von Dr. Martin Soyka
Für viele Referendare ist der staatsanwaltschaftliche Sitzungsdienst die erste Gelegenheit, die im Studium erworbenen Kenntnisse im Strafrecht mit Außenwirkung einzusetzen. Ohne Netz sollen die Referendare die Staatsanwaltschaft vor Gericht nach außen rechtswirksam vertreten. Das erfüllt manche Kandidaten mit Nervosität, weil sie sich insgeheim diese Aufgabe entweder nicht zutrauen oder Angst haben, etwas falsch zu machen. Zu Unrecht, denn Fehler gehören zur Ausbildung und außerdem ist ja auch noch ein Berufsrichter anwesend, der Ihnen ggf. auf die Sprünge helfen kann. Dieser Beitrag soll Ihnen beim Einstieg helfen.
I. Vorbereitung
Sie sollten sich ruhig vorher schon mal einen Strafprozess als Zuhörer ansehen. Strafsachen gegen Erwachsene und Heranwachsende sind grundsätzlich öffentlich. In einigen Behörden besteht die Möglichkeit, den Einzelausbilder oder einen Amtsanwalt bei seinem Sitzungsdienst zu begleiten. Dies sollten Sie nutzen, denn es eröffnet Ihnen die Möglichkeit, zu den Fällen zunächst die Handakten zu lesen, also diejenigen Vorgänge, mit denen der Sitzungsvertreter im Termin arbeiten muss. Außerdem sollten Sie sich darüber informieren, wie Sie Einblick in den Sitzungsplan erhalten können, wo Sie in der Behörde künftig Ihre Handakten entgegennehmen werden und woher Sie die Robe für den Dienst bekommen.
Sind Sie zum ersten Mal eingeteilt, müssen Sie die betreffenden Handakten durcharbeiten. Dazu gehört auch, nachzuschauen, ob gegen den Angeklagten weitere Ermittlungsverfahren anhängig gemacht oder Anklagen erhoben worden sind. Haben Sie in Ihrer Ausbildungsbehörde keinen eigenen Zugriff auf diese Daten, sollten Sie Ihren Ausbilder darum bitten, diese für Sie zu beschaffen. Sinnvoll ist es auch, bei der zuständigen Geschäftsstelle des Amtsgerichts nachzufragen, ob noch Anklagen für den Sitzungstag hinzugekommen sind.
Kurz bevor es losgeht, sollte Ihr Ausbilder mit Ihnen die Akten besprechen. Sie müssen in der Lage sein, ihm in wenigen Worten den Gegenstand des Falles und eventuelle Schwierigkeiten darzulegen. Auch sollten Sie eine Vorstellung zur Frage der zu beantragenden Sanktion im Falle einer Verurteilung haben. Dabei kann, falls so etwas in Ihrer Behörde existiert, eine Strafrahmenübersicht zu typischen Deliktsformen helfen. Jetzt ist auch der richtige Moment um zu klären, ob eventuell eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) nötig werden könnte. Da so etwas vielen im ersten Anlauf Schwierigkeiten bereitet, kann der mögliche Antrag, der im Schlussvortrag zu stellen wäre, schon jetzt erarbeitet werden. Näheres wird im Abschnitt zum Plädoyer dargelegt werden.
Weiter sollte geklärt werden, ob Sie eventuell (ausnahmsweise) sichergestellte oder beschlagnahmte Dinge aus der Asservatenkammer mit zu Gericht nehmen müssen, insbesondere Gegenstände richterlichen Augenscheins. Auch ist wichtig, ob das Gericht über diese oder andere Asservate zu entscheiden hat, z. B. beschlagnahmte Waffen, Gelder, Drogen. Muss ein Verfalls- oder Einziehungsantrag gestellt werden? Bereiten Sie auch dies vor, falls der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin nicht auf die Herausgabe verzichten sollte (was Angeklagte jedoch häufig tun; in diesem Fall sollte der Verzicht deutlich in den Handakten vermerkt werden).
