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Der staatsanwaltliche Sitzungsdienst im Referendariat

Der staatsanwaltliche Sitzungsdienst in der Strafstation des Referendariats. Dieser Beitrag soll dazu dienen, die anfängliche Angst vor dem ersten Sitzungsdienst zu nehmen und aufzuzeigen, was Referendare in der Hauptverhandlung erwartet.

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Strafprozessuale Grundkenntnisse werden in diesem Beitrag vorausgesetzt und nur hinsichtlich einzelner Punkte wiederholt

A. Einleitung

Manche lieben ihn, andere haben große Angst vorm „ersten Mal“: Der staatsanwaltliche Sitzungsdienst in der Strafstation des Referendariats. Dieser Beitrag soll dazu dienen, die anfängliche Angst vor dem ersten Sitzungsdienst zu nehmen und aufzuzeigen, was Referendare in der Hauptverhandlung erwartet.

Eine generelle Übersicht über das Referendariat mit allen Stationen und wichtigen Informationen findest du hier:
Übersicht Referendariat

Im Wesentlichen beruht dieser Beitrag auf eigenen Erfahrungen in Straf- und Wahlstation bei verschiedenen Staatsanwaltschaft en und Erlebnissen bei diversen Hauptverhandlungen vor mehr als einem Dutzend unterschiedlichen Gerichten und Richtern.

Dabei kann das Fazit dieser beiden Stationen ausnahmsweise vorweggenommen werden: Sitzungsdienst macht richtig Spaß, ist abwechslungsreich und gelegentlich herausfordernd – vor allem aber eines, nämlich eine der besten Trainingsmöglichkeiten für das spätere Auftreten vor Gericht.

Strafprozessuale Grundkenntnisse werden in diesem Beitrag vorausgesetzt und nur hinsichtlich einzelner Punkte wiederholt.

B. Praktische Hinweise für die Vorbereitung

Niemand muss Angst vor dem Sitzungsdienst haben. Jeder hat mal klein angefangen. In der Regel greifen Richter dem jungen Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auch hilfreich unter die Arme, wenn mal etwas vergessen wird oder es mal „hakt“.

Viele Probleme lassen sich aber schon durch eine sorgfältige Vorbereitung auf den Hauptverhandlungstermin vermeiden und durch eine Vorbesprechung der Akten mit dem Ausbilder aus dem Weg räumen.

I. Handakten und Vorbereitung auf den Termin

1. Was beinhalten Handakten und wann bekomme ich sie?

In den meisten Fällen erfolgt die Sitzungseinteilung durch den zuständigen Bearbeiter so, dass dem Sitzungsvertreter die Handakten etwa 1- 1,5 Wochen vor dem Hauptverhandlungstermin zur Verfügung gestellt werden. Die Handakte enthält alle wesentlichen Informationen, die für die Wahrnehmung des Sitzungsdienstes erforderlich sind – mehr aber leider häufig auch nicht.

Dazu gehören neben der Anklageschrift , dem Strafbefehl oder einer Antragsschrift (so z.B. häufig in Jugendstrafsachen) ein aktueller Auszug aus dem Bundeszentralregister oder dem Erziehungsregister. Darüber hinaus sind in aller Regel sog. Verfahrenslisten/Zentrale Namensdateien enthalten.

Daraus lässt sich ersehen, ob gegen den Angeklagten noch weitere Ermittlungsverfahren anhängig sind, wie deren Bearbeitungsstand ist und auch inwieweit in der Vergangenheit bereits Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten geführt worden sind und in welcher Form diese zum Abschluss gekommen sind. Zu finden sind recht häufig noch Abschrift en von Verfügungen, die z.B. Auskunft über etwaige Einstellungen oder Beschränkungen nach §§ 154, 154a StPO geben.

Viel zu selten enthalten die Handakten Abschrift en von Abschlussvermerken der Polizei, Beschuldigten- oder Zeugenvernehmungen. Wenn diese vorhanden sind, ist es Pflicht, diese in Ruhe durchzuarbeiten. Denn so ist man vor vielen Überraschungen in der Hauptverhandlung gefeit und kann hilfreiche Vorhalte aus vorherigen Vernehmungen machen, wenn es zu Abweichungen im Aussageverhalten kommt. Findet man solche Abschrift en in der Handakte nicht, so ist man hinsichtlich des zu verhandelnden Sachverhaltes auf den konkreten Anklagesatz beschränkt.

