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Grundrechte – Eine Einführung (Teil 2)

Die prägende Bedeutung der Grundrechte für die Bundesrepublik Deutschland als freiheitlichen Rechtsstaat wird an ihrer Stellung im Grundgesetz erkennbar. Die Staatsform ist die einer Republik und einer Demokratie, sie ist ein Bundesstaat und ein sozialer Staat, vor allem aber ein Rechtsstaat.
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Einzelne Grundrechte (Auswahl)

Die Grundrechte des Grundgesetzes lassen sich nach ihrem jeweiligen Schutzgut, wie hier der einleitende Überblick ergab, einteilen in Grundrechte, die vor allem die Persönlichkeitssphäre des Einzelnen schützen wollen, in Grundrechte, die die kommunikative Ebene betreffen, in Grundrechte mit wirtschaftlichem Bezug, die die berufliche Entfaltung und das Eigentum schützen wollen, in Gleichheitsgrundrechte, sowie die jedenfalls grundrechtsgleichen Gewährleistungen der Art. 101 ff, die „Justizgrundrechte“.

Diese Einteilung ist nicht abschließend, manche Grundrechte entziehen sich eindeutiger Zuordnung wie etwa das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und ungestörte Religionsausübung, das sowohl als Grundrecht des Individuums als auch der Kommunikation aufgefasst werden kann.[35] Im Folgenden soll ein Überblick über den Inhalt der auch im Jurastudium wichtigsten Grundrechte gegeben werden. Aktuelle Problemfälle sollen dies beispielhaft aufzeigen.

I. Art. 2 Abs. 1 GG: Allgemeine Handlungsfreiheit

Art. 2 Abs. 1 GG schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es wirkt in zwei Richtungen: zum einen „passiv“ als Abwehrrecht gegen ein Eindringen in die Persönlichkeitssphäre: Dies ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR), zu dessen Ableitung regelmäßig noch Art. 1 Abs. I GG herangezogen wird.[36]

Zum anderen enthält Art. 2 Abs. I GG eine „aktive“ Entfaltungsfreiheit – sie wird ganz überwiegend im Sinn einer allgemeinen Handlungsfreiheit gedeutet. Jedwedes menschliche Verhalten fällt in den Grundrechtstatbestand, der damit jede Betätigung umfasst, die nicht schon in einem der spezielleren Grundrechte benannt ist.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine für die Persönlichkeitsbildung besonders „wertvolle“ Betätigung handelt – auch banale Freizeitbeschäftigungen fallen darunter, so dass z.B. ein Gesetz, nach dem das Reiten im Wald nur auf besonders gekennzeichneten Wegen erlaubt ist, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstellt.[37] Art. 2 Abs. 1 GG ist daher ein „Auffanggrundrecht“, das dann eingreift, wenn keines der folgenden, ausdrücklich benannten Grundrechte einschlägig ist.

Dies gilt auch dann, wenn ein Nichtdeutscher sich im Schutzbereich eines Deutschengrundrechts – z.B. Art. 12 I GG – betätigt, so kann er sich auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen: so auch der nichtdeutsche muslimische Metzger gegenüber der berufsbeschränkenden Regelung des Schächtverbots.[38] Entsprechend weit wird die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung definiert als die Gesamtheit der der Verfassung gemäßen Rechtsnormen.

Ein Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit ist also dann gerechtfertigt, wenn er durch ein Gesetz erfolgt bzw. auf einem Gesetz beruht, das in formeller und materieller Hinsicht verfassungsmäßig ist; in Bezug auf das Grundrecht muss der Eingriff verhältnismäßig sein. Praktische Anwendungsfälle sind z.B. Freizeitbeschäftigungen oder die Auferlegung von Geldleistungspflichten.

Art. 2 Abs. 1 GG ist betroffen bei einer Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden wie einer Industrie- und Handwerkskammer oder der „verfassten Studentenschaft“[39]. Wenn ein solcher Verband einen verfassungsrechtlich legitimen öffentlichen Zweck verfolgt, so ist es gerechtfertigt, alle in Betracht kommenden Personen einzubeziehen, wenn dies zur effektiven Aufgabenwahrnehmung beiträgt.