Noch etwas ist sehr wichtig: Meist ist es Referendaren untersagt, in der Hauptverhandlung eigenverantwortlich eine Zustimmung zu einer Einstellung, insbesondere gemäß §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO, zu erteilen, eine Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO zu beantragen oder im Falle des Nichterscheinens des Angeklagten Strafbefehlsantrag nach § 408 a StPO zu stellen. Derartige Entscheidungen können von der Staatsanwaltschaft nicht angefochten werden (vgl. §§ 153 Abs. 2 S. 3, 153 a Abs. 2 S. 4 StPO). Hinzu kommt, dass nach ständiger Rechtsprechung bei allen gerichtlichen Einstellungen nach den vorbenannten Vorschriften ein partieller Strafklageverbrauch hinsichtlich aller Vergehen eintritt, auch bei §§ 153 und 154 StPO1. Wird ein Strafbefehl erlassen, hilft nur ein Wiederaufnahmeverfahren (§ 373 a StPO) und dies auch nur bei Verbrechen. Selbst wenn Referendare dies in aller Regel im Innenverhältnis nicht dürfen, ist eine entsprechende Erklärung bei Gericht gleichwohl gültig. Häufig wird aber im Zuge der weiteren Ausbildung bereits beim Vorgespräch dem Referendar vom Ausbilder eine carte blanche erteilt. Und: Ein Nein zu einer Einstellung dürfen Sie ohne Rücksprache erklären. Telefonieren müssen Sie nur, wenn Sie ebenso wie der Richter der Auffassung sind, das Verfahren sollte eingestellt oder ein Strafbefehl erlassen werden werden.
II. Hauptverhandlung
Nachdem Sie sich rechtzeitig zum Gericht begeben und den korrekten Sitzungssaal aufgesucht haben, sollten Sie sich dem Richter und der Protokollkraft vorstellen. Das ist nicht nur höflich, sondern dient dazu, dass Ihr Name korrekt in Protokoll und Urteil wiedergegeben werden kann, denn Sie werden dort namentlich im Rubrum aufgeführt werden. Nehmen Sie dann auf der Fensterseite des Sitzungssaals Platz. Dieser Sitzplatz hat sich für die Staatsanwaltschaft eingebürgert. Denken Sie an Schreibwerkzeug und Kommentare. Stellen Sie ihr Mobiltelefon aus, nicht nur auf Vibration; es darf sich nicht rühren. Anders als Richtern2 ist es den Vertretern der Staatsanwaltschaft zwar nicht verwehrt, während der Sitzung Textnachrichten zu verfassen, aber es ist sehr ungebührlich. Gleichwohl kann ein Smartphone während der Hauptverhandlung durchaus nützlich sein, um Tatsächliches im Internet zu kurz zu überprüfen. Essen und Trinken während der Hauptverhandlung ist in jedem Fall zu unterlassen. Nutzen Sie hierfür die Sitzungspausen.
1. Ablauf
Es bietet sich an, zunächst die Vorschriften der RiStBV zur Hauptverhandlung zu lesen (Nrn. 123 ff.). Diese formulieren auch Rechte und Pflichten des Staatsanwalts (und damit auch des Referendars), insbesondere hinsichtlich der Einhaltung des Gesetzes (Nr. 127), der Wahrung der Ordnung (Nr. 128) und der ordnungsgemäßen Belehrung (Nr. 130).
a) Der Gang der Hauptverhandlung ist § 243 StPO zu entnehmen: Die Sache wird aufgerufen. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und ggf. sein Verteidiger anwesend und die Beweismittel, namentlich Zeugen, erschienen sind. Nachdem die Zeugen den Sitzungssaal wieder verlassen haben, wird der Angeklagte über seine persönlichen Verhältnisse vernommen, also seine Identität festgestellt. Dabei werden die Angaben i. S. d. § 111 Abs. 1 OWiG abgefragt, allerdings nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse, denn diese können für den Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung sein, so dass der Angeklagte – schon gar nicht vor Belehrung über sein Schweigerecht – hierzu keine Angaben machen muss3. Ein häufig zu beobachtender Fehler.