2. Wie bereite ich mich konkret auf den Termin vor?

a) Durcharbeiten der Handakten
Für die Vorbereitung auf den Sitzungstag sollte man sich gerade zu Beginn der Station ausreichend Zeit nehmen. Nicht nur einmal sollte man sich die Handakten in Ruhe durchlesen. Nach der Lektüre folgt dann der nächste Schritt: Es sollten alle für die Hauptverhandlung wesentlichen Daten herausgearbeitet und ggf. notiert werden.

Das sind zunächst einmal diejenigen Daten, die für die Durchführung der Sitzungsvertretung in der Hauptverhandlung von Bedeutung sind, wie z.B. wichtige Grundzüge des Sachverhalts, Angaben des Beschuldigten und von Zeugen zum Kerngeschehen, o.ä. Zum anderen sind das die „hard facts“, die auch für das spätere Plädoyer von Bedeutung sind: – Bei Straftätern unter 21 Jahren sollte man z.B. nachrechnen, wie alt der Angeklagte zum Tatzeitpunkt war, damit man von vorn herein weiß, ob er als Jugendlicher oder als Heranwachsender nach § 1 Abs. 2 JGG zu behandeln ist.

Wichtig für die Strafzumessung, die Auswahl der Sanktionen und z.B. im Falle einer bis zu zwei Jahre umfassenden Freiheitsstrafe für die Frage, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 StGB in Betracht kommt oder nicht, ist die sich aus dem Bundeszentralregisterauszug/Erziehungsregisterauszug (BZR/EZR) ergebende Anzahl der Vorverurteilungen.

Diese sollte man sich notieren, überprüfen, wie häufig der Angeklagte schon einschlägig*1 in Erscheinung getreten ist und ggf. wie lange die letzte Verurteilung zurück liegt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, ob die angeklagte Tat unter laufender Bewährung begangen worden ist. Auch dies ergibt sich aus dem BZR/EZR. – Soweit für den verwirklichten Tatbestand von Bedeutung, sollte man sich auch den entstandenen Schaden vor Augen führen und notieren.

b) Verfahrensspezifische Erwägungen
Sind alle für die Hauptverhandlung und das spätere Plädoyer erforderlichen Informationen herausgearbeitet, ist es wichtig sich auf mögliche strafprozessuale „Besonderheiten“ und verfahrensspezifische Konstellationen vorzubereiten, damit man im Falle eines Falles sofort reagieren kann. Manchmal drängen sich bei der Lektüre der Handakte solche Dinge schon auf, manchmal sind es aber auch Standardsituationen, auf die man stets vorbereitet sein sollte.

Das beginnt bei ganz einfachen Fragen, die sich an Hand eines kleinen Fallbeispiels verdeutlichen lassen:

aa) Unentschuldigte Abwesenheit von Zeugen und Angeklagten
Bsp.: A ist wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Nr. 2 StGB angeklagt, weil er nach einer körperlichen Auseinandersetzung den am Boden liegenden O mehrfach mit dem Fuß in Rücken und Bauch getreten haben soll. A räumt ein, dass er den O geschlagen habe, bestreitet aber die Fußtritte.

Um diesen Umstand aufzuklären sind die Zeugen X, Y und Z geladen. X und Y geben an, dass sie sich auf Grund ihrer erheblichen Alkoholisierung nicht mehr an die Tat erinnern. Z erscheint trotz ordnungsgemäßer, mit Postzustellungsurkunde nachgewiesener Ladung nicht zum Hauptverhandlungstermin.

Wie ist darauf als Sitzungsvertreter zu reagieren? Im vorgenannten Beispiel ist die Aussage des Z von erheblicher Bedeutung, weil andernfalls der Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung nicht mehr aufrechterhalten werden kann und deshalb eine Bestrafung nur wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in Frage kommt. Als Sitzungsvertreter gibt es nun zwei „Schrauben“ an denen man gemäß § 51 StPO drehen kann.

