aber zum Teil auch in europäischen Verordnungen und Staatsverträgen. Daraufhin fragte ich sie, um was es bei europäischen Verordnungen gehen könnte.Charlotte sinnierte einen Moment und meinte, dass es da so verschiedene Verordnungen wie Rom I/II/III gebe.

Genauso ist es und ich verwies sie darauf, einen Blick in das Gesetz zu werfen. Charlotte schlug ihre IPR-Textsammlung auf und las dann vor, dass es für das Gesellschaftsrecht überhaupt keine IPR-Regeln im deutschen Recht gibt. Da sei zwar mal ein Abkommen in Arbeit und geplant gewesen, aber es sei nie in Kraft getreten.

„Also wir haben kein kodifiziertes IPR, was machen wir jetzt?“, fragte ich sie. „Tja, das wüsste ich auch gern“, meinte Charlotte. Ich erinnerte sie an das europäische Recht und machte sie auf eine entscheidende Frage aufmerksam: Gilt eigentlich das europäische Recht in Deutschland?

Dieses bejahte sie und ich fragte sie, woraus sich das ergebe und wies sie dann auf die Existenz des Art. 23 GG hin, wonach europäische Normen im deutschen Recht gelten sollen und außerdem auf den Art. 4 EGBGB, der genau dasselbe anordnet. „Ja und?“, meinte Charlotte – „Die Frage lautet also, an welcher Stelle im europäischen Vertrag findest du irgendetwas über Gesellschaften.“ „Keine Ahnung.“

Nachdem sie das Kapitel über das Niederlassungsrecht aufgeschlagen hatte, nämlich Art. 49 AEUV, zeigte ich ihr, dass sich Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft frei in allen Mitgliedstaaten niederlassen dürfen, und Art. 54 AEUV macht deutlich, dass dasselbe Recht auch für Gesellschaften gilt. Die Folge ist, dass eine Gesellschaft, die nach europäischem Recht in irgendeinem Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist, das Recht hat, sich in der ganzen europäischen Gemeinschaft frei niederzulassen.

„Damit“, sagte Charlotte, „wäre der Fall ja schon gelöst, denn die britische Ltd. ist ja nach dem Sachverhalt in London ordnungsgemäß gegründet worden“. „Genau“, sagte ich, „das scheint so zu sein. Die Frage ist nur, ob nicht vielleicht doch im europäischen Vertrag irgendwo etwas drin steht, was an diesem Ergebnis Zweifel hervorruft“.

Ich berichtete ihr von einer langen Rechtsprechungstradition des Europäischen Gerichtshofs, die das Stichwort Daily Mail trägt. Die Daily Mail-Doktrin galt viele Jahrzehnte und besagte, dass eine Gesellschaft nur dann existent sein könne, wenn das Recht des Aufnahmestaates das zulässt. Bezogen auf den uns vorliegenden Fall heißt das, dass es in Deutschland zulässig sein müsste, dass eine Gesellschaft nach dem Recht des Landes, in dem sie gegründet worden ist (England), wirksam arbeiten darf.

Das aber ist nach deutschem Recht nicht der Fall, wenngleich das nirgendwo ausdrücklich steht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist es so, dass Gesellschaften, die in Deutschland ihren Sitz haben und in Deutschland arbeiten – bei uns das Unternehmen in Nürnberg mit dem Versandhandel – nach deutschem Recht gegründet sein müssen.

Das nennt der BGH die Sitztheorie. Würden wir in Deutschland die Gründungstheorie zulassen, dann würde das Recht des Staates ausreichend sein, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Das wäre in unserem Fall England. Genauso ist es aber nach dem deutschen Recht nicht, denn wir verlangen, dass eine Gesellschaft, die in Deutschland tätig ist, nach deutschem Recht gegründet ist.

Und genau das hat auch der Europäische Gerichtshof viele Jahrzehnte lang akzeptiert – natürlich nicht nach deutschem Recht, sondern auf der Grundlage des europäischen Vertrages. Schau doch bitte einmal in Art. 49 Abs. 2 AEUV ganz am Schluss hinein. Da heißt es nämlich, dass die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten umfasst, insbesondere auch die Gründung und die Leitung von Gesellschaften und zwar – jetzt kommt’s – nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen.

Somit kann jedes Unternehmen seinen Sitz nach Deutschland verlegen – jeder Europäer kann auch in Deutschland eine Gesellschaft gründen, aber – so der EuGH in Daily Mail – er muss das immer nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates tun. Das heißt in Deutschland nach der Sitztheorie.

Das heißt, das deutsche Recht muss die ordnungsgemäß in England gegründete Ltd. akzeptieren. Damit liegt sie richtig und es beweist, dass unser Nürnberger Versandhandelsunternehmen völlig zu Recht und absolut ordnungsmäßig mit der britischen Ltd. firmiert hat und die weitere Folge davon ist, dass man die Gesellschafter, die die Ltd. gegründet haben, wegen der Gesellschaftsschulden nicht persönlich in Anspruch nehmen kann.

Die britische Ltd. entspricht nämlich, so in etwa, der deutschen GmbH, also einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Und bei dieser Gesellschaftsform, die wir in Deutschland auch die kleine Aktiengesellschaft nennen, handelt es sich um eine juristische Person, bei der ausschließlich die Gesellschaft für die Schulden der Gesellschaft haftet, während die Gründer überhaupt nicht mithaften.

