Crowdwork – die neue Form der „Arbeit“?
von Colin Blumauer
A. Einführung
Weltweit entstehen neue Beschäftigungsformen. Dieses Phänomen ist nicht nur Ausfluss der Globalisierung, sondern lässt sich im Einzelnen auch auf die Attraktivität von alternativen Beschäftigungsverhältnissen zurückführen. Insbesondere Arbeitgeber streben nach Möglichkeiten, um Produktivität zu optimieren und gleichzeitig Personalausgaben zu reduzieren.1
Arbeitnehmer erfreuen sich hingegen an der Freiheit, im Hinblick auf Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilität zunehmend wie ein Selbstständiger tätig zu sein.2 Diese Annäherung des ursprünglichen Arbeitnehmers an die Selbstständigkeit ist weder in gesellschaftlicher noch in rechtlicher Hinsicht unbedenklich. So ist seit dem 21. Jahrhundert ein Rückgang des traditionellen Arbeitsverhältnisses zu verzeichnen, der durch eine Zunahme von atypisch Beschäftigten und Solo-Selbstständigen aufgefangen wird.3
Diese Entwicklung korreliert mit einer Ertragsschwäche, die gleichermaßen für Selbstständige und atypisch Beschäftigte gilt.4 Mindestens ein Drittel aller Solo-Selbstständigen soll demnach nicht über 8,50€ in der Stunde verdienen.5
B. Das Phänomen Crowdwork
I. Erscheinungsformen
Ein neues Phänomen der alternativen Beschäftigung ist das sogenannte Crowdwork. Der erste Reflex der Leser, sich zu fragen, was dieses Wort bedeuten soll, kann direkt im Keim erstickt werden. Es handelt sich nicht, wortgetreu übersetzt, um Massenarbeit.
Vielmehr bedienen sich Unternehmen beim externen Crowdwork der Möglichkeit, bestimmte Aufgaben an eine meist unbestimmte Menge an Menschen, die „crowd“ über Plattformen im Internet auszulagern.6 Beim internen Crowdwork handelt sich um den nicht allzu neuartigen Fall, dass innerhalb eines Konzerns oder Unternehmens bestimmte Aufgaben ausgeschrieben werden, die dann unternehmensübergreifend bearbeitet werden können.7
1 Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025.
2 Waltermann, NJW-Beil. 2010, 81, 82; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1033.
3 Krause, 71. DJT, B107; Waltermann, NJW-Beil. 2010, 81, 82.
4 Krause, 71. DJT, B107.
5 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1033.
6 Däubler, S. 316.
7 Leimeister/Zogaj/Blohm, in: Benner, S. 16; vgl. Kort, NZA 2013, 1318.
Die Vielfältigkeit beider Erscheinungsformen lässt sich daran erkennen, dass nahezu jede Aufgabe ausgelagert werden kann. Denkbar sind sowohl die Zerstückelung von einzelnen größeren Arbeitsprozessen als auch die Bearbeitung von Aufgaben mit minimalem Aufwand, wie z.B. die manuelle Eingabe von Zahlen oder die Verifizierung von richtigen Namen.1 In den meisten Fällen schließen die Crowdworker den Vertrag mit einer Plattform, die Aufgaben der Unternehmen annimmt und sodann delegiert.2
In anderen Fällen fungiert die Plattform tatsächlich nur als Vermittler, sodass die Crowdworker insbesondere bei der Erbringung von umfangreicheren Arbeitsleistungen direkt mit dem Unternehmen eine vertragliche Beziehung aufbauen.3
II. Progression in Deutschland
In Deutschland hat die Crowdwork-Plattform Clickworker nach eigenen Angaben mittlerweile über 700.000 Mitglieder generiert, während das Portal „twago“ ein Auftragsvolumen von 172 Millionen Euro mitteilt.4 Das wohl bekannteste Portal amerikanischen Ursprungs, Amazon Mechanical Turk, besitzt mehr als 500.000 angemeldete Mitglieder aus über 190 Nationen.5 Diese Zahlen steigen stetig an.
C. Rechtliche Einordnung
Diese Entwicklung könnte jedoch bald ein jähes Ende finden. Grund dafür ist die Unüberschaubarkeit der rechtlichen Einordnung von Crowdworkern, insbesondere im Hinblick auf deren Arbeitnehmereigenschaft. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund privatrechtlichen Vertrages zur Leistung im Dienste eines anderen zu weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.6
Diese Definition scheint auf den ersten Blick relativ unbestimmt, liefert jedoch größtenteils befriedigende Ergebnisse hinsichtlich der Abgrenzung von Selbstständigen und Arbeitnehmern. Das lässt sich am Beispiel der internen Crowdworker verdeutlichen. Sofern lediglich innerhalb des Unternehmens Prozesse zerstückelt und Aufgaben verteilt werden, stellt die Arbeitnehmereigenschaft der Crowdworker kraft persönlicher Abhängigkeit im Unternehmen selten ein Problem dar.
1 Böhm, CuA 10/2014, 15; Strube, in: Benner, S. 76.
2 Däubler, in: Benner, S. 246.
3 Däubler, S. 319.
4 Strube, in: Benner, S. 84, 85; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1034.
5 Böhm, CuA 10/2014, 16; Strube, in: Benner, S. 75.
6 BAG, Urt. v. 21.07.2015 – 9 AZR 484/14; ErfK/Preis, § 611 Rn. 35.
So wird ein Mitarbeiter innerhalb eines Unternehmens, dem immer neue kleine Aufgaben zugeteilt werden, rechtlich als Arbeitnehmer zu kategorisieren sein.1 Selbst wenn ein Arbeitnehmer kurzfristig mit dessen Einverständnis für ein anderes Konzernunternehmen tätig ist, ändert dieser Umstand nichts am Arbeitnehmerstatus.2
Das Phänomen Crowdwork wird jedoch ganz wesentlich extern geprägt. Letztendlich wird nur ein Internetzugang benötigt, um Teil der Crowdwork-Community zu werden und kleine Centbeträge für vollbrachte Aufgaben zu verdienen. Es verwundert, dass die Plattformen progressiv Mitglieder verzeichnen können, wenn ein Blick auf die Arbeitsbedingungen externer Crowdworker gerichtet wird.