Zum einen kann man gemäß § 51 Abs. 1 StPO die Verhängung eines Ordnungsgeldes beantragen, um das unentschuldigte Fernbleiben zu ahnden. Dieses bewegt sich in der Regel in einer Höhe zwischen 100 und 300 €. Regelmäßig beantragt man, dass im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit an die Stelle von je 50 € ein Tag Ordnungshaft tritt. Wesentlich wichtiger ist aber die Frage wie man sicherstellen kann, dass die Sachverhaltsaufklärung durch Vernehmung des Zeugen gesichert wird.

Dies ist nach § 51 Abs. 1 S.3 StPO durch zwangsweise Vorführung möglich. Wird dies von der Staatsanwaltschaft beantragt und durch das Gericht angeordnet*2 , wird der Zeuge zum nächsten Hauptverhandlungstermin oder – wenn dies der Terminplan zulässt – noch am selben Tag vorgeführt. Sollte dies nicht gelingen, weil die Polizei den Zeugen nicht antrifft , kann nur eine erneute Vorführung versucht werden.

Ein Haftbefehl kann gegen Zeugen nicht erlassen werden. Darüber hinaus sollte man daran denken, dass dem Zeugen die Kosten, die durch sein Ausbleiben entstanden sind, auferlegt werden. Ein entsprechender Antrag könnte folgendermaßen formuliert werden: Ich beantrage gegen den ordnungsgemäß geladenen und unentschuldigt fehlenden Zeugen Z ein Ordnungsgeld in Höhe von 100/200/300 € zu verhängen und dass hilfsweise an die Stelle von je 50 € ein Tag Ordnungshaft tritt.

Darüber hinaus wird beantragt, dem Zeugen die durch sein Ausbleiben entstandenen Kosten aufzuerlegen und ihn zum nächsten Termin polizeilich vorführen zu lassen.“ Eine vergleichbare Thematik ergibt sich auch dann, – was leider nicht selten vorkommt – wenn der Angeklagte nicht zur Hauptverhandlung erscheint. Die Lösung dieses Problems ist allerdings nicht so einfach wie beim Ausbleiben eines Zeugen, da es verschiedene Wege gibt, darauf zu reagieren.

Zudem findet nach § 230 Abs. 1 StPO grundsätzlich eine Verhandlung nicht in Abwesenheit des Angeklagten statt. Sofern nicht besondere Ausnahmegründe dies gestatten, würde ein Verhandeln in Abwesenheit des Angeklagten zu einem absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO*3 führen. § 230 Abs. 2 StPO gibt aber die Möglichkeit, die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung auf zwei Wegen zu erzwingen.

Der Angeklagte kann, genauso wie ein Zeuge, polizeilich vorgeführt werden. Ein entsprechender Antrag könnte in einem solchen Falle z.B. folgendermaßen lauten, wenn die Hauptverhandlung nicht am selben Tag stattfinden kann: „Es wird beantragt, den ordnungsgemäß geladenen und unentschuldigt fehlenden Angeklagten gemäß § 230 Abs. 2 StPO zum nächsten Termin polizeilich vorführen zu lassen und neuen Termin zur Hauptverhandlung von Amts wegen zu bestimmen.“

Sollte eine polizeiliche Vorführung von vornherein zwecklos sein, weil z.B. bekannt ist, dass der Angeklagte derzeit ohne festen Wohnsitz oder flüchtig ist, kann auch sofort gemäß § 230 Abs. 2 StPO ein Haftbefehl beantragt werden. Andernfalls ist zunächst aus Verhältnismäßigkeitsgründen ein Vorführungsbefehl zu beantragen. Ist eine polizeiliche Vorführung jedoch einmal oder mehrmals gescheitert, ist es angezeigt, einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO zu erwirken.

Über die Frage, ob bereits in der Vergangenheit ein Vorführungsbefehl erlassen wurde, kann das Gericht Auskunft geben. Auch das Durchblättern der Handakte, die alle Sitzungsvermerke enthalten soll, ist diesbezüglich hilfreich. In diesen sollte ein entsprechender Antrag vermerkt sein.

