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Millionen Whatsapp-Nutzer können abgemahnt werden – AG Bad Hersfeld schreibt Geschichte

Das AG Bad Hersfeld hat sich mit der Frage befasst, inwieweit Eltern, die ihrem Kind ein digitales 'smartes' Gerät überlassen, in der Pflicht stehen, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen (Urteil vom 15.05.2017 - F 120/17 EASO).
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Zur deliktischen Haftung bei Minderjägrigen

Das AG Bad Hersfeld hat sich mit der Frage befasst, inwieweit Eltern, die ihrem minderjährigen Kind ein digitales ’smartes‘ Gerät überlassen, in der Pflicht stehen, die Nutzung dieses Geräts durch das Kind bis zu dessen Volljährigkeit ordentlich zu begleiten und zu beaufsichtigen (Urteil vom 15.05.2017 – F 120/17 EASO).

Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Fall bestand zwischen den geschiedenen Eltern eines 11-jährigen Jungen Streit über die Nutzung seines Smartphones.

Der Junge lebte bei seiner Mutter und hatte von ihr zu seinem 11. Geburtstag das Smartphone geschenkt bekommen. Zwischen den Eltern kam es insbesondere aufgrund der Nutzung von WhatsApp zu Unstimmigkeiten.

Durch den Kindesvater wurde ergänzt, es sei beim Umgang immer wieder das Smartphone ein Thema. Es gebe häufig Auseinandersetzungen, wenn man dem Jungen sage, er solle das Handy weglegen, was er dann als negativ empfinde.

Trotzdem seien der Kindesvater und seine Lebensgefährtin der Auffassung, dass es richtig sei, dem Kind bei der digitalen Nutzung Grenzen zu setzen Das Amtsgericht Bad-Hersfeld sah sich daher veranlasst eine Regelung zu treffen.

Entscheidung

Das Amtsgericht Bad Hersfeld verpflichtete die Kindesmutter, von allen Personen, welche aktuell im Adressbuch des Smartphones ihres Sohnes gespeichert sind, Zustimmungserklärungen dahingehend einzuholen.

Diese Personen müssen damit einverstanden sein, dass der Sohn die Telefonnummer und den Namen der jeweiligen Person speichert und dass die Daten von dort durch die Nutzung von WhatsApp an den Betreiber übertragen werden. Die Zustimmungserklärungen seien zwecks Klarheit und Rechtssicherheit schriftlich einzuholen.

Nach Ansicht des Amtsgerichts musste die Maßnahme gemäß § 1666 BGB getroffen werden, weil durch die Nutzung von WhatsApp eine Gefahr für das Vermögen des Sohnes bestehe. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass das Kind wegen eines i.S.v. § 823 BGB rechtswidrigen Verhaltens durch andere Personen abgemahnt, zur Unterlassung aufgefordert und auf Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch genommen werde, § 1004 BGB analog.

Das rechtswidrige Verhalten sei darin zu sehen, so das Amtsgericht, dass der Sohn als Nutzer der App fortlaufend Datensätze von anderen Personen an den Betreiber der App weiterleite, ohne dazu befugt zu sein.

Ein Nutzer von WhatsApp stelle dem Betreiber für unscharf beschriebene Zwecke kontinuierlich die Telefonnummern und die Namen sämtlicher im Smartphone gespeicherten Kontakte zur Verfügung.

Dies verletze zumindest das Recht auf informationelle Selbstbestimmung alle davon betroffenen Personen. Im Falle einer geschäftlichen Nutzung der App liege sogar ein Verstoß gegen den Datenschutz vor.

Das Amtsgericht vertrat die Auffassung, dass die Datenweitergabe in jedem Einzelfall der vorherigen Zustimmung der betroffenen Person bedürfe.

Dabei sei nicht davon auszugehen, dass allein in der Nutzung von WhatsApp durch die betroffene Person eine konkludente Einwilligung in die Datenweitergabe vorliege.

Das Gericht begründete dies damit, dass bei vielen Nutzern der App kein hinreichendes Verständnis über den Umfang der Datenweitergabe bestehe bzw. ein Großteil der Nutzer die Nutzungsbedingungen gar nicht reell zur Kenntnis nehmen. Fehlt es daher an dem Verständnis über die Nutzungsfolgen, könne keine wirksame Einwilligung vorliegen.

Unabhängig von dieser Problematik erscheint es zudem generell als sinnvoll, dass Eltern ein ihrem Kind überlassenes digitales, voll online-fähiges und vernetztes Gerät regelmäßig auf die dortigen Inhalte und Anwendungen überprüfen.

Dies erscheint auch nicht insofern als unangemessen, als man noch erwägen könnte, dass ein Smart-Gerät heutzutage gleichsam eine Art „elektronisches Tagebuch“ für Kinder und Jugendliche darstellen kann und eine betreffende Kontrolle und Durchsicht zum Schutz der grundlegenden Privat- und Intimsphäre des Kindes daher eventuell besser unterbleiben sollte.

Merke:

1. Bei Personen unter 18 Jahren wird das Verschulden nicht grundsätzlich vermutet, sondern es gilt § 828 BGB als lex specialis. Dabei müssen die Voraussetzungen für eine eigenständige deliktische Verantwortlichkeit nach § 828 Abs. 3 BGB geprüft werden.

Das bedeutet, dass bei vorgefundener deliktischer Handlung des Kindes die Einsichtsfähigkeit des Kindes zunächst einmal widerlegbar vermutet wird.

Es obliegt dann in einem etwaigen Gerichtsprozess zunächst dem Kind, das heißt dem deliktisch handelnden, minderjährigen Schädiger, seinen Mangel an Einsichtsfähigkeit erst einmal zu behaupten und nachfolgend zu beweisen.

2. Daneben führt auch die Norm des § 832 BGB nicht etwa zu einer entscheidenden Entlastung bzw. gar Entpflichtung des Kindes.

Gemäß dieser Norm können die aufsichtspflichtigen Personen für das deliktische Handeln des Kindes in Anspruch genommen werden. Diese Vorschrift schließt die Inanspruchnahme des Kindes selbst jedoch nicht aus, sondern ergänzt sie nur zu Gunsten des Anspruchstellers.

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