Dies gilt aber nur im Rahmen der legitimen Aufgaben der Körperschaft. Deshalb kann sich das Mitglied dagegen wehren, dass der Verband seinen Aufgabenbereich überschreitet (also z.B. gegen allgemeinpolitische Tätigkeit des AStA[40]). Die Verfassungsmäßigkeit des sog. „Semestertickets“ ist jedoch positiv geklärt.[41] Zunehmend aktuell – nicht zuletzt in Anbetracht zunehmend obrigkeitsstaatlicher Entwicklungen in der EU – ist die Frage, ob und inwieweit der Staat den Bürger „vor sich selbst“ schützen darf.[42]

Dabei geht es einerseits um das „Menschenbild des Grundgesetzes“, das im Spannungsfeld von Privatautonomie und Gemeinschaftsbezogenheit gesehen wird – deshalb dürfte auch eine Rolle spielen, inwieweit die Folgen gefährlichen Verhaltens von der Allgemeinheit zu tragen sind.

II. Der Schutz der Persönlichkeit

1) Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG

Aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wurde, unter Einbeziehung der Garantie der Menschwürde in Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) als selbständige Grundrechtsgewährleistung entwickelt. Es schützt „den engeren persönlichen Lebensbereich und die Erhaltung seiner Grundbedingungen“,[43] einen „autonomen Bereich privater Lebensgestaltung“, in dem der Einzelne „seine Individualität entwickeln und wahren kann“.[44]

Und je mehr der Einzelne in seiner Individualität betroffen ist, umso schwerer wiegt hier auch die Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG, aus der ja das Gebot folgt, den Einzelnen in seiner Individualität zu achten.

Das APR hat unterschiedliche Facetten. Es umfasst zunächst den Schutz der Privatsphäre.[45] Herkömmlich wird hier unterschieden zwischen einer Intimsphäre, die vor Eingriffen generell geschützt ist, einer Privatsphäre, in die unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingegriffen werden darf, und einer Sozialsphäre, die noch weitergehenden Beschränkungen unterliegen soll.

In räumlicher Hinsicht gehört zur Privatsphäre ein „Rückzugsbereich des Einzelnen, der ihm insbesondere im häuslichen, aber auch im außerhäuslichen Bereich die Möglichkeit des Zu-Sich-Selbst-Kommens und der Entspannung sichert …“[46]. Eine weitere Facette des APR könnte als Recht der Selbstdarstellung gekennzeichnet werden. Hierzu zählt insbesondere das Recht am eigenen Bild.[47]

Eine etwas diffuse weitere Fallgruppe, die als mit dem Begriff des Schutzes der personellen Identität umschrieben werden könnte, erfasst die Identität der Person und hierbei gewisse Grundbedingungen individueller Existenz, z.B. sexuelle Identität und Selbstbestimmung, die Kenntnis der eigenen Abstammung; es geht um das Recht der Selbstbestimmung.

In der „digitalen Welt“, unter den Bedingungen von elektronischer Datenverarbeitung, vernetzter Kommunikation und Computerisierung hat der Schutz der Privatsphäre erhöhte Aktualität erlangt.[48] Schon früh (1984) hat hier das Bundesverfassungsgericht hat aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Grundrecht auf „Informationelle Selbstbestimmung“ abgeleitet: „Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst.

Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“[49] Aktuellen Gefährdungen des Persönlichkeitsschutzes trägt das Gericht schließlich mit dem in seiner grundlegenden Entscheidung vom 27.2.2008[50] entwickelten Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – dem sog. „Computer-Grundrecht“ Rechnung.

Die Grundrechte des Grundgesetzes sind also durchaus anpassungsfähig an „moderne“ Gefährdungen, bei neuen polizeilichen Präventions- und Fahndungsmethoden (Online-Durchsuchung,[51] Vorratsdatenspeicherung[52]). Hier liegt die besondere Schwere des Grundrechtseingriffs vor allem darin, dass der Betroffene von derartigen Maßnahmen häufig keine Kenntnis erlangt, zum anderen in der Verdachtslosigkeit und große Streubreite: es werden zahlreiche Personen einbezogen, die den Eingriff in keiner Weise durch zurechenbares Verhalten veranlasst haben.

Der Staat darf aber die Bürger nicht als prinzipiell verdächtig behandeln. Hier die grundrechtliche Freiheit zu schützen, ist Daueraufgabe für das Bundesverfassungsgericht und zunehmend auch für den Europäischen Gerichtshof.

2) Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 GG

Art. 2 GG enthält in Satz 1 das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Es geht hier also um die Integrität der physischen Existenz. Leben umfasst: auch das ungeborene Leben[53] (jedenfalls ab Nidation); körperliche Unversehrtheit wird umfassend im biologisch-physiologischen Sinn aufgefasst.

Vor allem für dieses Grundrecht wurde die Schutzfunktion der grundrechtlichen Schutzpflichten entwickelt. Aus grundrechtlichen Schutzpflichten wird auch die Gesetzgebung zum Nichtraucherschutz legitimiert, die ja die Nichtraucher in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt.

3) Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2, Art. 104 GG

Art. 104 GG schützt zusammen mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Freiheit der Person, auch durch Verfahrensgarantien, die traditionell unter dem Begriff des habeas corpus zusammengefasst werden und zu den ältesten Grundrechtsgarantien überhaupt zählen. Jede Freiheitsentziehung erfordert die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots.

Für Freiheitsstrafen gilt das Gebot der Schuldangemessenheit.[54] Art. 1 Abs. 1 GG fordert ihre menschenwürdige Ausgestaltung.[55] Deshalb muss zumindest die Chance bestehen, wieder in Freiheit zu kommen.[56] Einen besonders schwerwiegenden Eingriff bedeutet die präventive Freiheitsentziehung, also die Sicherungsverwahrung von Straftätern[57] oder auch die Unterbringung in geschlossenen Anstalten, die ja auf der Prognose beruhen, der Betroffene werde künftig Straftaten begehen.

Die Verhältnismäßigkeit ist nicht mehr gewahrt, wenn die Freiheitsentziehung schon sehr lange andauert, aber nur eine geringe Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten gegeben ist oder auch dann, wenn keine sorgfältige Gefahrenprognose erstellt wurde.[58]

4) Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 GG

Der Schutz der Persönlichkeitssphäre wird räumlich arrondiert durch den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung als eines Rückzugsraums für den Einzelnen in Art. 13 GG, schützt vor einer Überwachung der Wohnung durch technische Hilfsmittel von außerhalb, die nur ganz ausnahmsweise zulässig ist, und fordert für Durchsuchungen eine richterliche Anordnung, sofern nicht Gefahr im Verzug ist – dies muss mit konkreten Tatsachen begründet werden.[59]

Ebenfalls um den Schutz der Persönlichkeitssphäre geht es beim Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG. Der Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses erfasst auch die Kommunikationsdienste des Internet (z.B. E-Mails), und hier sowohl die Inhalte als auch die äußeren Umstände der Kommunikation, also Zeitpunkt, Ort, Dauer und Teilnehmer.

5) Glaubens- und Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Die Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst die Freiheit, einer bestimmten religiösen Überzeugung oder Weltanschauung anzuhängen ebenso wie die Freiheit zur Areligiosität, die Freiheit, nicht zu glauben. Dies sind Vorgänge, die im Innern der Person vorgehen und vom Recht ohnehin nicht erfasst werden können – anders als das Bekenntnis zum Glauben, die Religionsausübung, oder eben auch das Äußern einer areligiösen Weltanschauung.

Dies wird gleichermaßen vom Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfasst, wie auch das vom Glauben geleitete Verhalten im Alltag, also das Befolgen religiöser Bekleidungs- und Ernährungsvorschriften. Der Streit um das Kopftuch der Lehrerin oder das Burka-Verbot oder auch die Teilnahmepflicht der muslimischen Schülerin am Schwimmunterricht haben hierin ihre Grundlage.

Mit der Abnahme konfessioneller Gebundenheit und religiöser Homogenität der Gesellschaft scheinen die Verfassungskonflikte um Art. 4 GG zuzunehmen. Dies betrifft auch das „Kruzifix im Klassenzimmer“.[60] Hier geht es um die „negative Religionsfreiheit“, also das Recht, nicht ungewollt und ohne Ausweichmöglichkeit mit Glaubenssymbolen konfrontiert zu werden. Der Staat ist in Fragen der Religion zur Neutralität verpflichtet, wenngleich das Grundgesetz keinen strikten Laizismus wie etwa die französische Republik vorgibt.