Ein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO ist angesichts der Tatsache, dass nicht die Anforderungen der §§ 112 ff . StPO für den Haftbefehl (i. W. dringender Tatverdacht und ein Haftgrund) gelten, denkbar einfach zu formulieren: „Ich beantrage, gegen den ordnungsgemäß geladenen und unentschuldigt ferngebliebenen Angeklagten A einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO zu erlassen. Zudem wird beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen und nach Aufgriff des Angeklagten neuen Termin von Amts wegen zu bestimmen.“

Eine weitere Möglichkeit, die im Übrigen verfahrensökonomisch sehr sinnvoll sein kann, ist die Beantragung eines Strafbefehls gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO. Liegen die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen vor, sollte man einen entsprechenden Antrag ins Auge fassen. Zuvor sind dabei allerdings einige Erwägungen anzustellen: Ein Strafbefehl richtet sich nach einer gängigen Faustformel nur an den „geständigen und einsichtigen (Erst-)Täter“.

Ergibt sich aus der Akte jedoch, dass der Angeklagte die Tat vehement bestreitet oder aber der Umstand, dass er bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, ist von einem Vorgehen nach § 408a StPO abzusehen.

Sollten die Voraussetzungen erfüllt sein und keiner der vorgenannten Umstände gegen den Erlass eines Strafbefehls sprechen, könnte ein Antrag z.B. wie folgt lauten: Ich beantrage gemäß § 408a StPO gegen den ausgebliebenen Angeklagten der Anklage entsprechend Strafbefehl zu erlassen. Darüber hinaus beantrage ich die Strafe auf 60 Tagessätze Geldstrafe à 30 € festzusetzen.“ Findet eine Hauptverhandlung nur deshalb statt, weil der Angeklagte gegen einen Strafbefehl fristgerecht Einspruch einlegte, ist die Reaktion auf sein unentschuldigtes Ausbleiben trotz ordnungsgemäßer Ladung bereits durch die §§ 412, 329 StPO gesetzlich vorbestimmt.

In diesem Fall ist nach einer Wartezeit von 15 Minuten nach vorgesehenem Verhandlungsbeginn zu beantragen, dass der Einspruch des Angeklagten verworfen wird. Ein solcher Antrag könnte folgendermaßen formuliert werden: „Es wird beantragt, den zulässigen Einspruch des Angeklagten A gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Musterstadt vom 11.11.11 zu verwerfen, da der Angeklagte nicht erschienen ist und sein Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.“

bb) Beweisanträge, Asservate und Einstellungen
Ergibt sich aus der Handakte, dass ein Verteidiger für die Hauptverhandlung das Stellen von Beweisanträgen ankündigt, sollte man sich noch einmal kurz mit dem Beweisantragsrecht befassen, damit man angemessen Stellung zu dem Antrag nehmen kann. Aus der Handakte ergibt sich regelmäßig auch der Umstand, dass Asservate vorhanden sind. Man sollte – sofern dies in Betracht kommt – in der Hauptverhandlung auf die außergerichtliche Einziehung hinwirken.

Diese erfolgt durch Zustimmung des Angeklagten. Auch der Sitzungsvertreter muss dazu sein Einverständnis als Vertreter des jeweiligen Bundeslandes erklären. Gelingt die außergerichtliche Einziehung nicht, muss bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im Plädoyer auf eine Entscheidung über die Einziehung hingewirkt werden. Gedanklich muss man sich auch darauf vorbereiten, dass selbst in der Hauptverhandlung noch Einstellungen z.B. nach den §§ 153, 153a, 154 StPO oder § 47 JGG in Betracht kommen.

Ob man einem solchen Vorgehen in der Hauptverhandlung zustimmen will oder nicht, kann man in den meisten Fällen erst mit dem in der Hauptverhandlung gewonnenen Wissen beurteilen. Nur selten gibt bereits die Handakte Hinweise auf eine in Frage kommende Einstellung. Referendare dürfen – ohne dass dies eine Rücksprache mit dem Ausbilder, dem AGLeiter oder dem staatsanwaltlichen Bereitschaftsdienst bedarf – eine Zustimmung zur Einstellung verweigern.