b) Jetzt wird der Anklagesatz (im Stehen) verlesen. Dabei können die persönlichen Daten, die eben vom Vorsitzenden ohnehin überprüft worden sind, weggelassen werden. Der Anklagesatz reicht bis zu den anzuwendenden Strafvorschriften. Statt „Angeschuldigter“ (z. T. wird auch in der Anklageschrift vom „Beschuldigten“ gesprochen) wird dabei „Angeklagter“ vorgelesen (was einige Sitzungsvertreter dazu verleitet, diese Veränderungen mit Bleistift in die Ablichtung der Anklageschrift der Handakten einzupflegen, um keinen Fehler beim Vorlesen zu machen). Handelt es sich um eine Anklageschrift, die eine Vielzahl von gleichförmigen Einzeltaten zum Gegenstand hat, die z. B. tabellarisch aufgeführt sind, muss nur die Zusammenfassung, nicht aber alles vorgelesen, denn das Gesetz spricht von Verlesen, also den wesentlichen Inhalt zur Kenntnis bringen, nicht vom vollständigen Vorlesen4. Ist Einspruch gegen einen Strafbefehl eingelegt worden, ist dieser zu verlesen, und zwar üblicherweise umformuliert in einen neutralen Anklagesatz ohne die im Strafbefehl enthaltenen Rechtsfolgen5.
c) Sodann muss vom Vorsitzenden nach § 243 Abs. 4 StPO mitgeteilt werden, ob Verständigungsgespräche geführt worden sind und welchen Inhalt diese gehabt haben. Diese Verpflichtung gilt nach ständiger Rechtsprechung auch dann, wenn keine Verständigungsgespräche geführt worden sind. Achten Sie darauf, dass das Gericht sich hierzu verhält. Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen, falls der Richter genervt reagieren sollte.
d) Jetzt wird der Angeklagte darüber belehrt, dass es ihm frei stehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Falls ja, wird er vom Richter vernommen.
e) Nun folgt die Beweisaufnahme, § 244 Abs. 1 StPO. Bewiesen werden müssen alle entscheidungserheblichen Tatsachen, die der Angeklagte nicht glaubhaft eingesteht, und über Erfahrungssätze, die nicht allgemeingültig sind (oder gar mit einem Beweisverbot belegt sind). Sie unterliegen dem Strengbeweisverfahren nach §§ 244 bis 256 StPO. Alle Tatsachen, die für die Feststellung der Schuld und die Bestimmung der Rechtsfolgen erheblich sind, müssen mittels Beschuldigtenvernehmung, Zeugen, Sachverständigen, Urkunden und Augenscheinsobjekten prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung bewiesen werden, sofern sie nicht offenkundig sind6. Geht es dagegen in der Verhandlung um Prozessvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse, Verwertungsverbote oder ähnliches, wird die jeweilige Frage im Freibeweisverfahren geklärt. Das Gericht kann dabei alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen nutzen, z. B. schriftliche oder telefonische Auskünfte. Urkunden müssen nicht verlesen werden, soweit die im Freibeweis gewonnenen Ergebnisse zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden7. Geht es darum, was ein Zeuge gesehen hat, muss er also nach Möglichkeit vernommen werden. Wird dagegen ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht, z. B. wegen einer fehlerhaften Durchsuchung, kann das Gericht die entsprechenden Vorgänge anhand der Akten klären und die Erkenntnisse mündlich mitteilen. Es ist nicht erforderlich, Durchsuchungsbeschlüsse zum Zweck des Beweises des Nichtvorliegens eines Beweisverwertungsverbotes vorzulesen.
