Einleitung
Viele haben große Angst vor dem „ersten Mal“. Dabei ist der Aktenvortrag ein sehr dankbarer Prüfungsteil des 2. Staatsexamens, so dass man ihm generell mit Gelassenheit und einem vernünftigen Training begegnen kann.
Wer von Beginn des Referendariats an regelmäßig Aktenvorträge gemeinsam mit Kollegen übt, ist auf der sicheren Seite. Denn in den meisten Fällen behandeln Aktenvorträge typische Standardprobleme, welche man entweder ohnehin kennt oder aber mit einem kurzen Blick in den Kommentar lösen kann.
Für viele Referendarinnen und Referendare ist weniger die fachliche Seite das Problem des Aktenvortrags, sondern vielmehr die methodische Seite und die Angst, vor Fachpublikum einen freien Vortrag zu halten. Dieser Beitrag soll dazu dienen, diese Angst zumindest ein bisschen abzumildern und das methodische Handwerkszeug in seinen Grundzügen darzustellen.
Der Aktenvortrag ist – das wird von vielen Prüfern so auch offen geschildert – die Eintrittskarte in eine erfolgreiche mündliche Prüfung. Wer hier sehr gut startet, muss sich keine großen Sorgen machen, dass kleinere Schwächen in den folgenden Prüfungsgesprächen zu einem Punkteabzug führen.
Wer jedoch extrem schlecht in den Aktenvortrag startet, wird in vielen Fällen auch keine großen Sprünge mehr nach oben machen – wenngleich ein schlechter Aktenvortrag nicht bedeutet, dass die mündliche Prüfung auch nur noch schlecht laufen kann. Dennoch gilt leider auch hier: Der erste Eindruck ist häufig der wichtigste.
PRAKTISCHES
Die folgenden „Tipps“ mögen mitunter wie selbstverständlich klingen, sollen aber dennoch nicht unerwähnt bleiben:
GRUNDAUSRÜSTUNG
Was sollte man zwingend mit sich führen? Dies beginnt bei vernünftigen Stiften und Textmarkern in verschiedenen Farben, mit denen man sich den gelegentlich etwas umfänglicheren Aktenauszug von Beginn an gut strukturieren kann und endet bei einer Armbanduhr für das richtige Zeitmanagement.
Letzteres ist bei Aktenvorträgen nämlich von erheblicher Bedeutung. Man sollte sich daher frühzeitig überlegen, ob man in der Lage ist, in der Aufregung des Aktenvortrages die Uhrzeit richtig abzulesen und die verbleibende Vortragszeit zu errechnen oder ob es nicht doch besser ist, sich eine Küchenuhr mit Countdown-Zähler o.ä. mitzunehmen.
Informieren sollte man sich auch frühzeitig über die örtlichen Begebenheiten der Prüfungsräumlichkeiten. In vielen Prüfungsämtern sitzen die Examenskandidaten aus verschiedenen Prüfungsgruppen im ständigen Wechsel in einem großen Vorbereitungsraum, um sich auf ihren Aktenvortrag vorzubereiten.
Deshalb ist jedem, der sich von der Geräuschkulisse gestört fühlt, die leider bei einem ständigen „Kommen und Gehen“ bei noch so großer Rücksichtnahme nicht vermeiden lässt, die Mitnahme von Ohrenstöpseln anzuraten.
Ins Gepäck gehören natürlich die zugelassenen Kommentare und Gesetzestexte.
„ÜBUNG MACHT DEN MEISTER“
Dieses Sprichwort gilt gerade für Aktenvorträge. Wer schon von Beginn des Referendariats an regelmäßig und kurz vor dem Termin der mündlichen Prüfung verstärkt Aktenvorträge übt, gewinnt Sicherheit und Souveränität. Am besten übt man gemeinsam mit anderen Referendarskollegen, die auf die Vortragszeit achten und direkt im Anschluss noch das obligatorische, ergänzende Prüfungsgespräch führen.
Anschließen sollte sich eine umfassende Manöverkritik durch die anwesenden Kollegen, bei der kein Blatt vor den Mund genommen werden sollte. Im vertrauten Kollegenkreis kann man viel besser Kritik im Hinblick auf Vortragsstil, Gestik und Mimik üben und auch vertragen, als im Prüfungstermin eine böse Überraschung zu erleben.
Geeignete Aktenvorträge mit Lösungen findet man in allen gängigen Ausbildungszeitschriften, aber z.B. derzeit auch frei zugänglich auf den Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen im dortigen Bereich für Referendarinnen und Referendare.