Charlotte verwies auf das sehr geringe Grundkapital von drei Pfund, womit man nicht allzu lange wirtschaften könne. Aber es ist niemand gezwungen mit einer britischen Ltd. oder auch mit einer deutschen GmbH Geschäfte zu machen. Wenn einem die Bonität der Gesellschaft, mit der man verhandelt, nicht geheuer ist, dann sollte man besser die Finger vom Geschäft lassen. Hinterher, wenn es dann zu spät ist, kann man jedenfalls nicht sagen, dass die Gesellschaft mit dieser Gesellschaftsform nicht arbeiten durfte.

Dies ergibt auch für Charlotte einen Sinn, denn nur das europäische Recht ist eben in Wirklichkeit Teil des deutschen Rechtes. Wir nennen das europäische Recht deshalb auch suprnationales Recht – das heißt, die europäischen Regeln sind – über Art. 23 GG – Teil der deutschen Rechtsordnung geworden. Wir wenden also in Wahrheit deutsches Recht an, weil wir das europäische akzeptieren – und das machen alle Mitgliedstaaten in Europa so.Bei dem Fall mit dem Nürnberger Versandhandel gucken die Gläubi- ger folglich in die Röhre, weil die beiden Gründer mit der britischen Ltd. in Deutschland arbeiten durften und folglich nicht persönlich haften.

„Heißt das“, fragte Charlotte, „dass die Deutschen in Deutschland eine Ltd. gründen können?“ „Nein“, sagte ich, „das können sie nicht, denn in Deutschland gilt deutsches Recht. In Deutschland kennen wir die Ltd. nur als englische Rechtsform, aber nicht als deutsche. Wer also in Deutschland mit einer britischen Ltd. arbeiten will, muss diese zunächst einmal in Großbritannien ordnungsgemäß gründen und dann den Sitz nach Deutschland verlegen.

Das ist aber nicht schwer. Die Gründung einer britischen Ltd. kann man nämlich im Internet mit einem entsprechenden Klick hinkriegen und die Sitzverlegung kann man danach gleich als Geschäftsführer der britischen Ltd. beschließen, sodass in Wahrheit die Geschäftstätigkeit der Ltd. von der ersten Sekunde an in Deutschland stattfindet.“ Mit jeder Gesellschaftsform eines jeden Mitgliedstaates kann man dieses tun.

Es gibt in Deutschland Gesellschaften, die z.B. nach französischem Recht gegründet sind und in Deutschland weiter existieren. Die Frage ist immer nur, ob die Nachteile, die man sich mit einer solchen ausländischen Gesellschaftsform einhandelt, die Vorteile wirklich überwiegen.

Nachteil ist zum Beispiel, dass man für sämtliche Beschlüsse innerhalb der Gesellschaft immer das jeweilige ausländische Recht kennen und beachten muss und die Bilanzen müssen für die ausländische Gesellschaft nach ausländischem Recht gemacht werden, das kann ganz schön kompliziert und vor allem auch ziemlich teuer werden, weil man in Deutschland nur wenige Rechtskundige findet, die in der Lage sind, ausländisches Bilanzrecht zu beherrschen. Das ist der Grund, warum sich viele Leute völlig zu Recht genau überlegen, ob es

Daraus schlussfolgerte Charlotte, dass das deutsche Recht, die in London gegründete Ltd. gar nicht anerkennt. Dem stimmte ich zu und fügte hinzu, dass der EuGH mit der Entscheidung Centros Mitte der 1990er-Jahre1 die langjährige Daily Mail-Doktrin gekippt hat, weil der Art. 49 Abs. 1 AEUV darauf verweist, dass die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen verboten sind.

Wenn der Begriff Staatsangehörige durch den Begriff Gesellschaft ersetzt wird, dann heißt es dort, dass Beschränkungen der freien Niederlassung von Gesellschaften verboten sind. Nach kurzer Denkpause verstand Charlotte das Gesagte und meinte: „Die Gesellschaft als solche kann überhaupt nicht verboten werden, auch wenn sie die Grenze überschreitet – das heißt die Bestimmungen des Aufnahmestaates für die eigenen Angehörigen betreffen gar nicht das Gesellschaftsstatut, sondern alle die Regeln, die es zusätzlich und ergänzend in der jeweiligen Gastrechtsordnung gibt. „Genauso hat auch der EuGH in Centros und später in vielen weiteren Urteilen argumentiert.“

Ich habe mir das immer versucht so klarzumachen: „Wenn eine natürliche Person – zum Beispiel Charlotte oder ich – an eine europäische Grenze gekommen ist, dann müssten wir – das gilt auch heute noch – natürlich auf der anderen Seite der Grenze das Recht des Nachbarlandes beachten. Aber: Unsere Existenz als natürliche Person mussten wir nicht an der Grenze erst aufgeben. Wir mussten folglich nicht erst „sterben“, um dann auf der anderen Seite der Grenze wiederbelebt zu werden.“

Anders formuliert: Unsere Rechtsfähigkeit, die wir nach § 1 BGB mit der Geburt erworben haben, ist offenbar ein universelles Recht, das uns niemand nehmen kann – auch wenn wir die Grenze überschreiten. Übrigens so steht es auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 (Art. 6 UN Charta) ausdrücklich drin: Jeder Mensch ist rechtsfähig und zwar auf der ganzen Welt.

Charlotte fasste zusammen, dass der EuGH sagt, dass eine Gesellschaft, die nach englischem Recht gegründet worden ist, bei der nicht vernünftiger wäre, mit einer deutschen Rechtsform zu arbeiten, zumal der deutsche Gesetzgeber auf die Centros-Rechtsprechung reagiert hat und heute die Möglichkeit eröffnet, eine GmbH bereits mit einem einzigen Euro zu gründen. Man muss dann aber den Zusatz UG hinzufügen, damit die Menschen draußen wissen, dass dieses ein Unternehmen ist, das praktisch überhaupt kein eigenes Kapital hat.

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