f) Das Gericht hat seiner Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO dergestalt nachzukommen, dass der aus § 250 StPO folgende Unmittelbarkeitsgrundsatz gewahrt wird, wonach der Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundsbeweis gilt. Nur ausnahmsweise kann eine schriftliche Erklärung die persönliche Vernehmung ersetzen, z. B. gemäß § 251 StPO. Die Grenzen, die § 252 StPO den Ersetzungsmöglichkeiten hinsichtlich eines Zeugen mit Zeugnisverweigerungsrecht zieht, dürfen als bekannt vorausgesetzt werden. Sollten Sie hier Lücken haben, müssen Sie sich noch einmal mit dieser wichtigen Vorschrift befassen, die auch hohe Examensrelevanz hat. Es ist möglich, einem Zeugen das Protokoll über seine frühere richterliche Vernehmung vorzuhalten, um sein Gedächtnis zu unterstützen, § 253 Abs. 1 StPO. Über den Wortlaut der Norm gestattet die Norm nach hM aber auch die Einführung der früheren Aussage im Wege des Urkundsbeweises8, wenn der Zeuge sich trotz des Vorhaltes nicht erinnern kann. Hierdurch kann vermieden werden, dass der seinerzeitige Vernehmungsbeamte in einem neuen Termin als Zeuge vom Hörensagen über die frühere Aussage des Zeugen vernommen werden muss, zumal dieser sich erfahrungsgemäß das Protokoll noch einmal durchlesen und bestätigen wird, dass der Zeuge die Angaben damals so zu Protokoll gegeben hat. Auch § 256 StPO enthält Aufweichungen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes z. B. im Hinblick auf bestimmte Gutachten oder ärztliche Atteste.
g) Die Befragung von Zeugen wird in erste Linie vom Vorsitzenden durchgeführt, § 238 Abs. 1 StPO. Auf Verlangen kann er auch den übrigen Prozessteilnehmern gestatten, Fragen zu stellen, § 240 StPO. Es besteht zwar die Möglichkeit, gemäß § 239 StPO ein Kreuzverhör nach anglo-amerikanischem Vorbild durchzuführen, hiervon wird aber in der Praxis nie Gebrauch gemacht. Nach jeder Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe, § 257 StPO, wobei auch der Staatsanwalt und der Verteidiger auf Verlagen Gelegenheit zu einer Erklärung haben, solange dies nicht in ein vorweggenommenes Plädoyer ausartet. Dieser Zeitpunkt ist noch aus einem anderen Grund wichtig: Schweigt der verteidigte Angeklagte hier, verliert er die Möglichkeit, ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot geltend zu machen, wenn es der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung unterliegt. Wird also z. B. das Ergebnis der Untersuchung einer rechtswidrig entnommenen Blutprobe verlesen und widerspricht der Angeklagte oder sein Verteidiger jetzt nicht, kann ein Beweisverwertungsverbot nicht mehr entstehen und die Blutprobe ist verwertbar.
h) Aus dem Amtsaufklärungsgrundsatz folgt auch, dass es in aller Regel nicht nötig ist, einen Beweisantrag zu stellen, sondern dass man z. B. anregen kann, den einen oder anderen Zeugen zusätzlich zu vernehmen. Sieht das Gericht sich hierzu jedoch nicht veranlasst, kann ein Beweisantrag gestellt werden. Ein solcher ist gegeben, wenn eine Beweistatsache und ein Beweismittel benannt wird und – soweit erforderlich – Konnexität dargelegt wird, also warum das Beweismittel geeignet ist, die Tatsache zu beweisen9. Sie sollten in der Lage sein, einen Beweisantrag formulieren und zu gestellten Beweisanträgen Stellung nehmen zu können. Die Möglichkeiten, einen Beweisantrag abzulehnen, sind in § 244 Abs. 3 – 6 StPO geregelt, ferner in § 245 Abs. 2 StPO für von Staatsanwaltschaft oder Angeklagten vorgeladene und erschienene Zeugen und Sachverständigen und für herbeigeschaffte Beweismittel. Besonderheiten bestehen im beschleunigten Verfahren gemäß § 420 StPO hinsichtlich der Beweisaufnahme. Diese
Vorschrift enthält erweiterte Verlesungsmöglichkeiten. Wichtiger ist aber, dass nach Abs. 4 Beweisanträge ohne Bindung an § 244 Abs. 3 – 5 StPO abgelehnt werden können10. Und: in der Hauptverhandlung nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt § 420 StPO gemäß § 411 Abs. 2 S. 1 StPO entsprechend, d. h. der Richter muss auch hier den Beweisantrag nur an seiner richterlichen Aufklärungspflicht messen.