So kann es Einzelfall wie bei einem Preisausschreiben vorkommen, dass ein Crowdworker trotz rechtzeitiger Fertigstellung der Arbeit keine Vergütung erhält, da diese im Verhältnis zu anderen Leistungen schlechter war.3 Die Auftragnehmer haben bisweilen sogar die Möglichkeit, Leistungen gänzlich unbegründet abzulehnen.4 Darüber hinaus gibt es keine festen Stundensätze, sondern oftmals Cent-Beträge für die Fertigstellung von Arbeiten der Plattform. Für die überwiegende Bearbeitung von Mikroaufgaben liegt die Durchschnittsvergütung der Crowdworker zwischen zwei und drei Euro in der Stunde.5
Die Begrifflichkeit „Auftragnehmer“ und „Auftraggeber“ im Zusammenhang mit externem Crowdwork, indiziert gleichzeitig dessen Problematik. Die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers kann sich in einem Arbeitsverhältnis in Anlehnung an § 106 GewO sowohl auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit, allerdings auch die Art und den Inhalt der zu leistenden Arbeit, beziehen.6
Neben dem Tatbestandsmerkmal der Weisungsgebundenheit wird auch oft auf die Eingliederung in die fremde Organisation für die persönliche Abhängigkeit eines Arbeitnehmers abgestellt.7 Mit Blick auf die externen Crowdworker ergibt sich folgendes Bild: Sie konkurrieren mit anderen anonymen Erwerbstätigen im Internet um ausgeschriebene Aufträge, die überwiegend vollständig ausformuliert sind und keiner weiteren Konkretisierung bedürfen.8
1 Benner, in: Benner, S. 294, 295; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1033, 1035.
2 Däubler, S. 317; Klebe/Neugebauer, AuR 2014, 5.
3 Strube, in: Benner, S. 82, 83 f.
4 Strube, in: Benner, S. 82; Mecke, SGb 2016, 484.
5 Däubler, S. 321.
6 NK-GA/Schöne, § 611 Rn. 65.
7 ErfK/Preis, § 611 Rn. 70; Zöllner/Loritz/Hegenröder, § 5 Rn. 35, 36.
8 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1033, 1034.
Hinsichtlich der Arbeitszeit oder dem Arbeitsort gibt es keine Vorgaben des Auftraggebers. Außerdem ist es dem Crowdworker freigestellt, wie und vor allem wo er die Aufgaben erledigt. All diese Punkte deuten darauf hin, dass es sich beim externen Crowdworker nicht um einen Arbeitnehmer sondern um einen Selbstständigen handelt.1 Zwar liegt regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag zur Leistung von Diensten vor.
Allerdings fehlt regelmäßig das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit.2 Eine Ausnahme ist nur dann vorstellbar, wenn es sich um längerfristige Projekte handelt, die von Gruppen bearbeitet werden, die gewissen Weisungen unterliegen. Doch auch in einem solchen Fall sind die Übergänge zwischen Selbstständigkeit und Arbeitnehmereigenschaft nahezu fließend.3
Ist Crowdwork also ein rechtsfreier Raum? Selbstverständlich unterliegen Verträge mit Crowdworkern bei vorformulierten Klauseln der AGB-Kontrolle, die im Zweifelsfall zu dem Ergebnis führt, dass ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt. Allerdings stellt auch der Schutz von AGB-Kontrollen de lege lata keine befriedigende Lösungen dar, insbesondere da auch das anwendbare Recht und die gerichtliche Zuständigkeit oftmals nicht hinreichend geklärt sind.4
Zwar muss nicht, wie von einigen Autoren vertreten, befürchtet werden, dass Crowdwork dem Arbeitsverhältnis gar „den Garaus machen“5 könnte. Allerdings beweisen die Mitgliederzahlen der Plattformen, dass Crowdwork kein rechtsfreier Raum bleiben darf.
D. Lösungsansätze
Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre die längst überfällige Reform des Heimarbeitsgesetzes mit einer Ausdehnung des Geltungsbereiches im Hinblick auf neue Beschäftigungsformen, wie etwa Crowdwork.6 Zusätzlich sollten Gewerkschaften einen Blick auf die Digitalisierung der Arbeitswelt haben und für neue Beschäftigungsformen sensibilisiert werden. Der Gesetzgeber ist ebenfalls gefragt, die neuen Entwicklungen im rechtlichen Blickfeld zu behalten und sich der Dynamik des Arbeitsrechts anzupassen. Nur so kann langfristig effektiver Schutz gewährleistet werden.
1 Däubler, S. 317; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032, 1035.
2 Däubler, S. 322; Klebe/Neugebauer, AuR 2014, 5.
3 Vgl. Mecke, SGb 2016, 484.
4 Vgl. die Darstellung von Däubler, S. 323 ff.
5 Hanau, NJW 2016, 2613, 2614.
6 So auch: Krause, 71. DJT, B106.
Der Autor: Colin Blumauer studiert Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg. Er ist 21 Jahre alt. Den Beitrag „Crowdwork – die neue Form der „Arbeit“?„ hat er im Rahmen des 1. Iurratio-Schreibwettbewerbs im Sommer 2017 eingereicht. Sein Text schaffte es auf den 3. Platz!