III. Kommunikationsgrundrechte

1) Meinungs- und Medienfreiheit, Art. 5 Abs. 1 und 2 GG

Bei den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG, also der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit und der Freiheit von Presse, Rundfunk und Film im Satz 2 geht es um die freie Kommunikation zwischen Individuen, und damit auch um freie Meinungsbildung in der Gesellschaft, Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung[61]; daher können die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 GG auch als Kommunikationsfreiheiten gekennzeichnet werden.

Als gemeinsamer Schutzzweck aller Freiheiten des Abs. 1 ist daher auch die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung[62] anerkannt. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe fügt sich in diesen Zusammenhang[63]ein. Die Freiheit der Meinung ist ein elementares Menschenrecht.

Sie ist „…als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte“ und „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“[64] – so die unverändert gültige Feststellung des Bundesverfassungsgerichts im wegweisenden Lüth-Urteil[65].

Die Meinungsfreiheit steht in der Tradition der klassischen Menschenrechte. Demgemäß formuliert Art. 11 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: “La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l´homme“. Und ähnlich formuliert der EGMR: „Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft, eine der Hauptvoraussetzungen ihrer Entwicklung und der Entfaltung eines jeden Menschen.“[66]

„Meinung“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist jede „wertende Stellungnahme“, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie „wertvoll“ oder überhaupt „richtig“ ist: „There is no such thing as a false idea“, wie der Supreme Court – an dem sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade zur Meinungsfreiheit maßgeblich orientiert hat“ – prägnant feststellte. Auch Tatsachenmitteilungen sind als Meinungsäußerungen geschützt, jedenfalls wenn sie meinungsbildend wirken, was in aller Regel der Fall ist.

Und wie bei der Meinungsfreiheit nicht zwischen wertvoller und weniger wertvoller Meinung unterschieden werden darf, gilt das auch für die Presse: jede Art von Presse – darunter fallen im Prinzip alle Druckerzeugnisse und auch online-Ausgaben der Presse – kann den Schutz der Pressefreiheit beanspruchen, „seriöse“ meinungsbildende Presse ebenso wie die schlichte Unterhaltungspresse.

Die gesamte Tätigkeit der Presse ist grundrechtlich geschützt: von der Informationsbeschaffung bis zur Verbreitung; so z.B. auch das Redaktionsgeheimnis, weshalb die Durchsuchung von Redaktionsräumen einen schweren Eingriff in die Pressefreiheit darstellt. Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen, wie auch die weiteren Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG, den in Absatz 2 genannten Schranken. Praktisch am bedeutsamsten sind die „allgemeinen Gesetze“.

Dies bedeutet aber nicht, dass die Meinungs- oder Pressefreiheit beliebig eingeschränkt werden könnten. Es besteht eine „Wechselwirkung“ zwischen dem Grundrecht und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem schon erwähnten, grundlegenden „Lüth-Urteil“ ausgeführt hat: „Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muss, auf jeden Fall gewahrt bleibt.

Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und „allgemeinem Gesetz“ ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die „allgemeinen Gesetze“ aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die ‚allgemeinen Gesetze’ zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung wieder eingeschränkt werden müssen.“

Für die Rundfunkfreiheit gelten Besonderheiten. Das BVerfG legt die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG prinzipiell abweichend von anderen Grundrechten, auch denen aus Art. 5 GG aus. Denn „unter den Medien kommt dem Rundfunk wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft besondere Bedeutung zu“.[67] Der Gesetzgeber muss hier sicherstellen, dass Rundfunk staatsfrei, aber auch frei von einseitiger gesellschaftlicher Beherrschung bleibt.

Es darf keine Meinungsmonopole geben, das Programm muss meinungsmäßige und gegenständliche Vielfalt gewährleisten. Da aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts die privaten Rundfunkveranstalter auf Grund kommerzieller Zwänge dies nicht in vollem Umfang leisten, muss es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben und hat dieser ein Recht auf Bestand, Entwicklung und Finanzierung. Dies rechtfertigt die Erhebung von Rundfunkgebühren oder –beiträgen.[68]

2) Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG

Die Versammlungsfreiheit schützt vor allem die Freiheit der kollektiven Meinungsäußerung, insoweit in Ergänzung zu Art. 5 Abs. 1 GG und ist als demokratische Grundfreiheit „Stellung zu nehmen“ unentbehrliches und grundlegendes, stabilisierende Funktionselement der Demokratie insbesondere im repräsentativen System.