i) Verändert sich ein rechtlicher Gesichtspunkt während der Hauptverhandlung nicht nur unwesentlich, ist der Angeklagte gemäß § 265 StPO vom Gericht hierauf hinzuweisen, denn das Gesetz verbietet Überraschungsurteile, weil der Angeklagte sich unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt verteidigen können muss. Das gilt auch, wenn statt des ursprünglichen jetzt ein milderes Strafgesetz zur Anwendung kommen könnte.
j) Nach Abschluss der Beweisaufnahme erhalten erst der Staatsanwalt, dann der Verteidiger und der Angeklagte das Wort, § 258 StGB. Die Schlussvorträge sollen frei (und wiederum im Stehen) gehalten werden, wobei schriftliche Aufzeichnungen benutzt werden dürfen. Der Vortrag des Staatsanwaltes soll die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände gleichermaßen berücksichtigen. Näheres regeln Nrn. 138, 139 RiStBV. Skizzieren Sie ihren Antrag in den Handakten, so dass der Anklageverfasser versteht, was geschehen ist. (Teil-) Einstellungen, z. B. nach § 154 Abs. 2 StPO, sollten auch dort aufgeschrieben werden, möglichst mit kurzer Begründung und mit Hinweis auf die von einem Staatsanwalt erteilte Zustimmung. Dies gilt natürlich erst Recht, wenn das Verfahren insgesamt mit einer Einstellung endet.
k) Nach den Schlussvorträgen und dem obligatorischen letzten Wort des Angeklagten folgt eine Unterbrechung, in der sich das Gericht zur Beratung zurückzieht. Anschließend erfolgt der Wiederaufruf der Sache. Nachdem sich alle im Saal erhoben haben, verkündet der Vorsitzende das Urteil durch Verlesung der schriftlich niedergelegten Urteilsformel, § 268 StPO. Dann nehmen alle wieder Platz und der Vorsitzende begründet in freier Rede den wesentlichen Inhalt des Urteils. Auch hinsichtlich der Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft muss das Gericht entscheiden, § 268 b StPO. Dieser Beschluss muss mit dem Urteil zusammen verkündet werden. Abschließend ist der Angeklagte gemäß § 35 a StPO über die möglichen Rechtsmittel zu belehren. Dann wird die Sitzung geschlossen. Sie müssen nur noch in den Handakten den Inhalt des Urteils vermerken.
2. Besondere Situationen
So glatt geht es nicht immer. Sie sollten fähig sein, in folgenden Fällen sachgerechte Anträge zu stellen:
a) Häufig erscheint der Angeklagte nicht. Da gegen einen ausgebliebenen Angeklagten gemäß § 230 Abs. 1 StPO nicht verhandelt wird, kann er nach Abs. 2 dieser Vorschrift vorgeführt werden (entweder gleich oder zum nächsten Termin), auch ist ein Haftbefehl möglich, wenn er ordnungsgemäß geladen worden ist und sich nicht genügend entschuldigt hat. Das gleiche gilt, wenn er verschuldet in einem verhandlungsunfähigen Zustand erscheint oder sich aus der Hauptverhandlung entfernt11. Ob der Angeklagte ordnungsgemäß geladen ist, stellt der Vorsitzende fest. Problematisch ist zuweilen, ob er genügend entschuldigt ist, speziell bei plötzlicher Krankheit. Dabei gilt: Legt der Angeklagte zur Entschuldigung für sein Ausbleiben dem Gericht eine nicht näher spezifizierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor – was nicht ausreichend ist -, liegt darin konkludent die Erklärung, dass er den ausstellenden Arzt bei etwaigen Nachfragen des Gerichts von der Schweigepflicht entbindet12. Der Vorsitzende kann den Arzt also telefonisch über die Krankheit des Angeklagten befragen. Wenn die Entschuldigung nicht ausreicht, um von einer Unzumutbarkeit der Durchführung der Hauptverhandlung auszugehen, sollten Sie einen Antrag i. S. v. § 230 Abs. 2 StPO stellen, natürlich unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Findet die Hauptverhandlung statt, weil der Angeklagte gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt hat, kann dieser gemäß § 412 StPO verworfen werden.