BLICKKONTAKT UND VORTRAGSSTIL
Wichtig ist auch, während des Aktenvortrages Blickkontakt zu den Mitgliedern der Prüfungskommission zu halten. Dies ist nicht nur ein Akt der Freundlichkeit, sondern schafft Verbindlichkeit und strahlt Souveränität aus. Zudem kann man teilweise aus den Gesichtern der Prüfer Zustimmung ablesen und damit ein bißchen ruhiger werden.
Neben dem Blickkontakt sollte man sich seinen eigenen Vortragsstil antrainieren, der – was wahrlich nicht verwundert – nicht unbedingt monoton sein sollte, sondern lebhaft-professionell, damit die Prüfer, die unter Umständen den identischen Aktenvortrag am Prüfungstag nunmehr zum vierten Mal hören, nicht unnötig strapaziert und gelangweilt werden. Ziel sollte sein, den Vortrag mit ruhiger, sicherer Stimme und verständlichem Ton sowie in angemessenem Tempo zu präsentieren.
ZEITMANAGEMENT
Von besonderer Bedeutung ist auch ein vernünftiges Zeitmanagement. Das kennt man schon aus den Examensklausuren. Dies verschärft sich beim Aktenvortrag aber noch einmal. Denn in der Regel hat man exakt 60 Minuten Vorbereitungszeit, um dann in nicht mehr als 10-12 Minuten einen Aktenvortrag zu halten.
Das richtige Zeitmanagement kann man nur durch regelmäßige Übung erlernen. Denn das Gelingen eines guten Zeitmanagements korrespondiert auch mit weiteren Faktoren, nämlich zum Beispiel der methodischen Sicherheit, die man besitzt und der Fähigkeit, schnell und zielsicher zu strukturieren.
Bei der Erstellung eines Konzeptpapiers für den Vortrag sollte man sich auch grob skizzieren (zum Beispiel durch farbliche Markierungen), wie viel Zeit man für welchen Teil des Vortrags maximal verwenden will. Kurz vor der mündlichen Prüfung wird man dies vermutlich nicht mehr machen müssen, weil man bis dahin bei aus- reichender Übung ein Zeitgefühl entwickelt hat und weiß, wo welche zeitlichen Schwerpunkte zu setzen sind.
Folgende Faustformel sollte man sich bei der Zeiteinteilung merken: Wer den vorgegebenen Zeitrahmen von zehn Minuten deutlich überschreitet, zeigt, dass er nicht in der Lage ist, einen vergleichbar kleinen Fall in der dafür erforderlichen Zeit darzustellen und zu lösen. Wer deutlich unter dem vorgegebenen Zeitrahmen bleibt, hat entweder etwas vergessen oder viel zu oberflächlich gelöst.
AUFBAU
Im Folgenden soll kurz skizziert werden, welche wesentlichen Elemente ein Aktenvortrag im Strafrecht aus Anwaltssicht aufweisen muss. Abweichungen können sich aus der Prüfungsaufgabe immer ergeben. Diese ist selbstverständlich stets zuerst und aufmerksam zu lesen, um sich unnötige Arbeit zu ersparen.
EINFÜHRUNGSSATZ UND MANDANTENBEGEHREN
Wer den Vortrag mit einem wohl überlegten und gut vorgetragenen Einführungssatz beginnt, gewinnt Sicherheit und die Aufmerksamkeit der Prüfer. Dafür kann es hilfreich sein, sich den ersten Satz ausformuliert aufzuschreiben oder ihn kurz vor dem Vortrag im Kopf zu formulieren. Hier ist in einem zusammenhängenden Satz alles Wesentliche aufzuzeigen. Dabei sind folgende Fragen zu beantworten:
- Wem liegt der Sachverhalt wann zur Bearbeitung vor?
- Wer ist der Mandant?
- In welchem Jahr ereignet sich der zu begutachtende Sachverhalt?
In einem weiteren Satz ist das wesentliche Mandantenbegehren aufzuzeigen und zusammenzufassen.
Beispiel: Ich berichte über einen Sachverhalt, der Herrn Rechtsanwalt Müller im Jahr 2012 zur Bearbeitung vorliegt. Mandant ist Toni Täter, der Beratung über die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gegen einen gegen ihn gerichteten Strafbefehl des Amtsgerichts B-Stadt vom 01.03.2012 begehrt.