Will man nicht zustimmen, sollte man in der Hauptverhandlung auch standhaft bleiben und sich nicht von anderen Verfahrensbeteiligten unter Druck setzen lassen, was selten bei Referendaren mal ausprobiert wird. Ist man jedoch zu der Ansicht gelangt, dass man einer Einstellung zustimmen will, muss man eine Zustimmung bei der Staatsanwaltschaft , also beim Ausbilder, AG-Leiter oder beim Bereitschaftsdienst telefonisch einholen.

Dies ist nicht erforderlich, wenn es mit dem Ausbilder ausreichend vorbesprochen ist und er bereits vorab für den Fall, dass bestimmte Bedingungen eintreten, sein Einverständnis erklärt hat. Gerade in der Anfangszeit sollte man bei Unsicherheiten lieber zum Telefonhörer greifen und um entsprechende Zustimmung ersuchen.

c) Vorüberlegungen zu beabsichtigen Anträgen, rechtlicher Würdigung und Vorbesprechung mit dem Ausbilder
Auf Grundlage des Handakteninhalts lassen sich bereits recht konkrete Überlegungen dazu anstellen, welcher Antrag in der Hauptverhandlung gestellt werden soll, wenn sich der Anklagevorwurf in dieser Form bestätigt.

Geldstrafe oder Freiheitsstrafe? Aussetzung zur Bewährung oder nicht? Kommen ein Fahrverbot (§ 44 StGB), eine Fahrerlaubnisentziehung (§ 69 StGB) und/oder eine (isolierte) Sperre zur Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis (§ 69a StGB) in Betracht? Müssen Gegenstände eingezogen werden? Das sind alles Fragen, über die man sich im Vorfeld schon Gedanken machen kann.

So oder so ist eine abschließende Beurteilung erst dann möglich, wenn die Beweisaufnahme geschlossen worden ist und man alle nötigen Informationen und Eindrücke gesammelt hat. Viele Referendare sind vor ihren ersten Sitzungsdiensten etwas ratlos, wie sie das konkrete Strafmaß festlegen sollen. Zwar hat man mit Glück im Rahmen der universitären Ausbildung einmal etwas über Strafzumessung und Strafzumessungsgrundsätze gehört.

In den seltensten Fällen ist aber mal am konkreten Sachverhalt besprochen worden, welche Strafe angemessen ist. Wer die Grundsätze der Strafzumessung kennt, über ein gutes Bauchgefühl verfügt und sich im Vorfeld gut informiert, wird auch keine Probleme haben. In den meisten Bundesländern wird auch ein sog. Sitzungsleitfaden ausgegeben, in dem sich häufig eine Strafrahmenübersicht für gängige Delikte befindet.

Diese Übersichten sind eine sehr gute Orientierungshilfe. Vage Ansätze lassen sich auch aus dem Bundeszentralregisterauszug gewinnen. Darin sind jedoch nur der Tatvorwurf und das Strafmaß enthalten, so dass man keine konkreten Angaben über strafzumessungsrelevante Sachverhalte hat. Ansonsten fragt man einfach den Ausbilder. Dafür ist er ja schließlich auch da und wird für solche Fragen auch stets Verständnis aufbringen.

Nicht selten kann es passieren, dass sich ein Sachverhalt in der Hauptverhandlung stark verändert oder sogar vollständig anders darstellt, was unter Umständen auch eine andere rechtliche Beurteilung zur Folge haben kann.

Um nicht völlig ratlos zu sein, sollte man diese Möglichkeit auch schon bei der Vorbereitung auf den Termin in Betracht ziehen und darüber nachdenken, inwieweit sich eine Sachverhaltsänderung auf die rechtliche Beurteilung auswirken kann. Bevor es dann „ernst“ wird, sollte man die Akten nach der Vorbereitung noch einmal mit seinem Ausbilder besprechen, diesem die Vorschläge für etwaige Anträge hinsichtlich des Strafmaßes darstellen und die Beweggründe dafür erläutern.

Der Ausbilder wird dann aus seiner langjährigen Erfahrung als Sitzungsvertreter eine fundierte Rückmeldung geben können, ob das beabsichtige Strafmaß angemessen ist und ggf. auf übersehene Nebenfolgen oder andere Aspekte hinweisen.