b) Auch Zeugen haben zu erscheinen. Tun sie dies trotz Ladung und ohne ausreichende Entschuldigung nicht, werden dem Zeugen gemäß § 51 Abs. 1 StPO die Kosten seines Ausbleibens auferlegt. Gleichzeitig wird gegen ihn obligatorisch ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt werden (z. B. 100,- € Ordnungsgeld, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft). Auch die zwangsweise Vorführung ist zulässig.
c) Sie sollten sich zudem mit den Möglichkeiten des Ausschlusses der Öffentlichkeit gemäß §§ 171 a GVG vertraut machen. Manchmal wird dies von Verteidigern oder Zeugenbeiständen beantragt; die Möglichkeiten hierzu sind aber relativ eingeschränkt. Dies sollte im Hinblick auf § 338 Nr. 6 StPO im Falle eines Falles sorgfältig geprüft werden. Sollte es einmal während der Verhandlung hoch hergehen, obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung dem Vorsitzenden, § 176 GVG. Er ist gegenüber bestimmten Personen (aber nicht allen, z. B. Verteidigern) zu Ordnungsmitteln befugt, § 177 ff. GVG. Und sollte gar in der Sitzung eine Straftat geschehen, z. B. eine Beleidigung, hat das Gericht gemäß § 183 GVG den Tatbestand festzustellen und der zuständigen Behörde das darüber aufgenommene Protokoll mitzuteilen. Hierauf sollten Sie hinwirken. Sogar eine Festnahme des Täters ist möglich.
d) Häufig lügt ein Zeuge. Dann soll der Staatsanwalt gemäß Nr. 136 RiStBV beantragen, dass die beanstandete Aussage zur Feststellung des Tatbestandes für ein künftiges Ermittlungsverfahren zu beurkunden ist (§ 183 GVG, § 273 Abs. 3 StPO). In diesem Fall sollten sie trotzdem den wesentlichen Inhalt mitschreiben, damit notfalls auf Grundlage dieses Vermerks ein neues Verfahren gegen den Zeugen eingeleitet werden kann. Außerdem ist über eine Vereidigung nach § 59 Abs. 1 S. 1 StPO zu entscheiden, denn das Gericht kann einen Zeugen vereidigen, wenn es dies zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält. Dabei ist aber nicht ausreichend, dass der Zeuge lügt, sondern auch, dass bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass er unter Eideszwang erhebliche Tatsachen bekunden werde13. An dieser Voraussetzung wird es meist fehlen, so dass man ihn nicht ohne Not in einen Meineid zwingen sollte.
e) Nimmt der Verletzte der Tat während seiner Befragung den Strafantrag gegen den Angeklagten zurück, ist zu unterscheiden: Ist ein absolutes Antragsdelikt angeklagt (z. B. § 185 StGB), tritt ein Verfahrenshindernis ein. Damit muss ein Prozessurteil nach § 260 Abs. 3 StPO ergehen (es sei denn, die Verhandlung hat bereits die Unschuld des Angeklagten ergeben, dann gilt der Vorrang des Freispruchs14). Handelt es sich dagegen um ein relatives Antragsdelikt (z. B. §§ 223, 230 oder §§ 242, 248 a StGB), dann sollten Sie das Vorliegen des besonderen öffentlichen Interesses prüfen, welches den Strafantrag ersetzen kann. Gegebenenfalls sollten Sie laut erklären, dass sie dieses bejahen. Begründen müssen Sie Ihre Entscheidung nicht, denn nach hM handelt es sich um eine gerichtlich nicht nachprüfbare Ermessensentscheidung15. Zwar kann das besondere öffentliche Interesse auch konkludent durch Anklageerhebung oder Beantragung eines Strafbefehls bejaht werden, aber dies gilt nur, solange sich aus den Umständen nichts anderes ergibt. So enthält eine Anklage wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall oder wegen gefährlicher Körperverletzung keine konkludente Erklärung, wenn sich die Tat später als Diebstahl geringwertiger Sachen oder als normale Körperverletzung erweist. Hier muss die Erklärung abgegeben werden, wenn eine Verurteilung angestrebt wird16.