Die Versammlungsfreiheit steht unter dem Friedlichkeitsvorbehalt des Art. 8 Abs. 1 GG – unfriedlich ist eine Versammlung aber noch nicht, wenn nur einzelne Teilnehmer sich „unfriedlich“ verhalten, wohl aber dann, wenn diese Gewalttätigkeiten aus der Versammlung heraus und durch die Versammlungsteilnehmer gedeckt erfolgen.

III. Wirtschaftliche Freiheiten: Berufsfreiheit und Eigentum

Das Grundgesetz gibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor. Es gewährleistet aber in Art. 12 Abs. 1 GG die freie Wahl von Arbeitsplatz und Beruf, sei es als Arbeitnehmer, sei es in selbständiger Tätigkeit als unternehmerische Freiheit, und es gewährleistet in Art. 14 GG das Privateigentum. Art. 12 GG schützt den Erwerb, Art. 14 GG schützt das Erworbene. Sowohl Berufsfreiheit als auch Eigentumsfreiheit stehen dabei in einem engen Bezug zu den Persönlichkeitsrechten des Grundgesetzes.

Berufliche Betätigung ist ein wichtiger Aspekt der Persönlichkeit, und das Eigentum soll seinem Träger einen Freiraum im wirtschaftlichen Bereich sichern und ihm hierdurch die Grundlage für eigenverantwortliche Daseinsgestaltung gewährleisten.

1) Freiheit des Berufs. Art. 12 GG

Art. 12 Abs. 1 GG schützt das Recht, einen Beruf frei zu wählen und auszuüben. Beruf ist jede „auf Schaffung und Unterhaltung einer Lebensgrundlage gerichtete und auf Dauer angelegte Tätigkeit“. Mitunter wird versucht, den Berufsbegriff weiter einzuschränken und unerwünschte oder „sozial unwertige“ Tätigkeiten wie z.B. die Veranstaltung von Glücksspiel auszugrenzen. Derartige Kriterien sind aber zu unbestimmt und es darf auch nicht dem Belieben des Gesetzgebers überlassen sein, wie weit der Schutz der Berufsfreiheit reichen soll.

Deshalb sollten nur solche Tätigkeiten ausgenommen werden, die generell verboten sind – wie die Tätigkeit des Auftragskillers oder gewerblichen Hehlers. Mit der Wahl und der Ausübung des Berufs erfasst das Grundrecht der Berufsfreiheit die gesamte berufliche Betätigung.

Das Grundrecht der Berufsfreiheit wird nicht unbegrenzt gewährleistet, d.h. Eingriffe in dieses Recht sind nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt. Nach dem Wortlaut unterliegt zwar nur die Berufsausübung dem Gesetzesvorbehalt.

Da Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG aber die Berufswahl und die Berufsausübung als einheitliches Grundrecht schützt, unterliegt es auch einheitlich mit seinem Berufswahl- und Berufsausübungsaspekt dem Gesetzesvorbehalt.[69] Berufswahlregelungen unterliegen jedoch strengeren Anforderungen.

Die Freiheit der Berufswahl wird eingeschränkt durch subjektive Zulassungsvoraussetzungen wie z.B. Sachkundenachweise oder das Erfordernis der Zuverlässigkeit, oder auch, im Fall des Gastwirts, durch eine Bestimmung im Gaststättenrecht, nach der keine Tatsaschen die Annahme nahelegen, dass der Bewerber um die Konzession „dem Trunke ergeben ist“. Derartige Beschränkungen müssen durch gewichtige Gemeinwohlgründe gerechtfertigt sein.

Erst recht gilt dies für objektive Zulassungsschranken, auf die der Einzelne keinen Einfluss hat, wie bei einer Bedürfnisprüfung: die Anzahl der Berufsträger wird auf gesetzlicher Grundlage beschränkt.