SACHVERHALT
Bei der Sachverhaltsdarstellung soll in der gebotenen Kürze skizziert werden, worum es bei dem Fall geht. Dabei muss man sich stets auf das für die Prüfung relevante beschränken. Mit dem Sachverhalt, der sich später in den rechtlichen Erwägungen widerspiegeln muss, soll der Zuhörer nur über die wichtigen Sachverhaltselemente informiert werden. Details können – soweit dies überhaupt erforderlich ist – auch noch im Rahmen der rechtlichen Erwägungen nachgeliefert werden.
Bei der Frage, was in den Sachverhalt aufgenommen werden muss, muss man sich an der Ausgangssituation orientieren. Exemplarisch: Will der Mandant – wie im obigen Beispiel – zur Frage der Erfolgsaussichten eines Strafbefehls beraten werden, ist der wesentliche Inhalt des Strafbefehls und das Strafmaß neben dem strafrechtlich relevanten Sachverhalt darzustellen.
Geht es um eine Revision ist auch hier der grundlegende Inhalt des Urteils darzustellen sowie – wenn sich dies aus dem Aktenauszug ergibt – auch Prozessgeschichte darzustellen, die für die Revision von Belang ist.
Geht es hingegen um die Beratung in einem noch laufenden Ermittlungsverfahren ist der Stand des Verfahrens neben dem strafrechtlich relevanten Sachverhalt darzustellen.
Orientierung gibt insgesamt der Blick auf das, was man im Rahmen der rechtlichen Erwägungen erörtern möchte. Denn nur das ist – so- weit das allgemeine Verständnis nichts anderes erfordert – im Sachverhalt aus tatsächlicher Sicht zusammenzufassen.
Einführungssatz, Mandantenbegehren und Sachverhalt sollten in der Regel nicht mehr als 3-4 Minuten der Vortragszeit in Anspruch nehmen – „in der Kürze liegt die Würze“.
VORSCHLAG
Bevor die rechtlichen Erwägungen folgen, wird die Sachverhaltsdarstellung mit einem ersten Kurzvorschlag abgerundet, damit die Zuhörer eine erste Orientierung erfahren. Damit wird das Ergebnis bereits in einem Satz vorweggenommen.
Beispiel: „Ich schlage vor, Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen“ oder „Ich schlage vor, dem Mandaten zu raten, gegen den Strafbefehl keinen Einspruch einzulegen“.
Entsprechend ist dies auf andere Sachverhaltskonstellationen zu übertragen.
RECHTLICHE ERWÄGUNGEN UND ZWECKMÄßIGKEITSERWÄGUNGEN
Mit den Worten „Dies beruht auf den folgenden rechtlichen Erwägungen“ wird der wichtigste Teil des Aktenvortrags eingeleitet. Mit den rechtlichen Erwägungen, die im Gutachtenstil zu halten sind, kann man die meisten Punkte sammeln.
Dabei ist Unwichtiges in der gebotenen Kürze im Urteilsstil abzuhandeln. Prüfer legen großen Wert auf eine vernünftige Schwerpunktsetzung. Diese sollte aus den rechtlichen Erwägungen auch deutlich werden. Die meiste Zeit ist den gewählten Schwerpunkten zu widmen.
Prüft man das weitere Vorgehen im noch laufenden Ermittlungsverfahren wird die Frage der Strafbarkeit des Mandanten, also die Prüfung eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne von § 170 StPO im Vordergrund stehen. Muss man hingegen die Erfolgsaussichten einer Revision prüfen müssen, ist zunächst deren Zulässigkeit und dann deren Begründetheit zu prüfen. Nicht anders verhält es sich bei der Frage nach den Erfolgsaussichten eines Einspruchs im Strafbefehlsverfahren.
Sind alle rechtlichen Fragen beantwortet und bietet der Sachverhalt noch entsprechendes „Argumentationsmaterial“, sind noch Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. Diese können sehr vielseitig sein. Hier muss erörtert werden, welches weitere Vorgehen prozessual möglich und sinnvoll ist.
ABSCHLIEßENDER VORSCHLAG/ANTRAGSFORMULIERUNG
Abschließend ist auf Grundlage der rechtlichen Erwägungen und der Zweckmäßigkeitserwägungen ein abschließender Vorschlag zu unterbreiten – der je nach Aufgabenstellung, die diesbezüglich aufmerksam gelesen werden sollte, in der Ausformulierung eines Antrags bestehen kann. Dieser muss mit dem ersten vorläufigen Vorschlag übereinstimmen.
von Staatsanwalt Alexander Otto (Bochum) in Iurratio Ausgabe 2/2012
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