3. Der Schlussvortrag
Nachdem der Vorsitzende die Beweisaufnahme geschlossen hat, erhalten Sie für Ihren Schlussvortrag das Wort. Dessen wesentlichen Inhalt können Sie Nrn. 138 f. RiStBV entnehmen. Hier ein Vorschlag für den Ablauf des Plädoyers:
• Einleitung: Tatnachweis geglückt?
• Festgestellter Sachverhalt
• Beweiswürdigung
• Einlassung des Angeklagten
• Darstellung der Beweismittel und Würdigung derselben
• Rechtliche Erwägungen: Subsumtion unter das Strafgesetz
• Strafzumessungserwägungen: Strafrahmen, besonders/minder schwerer Fall, benannte Strafmilderungsgründe
• Nebenentscheidungen und Kosten
• Antrag
Wie Sie sehen, orientiert sich dieser Aufbau an dem Aufbau der Urteilsgründe in der künftigen Urteilsschrift. Die erste Hälfte beschäftigt sich mit der Frage des Schuldspruchs, die zweite mit dem Rechtsfolgenausspruch. Es ist also unnötig, sich Muster-Lochtexte aus dem Internet zu beschaffen, wie es manchmal zu beobachten ist. Aber bitte unterwerfen Sie sich nicht sklavisch diesem Aufbau. Gehen Sie nur dann auf alles ein, wenn der Fall sehr wichtig ist oder aber tatsächlich alles problematisch ist. Ist der Tatnachweis einfach gewesen (z. B. Trunkenheitsfahrt i. S. d. § 316 Abs. 1 StGB), dann kann man sich auch auf die Feststellung beschränken, dass die Tat bewiesen ist, und nur die Rechtsfolgenseite beleuchten. Seien Sie so präzise wie nötig und so kurz wie möglich. Übrigens dürfen Sie auch ohne Rücksprache mit der Behörde einen Freispruch beantragen. Vergessen Sie nicht, etwas zu Nebenentscheidungen (Haftbefehl, Entziehung der Fahrerlaubnis, Sperre, Fahrverbot) zu sagen.
Besondere Schwierigkeit bereitet vielen anfangs die Strafzumessung. Lesen Sie zunächst die §§ 46 ff. StGB durch. Besonders wichtig ist § 46 Abs. 2 StGB. Ist nur ein Strafgesetz verwirkt, bestimmen Sie zunächst den abstrakten Strafrahmen. Bei Tateinheit ist der Strafrahmen des schwersten Gesetzes maßgebend. Ggf. kommt es zu einer Strafrahmenverschiebung wegen eines besonders/minder schweren Falls. Auch sind benannte Milderungsgründe möglich, z. B. gemäß §§ 21, 27 Abs. 2 StGB. Ist der abstrakte Strafrahmen bestimmt, wägen Sie gemäß §§ 46 ff. StGB die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ab. Meist kommen Sie zu einer Geldstrafe. Diese wird gemäß § 40 StGB in Tagessätzen verhängt, und zwar mindestens fünf und höchstens 360 Tagessätze (bei Tatmehrheit gemäß § 54 Abs. 2 S. 2 StGB maximal 720). Ein Tagessatz soll dabei dem Nettoeinkommen pro Tag entsprechen, mindestens ein, maximal dreißigtausend Euro, § 40 Abs. 2 StGB, wobei Unterhaltsverpflichtungen vom Einkommen abzuziehen sind, nicht aber Miete oder Schulden, die nur bei einer möglichen Ratenzahlung i.S.d. § 42 StGB eine Rolle spielen sollten. Gemäß § 40 Abs. 3 StGB darf das Einkommen geschätzt werden. Wollen Sie dagegen eine Freiheitsstrafe beantragen, muss auch ein Antrag zu einer möglichen Strafaussetzung zur Bewährung gemäß
§ 56 StGB, der Bewährungszeit, § 56 a StGB, und ggf. hinsichtlich Auflagen und Weisungen gemäß § 56 b ff. StGB gestellt werden. Denken Sie daran: eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten wird in aller Regel nicht verhängt. Selbst wenn das Gesetz keine Geldstrafe androht, eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber aber nicht in Betracht kommt, verhängt das Gericht gleichwohl eine Geldstrafe, § 47 Abs. 1, 2 StGB.