Dies war der Fall bei Apotheken, ehe das Bundesverfassungsgericht im wegweisenden Apothekenurteil aus dem Jahr 1958[70] für derartige Beschränkungen den Nachweis dringender Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter fordert Regelungen der Berufsausübung betreffen das Verhalten im gewählten Beruf, z.B. die berufliche Außendarstellung im Wege der Werbung, die etwa freien Berufen wie Rechtsanwälten ursprünglich nahezu gänzlich untersagt war – auch dies wurde vom Bundesverfassungsgericht korrigiert.[71]

2) Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG

Das Eigentum soll also die materielle Basis für die freie Persönlichkeitsentfaltung sichern und steht daher in engem Zusammenhang mit den Freiheitsrechten. Dieser personale Bezug des Eigentums spielt eine wichtige Rolle in der Abwägung: je stärker er ausgeprägt ist, desto höhere Schutzwürdigkeit genießt das Eigentum.[72] Dieser Ansatz ist nicht ganz unproblematisch – der Schutz des Eigentums beschränkt sich jedenfalls nicht auf „unsrer Oma ihr klein Häuschen“.

Eigentum iSv Art. 14 Abs. 1 GG ist jedes vermögenswerte private Recht, dingliche wie obligatorische Rechte, auch das geistige Eigentum, dessen Schutz dem Anliegen eines open access Grenzen setzt. Art. 14 GG schützt vor Enteignungen, die nach Abs. 3 nur zum Wohl der Allgemeinheit und gegen Entschädigung und auch dann nur als ultima ratio zulässig sind. Im Übrigen ermächtigt Art. 14 GG in Abs. 1 S. 2, das Eigentumsrecht näher auszugestalten, dessen Inhalt und Schranken zu bestimmen.

Öffentlich-rechtliche Körperschaft, kann aber auch ein Privater sein. Typische Fälle von Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind z.B. die Festlegung von Schutzgebieten im Naturschutzrecht, Bestimmungen über die bauliche Nutzung, Bestimmungen des Mieterschutzrechts. Dabei muss ein angemessener Ausgleich von Eigentümerinteressen und Gemeinwohlbelangen erfolgen.

Der Gebrauch des Eigentums soll nach Art. 14 Abs. 2 GG „zugleich“ dem Wohl der Allgemeinheit dienen – zunächst also ist es in seiner Privatnützigkeit geschützt.

IV. Gleichheit

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ waren die Forderungen der französischen Revolution – die Freiheit ist in den Freiheitsgrundrechten des Grundgesetzes realisiert, deren durchgängige Gemeinwohlbindung auch als Ausdruck der Brüderlichkeit gedeutet werden mag.

Gleichheit ist in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet – als Gleichheit vor dem Gesetz, und damit als Rechtsgleichheit. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet also nicht zur Herstellung tatsächlicher, gesellschaftlicher Gleichheit – insoweit besteht also kein Gegensatz zwischen Freiheit und grundrechtlicher Gleichheit,[73] während die Herstellung tatsächlicher Gleichheit sehr wohl grundrechtliche Freiheit beschränken kann.

Jede Ungleichbehandlung muss durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein; im unterschiedlich hohe Steuersätze bei der Einkommensbesteuerung z.B. sind gerechtfertigt, soweit sie an die unterschiedliche Leistungsfähigkeit anknüpfen, während es das BVerfG in einer aktuellen Entscheidung als gleichheitswidrig sah, eingetragene Lebenspartnerschaften anders zu besteuern als Ehen,[74] hier bestanden keine so relevanten Unterschiede, dass diese die Ungleichbehandlung hätten rechtfertigen können.[75]

Dass bei Inkrafttreten des Grundgesetzes niemand daran dachte und diese Entscheidungen noch absolut undenkbar gewesen wären, zeigt, dass sich der Inhalt von Verfassungsnormen durchaus im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen ändern kann.

Art. 3 Abs. 2 S. 2 sowie auch Abs. 3 S. 1 GG verbiete Ungleichbehandlungen, die an das Merkmal des Geschlechts anknüpfen. Eine etwaige Ungleichbehandlung von Mann und Frau müsste ihren Grund haben in objektiv unterschiedlichen Lebensumständen, bzw. objektiv biologischen Unterschieden, darf aber keine Festschreibung tradierter Rollenverteilung bewirken.

Im Verhältnis von Mann und Frau besteht nun tatsächlich ein Auftrag des Grundgesetzes, tatsächliche Gleichheit herzustellen: Dies besagt der Gleichstellungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. GG, der auch in gewissem Maße Quotenregelungen rechtfertigen mag. Ebenso wie das Merkmal des Geschlechts dürfen die weiteren in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten Kriterien nicht zur Begründung von Ungleichbehandlung herangezogen werden; zulässig sind aber wegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Ungleichbehandlungen zugunsten Behinderter.