C. Praktische Hinweise zum Hauptversammlungstermin

I. Vorgespräch

Am Tage der Hauptverhandlungen sollte man etwa 30 Minuten vor Beginn erscheinen und sich nach Möglichkeit kurz dem zuständigen Richter als Referendar vorstellen. Gelegentlich sprechen die Richter dann schon kurz die einzelnen Strafsachen an und können wertvolle Hinweise zu diesen geben, die sich vielleicht so aus der Handakte nicht ergaben.

Danach begibt man sich „bewaffnet“ mit Akten, Kommentaren, Schreibutensilien und Taschenrechner (ggf. wichtig für die korrekte Berechnung der Tagessatzhöhe) in den Sitzungssaal und richtet sich an seinem Platz ein.

II. Hauptverhandlung

Vor dem „ersten Mal“ lohnt ein Blick in Nr. 123 ff . der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV).

Daraus lassen sich die wesentlichen Basics für die Tätigkeit des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ablesen. Referendare haben weitreichende Befugnisse in der Hauptverhandlung und sind damit Staatsanwälten nahezu gleichgestellt. Referendare dürfen jedoch nicht eigenständig einer Einstellung des Verfahrens zustimmen oder einen Rechtsmittelverzicht erklären. Einer Einstellung darf nur nach vorheriger Rück- bzw. Absprache mit der Staatsanwaltschaft zugestimmt werden. Dies ist im Sitzungsvermerk, ggf. unter Nennung der Gründe für die Einstellung, niederzulegen. Einen Freispruch darf der Sitzungsvertreter auch ohne vorherige Absprache beantragen, sollte die Gründe für einen solchen Antrag aber in einem Vermerk niederlegen.

Neben den Kernaufgaben in der Hauptverhandlung (Verlesung der Anklageschrift , Ausübung des Fragerechts und Plädoyer) hat der Staatsanwalt darauf hinzuweisen, dass das Gesetz in der Hauptverhandlung eingehalten wird. D.h., dass man als Sitzungsvertreter auch immer einen Blick auf die Einhaltung insbesondere der verfahrensrechtlichen Vorschrift en werfen soll.

Werden z.B. mal eine zwingende Belehrung oder der Aufruf der Sache vergessen, so soll der Sitzungsvertreter durch einen freundlichen und zurückhaltenden Hinweis darauf hinwirken, dass dies getan oder unverzüglich nachgeholt wird. Dafür ist es natürlich wichtig, dass man mit dem Gang der Hauptverhandlung und den wesentlichen Verfahrensvorschriften*4 vertraut ist.

Nachdem der Angeklagte zu seinen Personalien vernommen worden ist, wird durch den Sitzungsvertreter die Anklageschrift vorgelesen. Dafür steht man auf. Beim Vorlesen werden die Begriff e Beschuldigter oder Angeschuldigter durch den Begriff Angeklagter (vgl. § 157 StPO) ersetzt. Dies sollte man gerade vor den ersten Sitzungsvertretungen durch entsprechende dünne Bleistifteintragungen vorbereiten, um sich nicht zu verhaspeln.

Bei Strafbefehlen ist es üblich das Verlesen mit den Worten „Die Staatsanwaltschaft hat folgenden Strafbefehl beantragt, der auch vom Gericht erlassen wurde“. Dann folgt die Verlesung des Strafbefehls, ohne dass die Begriff e geändert werden müssen.*5 Auch offensichtliche Fehler der Anklageschrift sind mit vorzulesen und allenfalls mit dem Hinweis „…gemeint ist wohl…“ zu berichtigen.

Ergibt sich bereits aus der Anklageschrift oder aber aus der späteren Beweisaufnahme, dass eine Bestrafung auch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt (z.B. gewerbsmäßiger Betrug statt Betruges) so ist ein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO anzuregen. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat man dann die Möglichkeit das Fragerecht auszuüben.

Davon sollte man auch Gebrauch machen, um sich den Sachverhalt vernünftig zu erschließen und offene Punkte ggf. zu klären. Anders ist dies, wenn der Richter schon alle Fragen erschöpfend gestellt hat. Dann gibt man lediglich an, dass man keine Fragen mehr hat. Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen wird, wird man direkt aufgefordert, sein Plädoyer zu halten und die Schlussanträge zu formulieren.