Wenn es dagegen um tatmehrheitlich begangene Straftaten geht, müssen Sie diese Erwägungen prinzipiell gesondert für jede Tat anstellen, um dann gemäß §§ 53 – 55 StGB zu einer Gesamtstrafe zu gelangen. Dabei wird in aller Regel auf eine einheitliche Strafe erkannt, § 53 Abs. 2 StGB. Man geht von der schwersten verwirkten Strafe aus, der sog. Einsatzstrafe. Diese wird durch die Einzelstrafen erhöht, wobei die Gesamtstrafe höher liegen muss als die Einsatzstrafe, die Summe der insgesamt verwirkten Einzelstrafen aber nicht erreicht werden darf, § 54 StGB. Tagessätze werden in Tage Freiheitsstrafe umgerechnet, wenn Geld- mit Freiheitsstrafe zusammen trifft. Geht es z. B. um drei Taten, bei denen Sie 30, 50 und 40 Tagessätze für tat- und schuldangemessen erachten, werden die 50 Tagessätze erhöht, ohne die Summe von 120 zu erreichen. 90 Tagessätze könnten hier hierauskommen. Es gibt also Rabatt. Wenn aber die Tat, um die es geht, schon in einer früheren Hauptverhandlung, in der der Angeklagte verurteilt worden ist, hätte abgeurteilt werden können, hätte er schon damals Rabatt bekommen. Um ihn nicht schlechter zu stellen, gestattet § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung. Die Strafe aus der früheren Verurteilung wird dabei einbezogen und eine Gesamtstrafe gebildet, allerdings nur, wenn die frühere Strafe noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen worden ist. In diesem Fall ist dem Angeklagten ein Härteausgleich zu gewähren17.
III. Nachbereitung
Nach Beendigung des Sitzungstages wird es meist erforderlich sein, die Sitzungsstunden statistisch zu erfassen. Sollten Sie Reisekosten gehabt haben, müssen Sie deren Erstattung beantragen. Die Handakten müssen binnen kurzer Zeit mit dem Ausbilder besprochen werden, damit dieser ggf. Rechtsmitteleinlegungen und Neueinleitungen von Ermittlungsverfahren veranlassen kann. Sie werden spätestens nach dem ersten Sitzungstag feststellen, dass alles halb so wild ist. Immer daran denken: Bevor Sie Unsinn reden, lieber um eine Unterbrechung bitten, um Rechtsfragen anhand des Kommentars klären zu können. Der Richter war auch einmal Referendar und wird dafür Verständnis haben.
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* Dieser Beitrag entspricht dem Beitrag aus der 6. Auflage des RefGuide.
1 Vgl. zum Meinungsstand bei § 153 StPO: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Auflage, § 153 Rn. 37 ff, bezüglich § 154: BGH, Beschl. vom 30.03.2009 – 1 StR 745/08 = BGHSt 54, 1
2 Siehe BGH, Urt. v. 17.06.2015 – 2 StR 228/14
3 Meyer-Goßner/Schmitt, § 243 Rn. 12.
4 BGHSt 56, 109.
5 Meyer-Goßner/Schmitt, § 411 Rn. 3, § 243 Rn. 14.
6 Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 3 ff.
7 Meyer-Goßner/Schmitt, § 244 Rn. 9.
8 Meyer-Goßner/Schmitt § 253 Rn. 1.
9 Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 19 ff.
10 Meyer-Goßner/Schmitt § 420 Rn. 1.
11 Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 15.
12 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.10.1993, 3 Ws 154/93.
13 BGHSt 16, 99 (103); Meyer-Goßner/Schmitt, § 59 Rn. 4.
14 Z. B. BGH NStZ-RR, 213, 50.
15 BayObLG, NJW 1991, 1765.
16 Fischer, StGB, 67. Auflage, § 230 Rn. 3.
17 Siehe hierzu Fischer, § 55 Rn. 21 ff.
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