Ein besonderes Differenzierungsverbot enthält schließlich Art. 6 Abs. 1 GG: der Gesetzgeber darf Ehe und Familie nicht benachteiligen, z.B. durch nachteilige Regelungen im Sozialrecht oder im Steuerrecht.

V. Justizgrundrechte

Als „Justizgrundrechte“ werden die grundrechtsgleichen Garantien der Art. 101 GG bis Art. 104 GG bezeichnet. Sie betreffen die Stellung der an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten und ganz allgemein des Bürgers, der der Justiz unterworfen ist. Der Zugang zum Gericht ist demgegenüber Gegenstand der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, soweit es um Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt geht, und wird iÜ durch den rechtsstaatlichen Justizgewährsanspruch garantiert.

Für die Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens sind das Recht auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und ein allgemein rechtsstaatliches Gebot eines „fairen“ Verfahrens bestimmend. Das Recht auf den gesetzlichen Richter in Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist vor allem für die Gerichtsorganisation bedeutsam: Der für den konkreten Fall zur Entscheidung berufene Richter muss nach abstrakt-generellen Kriterien durch Gesetz (und Geschäftsverteilungspläne) im Voraus bestimmt sein.

Grundrechte – Eine Einführung (Teil 1)

Fußnoten
Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig. Er ist Autor des zum Wintersemester 2014/2015 in 30. Auflage vorliegenden Lehrbuchs „Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht mit Bezügen zum Europarecht“
[35] So bei Ipsen, Staatsrecht II – Grundrechte, 16. Aufl. 2013, § 9.
[36] Vgl. Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 5 Rdn. 36.
[37] BVerfGE 80, 137.
[38] BVerfGE 104, 337.
[39] In neueren Gesetzen politisch korrekt – geschlechtsneutral: „Studierendenschaft“.
[40] Vgl. dazu den Fall bei Dietlein/Heinemann, NWVBl 2003, 114.
[41] BVerwGE 109, 97; s den Fall bei Rozek, SächsVBl 2003, 177, 200.
[42] Vgl. den Fall bei Schmidt, NdsVBl 2003, 195, 197.
[43] BVerfGE 121, 69, 90.
[44] BVerfGE 117, 202, 225.
[45] BVerfGE 101, 361,382.
[46] BVerfGE 120, 180,205.
[47] BVerfGE 120, 180,198.
[48] BVerfGE 120, 274, 303.
[49] BVerfGE 65, 1.
[50] BVerfGE 120, 274.
[51] BVerfGE 120, 274.
[52] BVerfGE 130, 151.
[53] BVerfGE 39, 1, 37; 88, 203, 251 f.
[54] BVerfGE 20, 323,331; 25, 269, 286; 27, 18,29); 45, 187, 228; 50, 5,10 ff.; s. auch Degenhart, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 103 Rdn. 55.
[55] BVerfGE 131, 268, 287.
[56] BVerfGE 45, 187, 229; 109, 133,150; 131, 268, 287; BVerfGK 19, 209, 220 f..
[57] BVerfGE 128, 326, 374.
[58] Vgl. BVerfG NJW 2013, 3145.
[59] BVerfGE 103, 142.
[60] BVerfGE 93, 1; EGMR EuGRZ 2011, 677.
[61] BVerfGE 8, 104, 112; 20, 56, 98; 101, 361, 389.
[62] Vgl. etwa nur BVerfGE 57, 295, 319; 101, 361, 389 (Caroline).
[63] BVerfGE 90, 241, 246;128, 226, 265.
[64] BVerfGE 7, 198, 208.
[65] Vgl. Grimm, NJW 1995, 1697.
[66] EGMR, NJW 2012, 1053 Rdn. 101.
[67] BVerfGE 90, 60, 87.
[68] BVerfGE 119, 181.
[69] St. Rspr. seit BVerfGE 7, 377, 399 ff.
[70] BVerfGE 7, 377.
[71] Vgl. BVerfG NJW 2008, 838; BVerfGE 85, 248; BVerfGE
[72] Vgl. BVerfGE 101, 54, 75.
[73] So zutr. Ipsen, Staatsrecht II – Grundrechte, 16. Aufl. 2013. Rdn. 795.
[74] BVerfGE 133, 377.
[75] So auch BVerfGE 126, 400.

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