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Darf man Jura-Bücher aus dem Fenster werfen?

Die Juristerei ist schon eine faszinierende Angelegenheit, zumal dann, wenn man sie nicht nur als Pargrafenhandwerk, sondern als Gesellschaftswissenschaft versteht. Warum ist ein Gesetz so gemacht, wie es gemacht ist? Was steckt dahinter? Das sind Fragen, die unglaublich spannend sind.
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Darf man Jura-Bücher aus dem Fenster werfen?

Ein Wort zur Begrüßung der Erstsemester von Prof. Dr. Heribert Prantl (Uni Bielefeld)

Von meinem Großvater habe ich als Grundschüler einen „Palandt” geerbt. Es handelt sich um ein regelmäßig in neuer Auflage erscheinendes juristisches Kommentarwerk, etwa zwei Ziegelsteine groß und auch etwa so schwer. Wahrscheinlich konnte niemand anderer mit diesem Palandt etwas anfangen, zumal da es sich um eine schon damals ältere Auflage handelte.

Beeindruckt von Gewicht und Umfang der Schrift sowie der kompletten Unverständlichkeit des Inhalts stellte ich mir den „Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch” ins Regal neben meine Abenteuer-Bücher. Das war wohl, im Alter von sechs oder sieben Jahren, der Beginn meiner Karriere als Jurist.

Im Lauf der Zeit begann ich, die Menschen zu bewundern, die sich mit Sätzen aus diesem Buch ihr Brot verdienen können. Mit Sätzen wie diesem: „Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht.”

Es handelt sich hierbei um den Paragrafen 164 Absatz 2 BGB. Dieser besagt, ins normale Deutsche übersetzt, dass im Zweifel ein Jeder im eigenen Namen handelt. Wenn man aber so einen verschraubten Satz nur oft genug gelesen hat, wird er einem so lieb wie „Fischers Fritze fischt frische Fische”.

„Alles Recht hört auf das Kommando dieses hirnbrecherischen Schuldrechts.“

Das Bürgerliche Gesetzbuch hat nun die Eigenheit, dass unter seinen knapp zweieinhalbtausend Paragrafen, die das Leben, Lieben und Wirtschaften des Menschen von der Wiege bis zur Bahre (und darüber hinaus) penibel regeln und ordnen, nicht nur Zungenbrecher sind.

Gleich kapitelweise finden sich dort auch solche Paragrafen, die man mit Fug und Recht als Hirnbrecher bezeichnen darf. Die meisten davon enthält der Teil des Gesetzeswerks, der „Schuldrecht” heißt, sich mit Störungen in vertraglichen Beziehungen befasst und als juristische Schaltzentrale fungiert; alles Recht hört auf das Kommando dieses hirnbrecherischen Schuldrechts.

Das Jurastudium ist ein Abenteuer

Diese und viele andere Paragrafen werden Ihnen nun, liebe Studienanfänger, in denen ersten Semestern begegnen. Das Jurastudium ist ein Abenteuer; aber man überlebt es, und manchmal, vielleicht sogar immer öfter, kaut mit einiger Lust auf diesen Paragrafen herum.

Die Juristerei ist schon eine faszinierende Angelegenheit, zumal dann, wenn man sie nicht nur als Pargrafenhandwerk, sondern als Gesellschaftswissenschaft versteht. Warum ist ein Gesetz so gemacht, wie es gemacht ist? Was steckt dahinter? Das sind Fragen, die unglaublich spannend sind. Vergessen Sie daher die Rechtsgeschichte und die Rechtsphilosophie in Ihrem Studium nicht.

„Beim Studium der Vorschriften des Schuldrechts (..) habe ich den vorgenannten Palandt aus dem Fenster geworfen.“

Im vierten Semester, beim Studium der Vorschriften des Schuldrechts habe ich, verärgert und verzweifelt über die komplexe Materie, den vorgenannten Palandt, der mich bis dahin als Maskottchen begleitet hatte, aus dem Fenster geworfen.

Die Straftat des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, die in dieser Art der Eigentumsaufgabe zu sehen sein dürfte, ist mittlerweile verjährt, und die Scham über das eigene intellektuelle Unvermögen wurde schon seinerzeit gemildert durch den Trost des Professors: Es habe auch schon Lehrstuhlinhaber gegeben, die über dem Studium dieser Rechtsmaterien wahnsinnig geworden seien.

„Sie haben eine spannendende (…) Zeit vor sich“

Ich erzähle Ihnen das, liebe Erstsemester, weil das Gefühl, dass man überhaupt nichts kapiert, zum Jurastudium gehört. Man kommt darüber hinweg – auch ohne dass man einen Palandt aus dem Fenster wirft. Sie haben eine spannende, manchmal frustrierende, aber auch faszinierende Zeit vor sich.

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