Sachverhalt:
Die 1965 geborene Klägerin befuhr im November 2013 mit ihrem Fahrrad die Polsumer Straße in Marl auf einem linksseitigen Geh- und Radweg. Diesem folgte sie auch, als er nur noch für Radfahrer aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung freigegeben war. Die Klägerin beabsichtigte, die Einmündung der untergeordneten Straße Im Breil zu queren. Danach wollte sie nach links in diese Straße einbiegen.
Der im Jahre 1936 geborene Beklagte befuhr mit seinem Pkw Mercedes die Straße und beabsichtigte, an der Straßeneinmündung nach rechts in die Polsumer Straße abzubiegen. Beim Abbiegen kollidierte sein Fahrzeug mit dem Fahrrad der Klägerin. Die Klägerin stürzte auf die Motorhaube, rutsche mit ihrem Rad über die Straße und schlug mit dem unbehelmten Kopf auf der Fahrbahn auf.
Mit einem Schädel-Hirn-Trauma, einem Schädel-Basis-Bruch und einer Kniefraktur erlitt sie schwerste Verletzungen. Von dem Beklagten und seinem Haftpflichtversicherer verlangte die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Schadensersatz. Insbesondere wollte sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro.
Weiterhin verlangte sie eine monatliche Schmerzensgeldrente von 300 Euro, materiellen Schadensersatz von ca. 16.000 Euro sowie einen vierteljährlich mit 252 Euro auszugleichenden Haushaltsführungsschaden.
Das Landgericht hatte zunächst den Grund der Haftung aufgeklärt und der Klägerin – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens – 80% ihres Schadens zugesprochen.
Entscheidung:
Das OLG Hamm hat das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und das Mitverschulden der Klägerin mit 1/3 bewertet. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat der Beklagte den Unfall in erheblichem Umfang verschuldet, auch wenn er zunächst im Einmündungsbereich angehalten hat und dann langsam abgebogen ist. Gegenüber der Klägerin sei er wartepflichtig gewesen und habe somit gegen § 8 StVO verstoßen.
Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht nicht dadurch verloren, dass sie den kombinierten Geh- und Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren habe. Dieser war für eine Nutzung in ihrer Fahrtrichtung jedoch nicht mehr freigegeben gewesen. Ein Radfahrer behalte sein Vorrecht gegenüber kreuzenden und einbiegenden Fahrzeugen auch dann, wenn er verbotswidrig den linken von zwei vorhandenen Radwegen nutze.
Die Klägerin ihrerseits habe den Unfall gemäß § 254 Abs. 1 BGB mitverschuldet, weil sie mit ihrem Fahrrad den an der Unfallstelle vorhandenen Radweg entgegen der Fahrtrichtung befahren habe. Dass die Klägerin auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Weg erst wenige Meter zurückgelegt habe, entlaste sie nicht.
Nichttragen eines Helms begründet keine Anspruchskürzung
Demgegenüber rechtfertige das Nichttragen eines Schutzhelms keine Anspruchskürzung zulasten der Klägerin. Zur Unfallzeit im Jahre 2013 habe keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer bestanden. Das Tragen von Fahrradhelmen habe zudem nicht dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen. Dies habe der BGH noch im Jahre 2014, bezogen auf einen Unfall aus dem Jahre 2011, festgestellt (BGH, Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13).
Der Mitverschuldensanteil der Klägerin sei mit 1/3 zu bewerten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das der Klägerin zustehende Vorfahrtsrecht kein Vertrauen ihrerseits in ein verkehrsgerechtes Verhalten des Beklagten habe begründen können.
Auch wenn der Beklagte mit seinem Fahrzeug zunächst vor dem Radweg angehalten habe, habe die verkehrswidrig fahrende Klägerin ohne weitere Anhaltspunkte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte sie wahrgenommen habe und ihr den Vorgang einräumen würde.