Sollte man angesichts der Komplexität der Beweisaufnahme einige Minuten benötigen, um das Plädoyer vorzubereiten, bittet man unter Angabe der benötigten Vorbereitungszeit um Unterbrechung. Dies ist allerdings nur in Fällen üblich, in denen z.B. viele Zeugen vernommen worden sind oder eine Vielzahl von Straftaten unterschiedlicher Art angeklagt sind. Andernfalls muss man so flexibel und entschlussfreudig sein, dass man sich im direkten Anschluss an die Beweisaufnahme erhebt und sein Plädoyer beginnt.

Dieses leitet man mit einer direkten Ansprache des Gerichts, des Verteidigers und etwaiger Zuhörer ein (z.B.: „Herr Vorsitzender, Frau Verteidigerin, meine Damen und Herren…“ oder „Hohes Gericht, Herr Verteidiger, meine Damen und Herren…“). Grundsätzlich ist man hinsichtlich des Aufbaus des Plädoyers frei: – Üblich ist es allerdings, dass das Plädoyer das Ergebnis, ob die Anklagevorwürfe sich bestätigt haben oder nicht, vorwegnimmt.

Sodann wird regelmäßig der Sachverhalt so geschildert, wie man ihn seinen Schlussanträgen zu Grunde legt. – Danach wird angegeben, wie sich der Angeklagte eingelassen hat. Dazu in Beziehung setzt man die Angaben von Zeugen und deren Würdigung und weitere Beweismittel. – Im Anschluss daran folgt regelmäßig die rechtliche Würdigung unter Angabe der anzuwendenden Vorschrift en.

Darauf aufbauend stellt man die Frage, wie angemessen auf die Tat zu reagieren ist und welche (strafmildernden und strafschärfenden) Erwägungen dabei Berücksichtigung finden müssen. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist auch darauf einzugehen, ob sie die nötige Einsichtsfähigkeit besitzen und bei Heranwach senden, ob und warum sie nach Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht zu behandeln sind.

Danach folgt der konkrete Antrag. Wird bei Erwachsenen oder Heranwachsenden, auf die Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, eine Verurteilung wegen einiger tatmehrheitlich begangener Strafen beantragt, so sind alle Einzelstrafen zu nennen und daraus eine Gesamtstrafe zu bilden.*6 Bei Jugendlichen und Heranwachsenden, auf die Jugendstrafrecht anzuwenden ist, ist nur eine Einheitsstrafe zu benennen.

Nicht vergessen darf man bei seinen Anträgen in Betracht kommende Nebenfolgen, wie z.B. ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis. Antrag und Urteil sind in den Sitzungsvermerk einzutragen und die Terminsakten unverzüglich zurückzugeben, so dass ggf. Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt werden können.

D. Schlussbemerkungen

Liest man alle diese Hinweise mag man angesichts der bevorstehenden ersten Sitzungsvertretung etwas Angst haben. Das ist aber wirklich nicht nötig. Nur in äußerst seltenen Fällen ist man auf die Kenntnis aller angesprochenen Aspekte angewiesen.

In der Mehrzahl der Fälle laufen die Sitzungsvertretungen unspektakulär und ohne großes Aufsehen ab. Gleichwohl ist man gut vorbereitet und kann eine gewisse Souveränität ausstrahlen, wenn man sich zuvor mit möglichst vielen Szenarien auseinandersetzt. Sitzungsdienste sind sehr abwechslungsreich, passagenweise sind sie auch mal langweilig, meist aber spannend, gelegentlich ist man bemüht, sich das Lachen zu verkneifen.

Mitunter sind Sitzungsdienste auch einfach erschütternd. So oder so taucht man zumindest kurz in Lebensläufe, Schicksale und Lebensszenarien ein, die einem sonst vielleicht verborgen bleiben. Hilfreich ist es auch, sich vor der ersten Hauptverhandlung einem Amtsanwalt oder Staatsanwalt für einen oder Sitzungstage anzuschließen. Dabei kann man die Abläufe bereits verinnerlichen und ggf. Fragen erörtern.

von Alexander Otto*

Fußnoten

* Der Autor war bis August 2011 Rechtsreferendar am OLG Oldenburg und absolvierte seine Wahlstation bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg. Im September 2011 schloss er seine juristische Ausbildung mit der 2. Juristischen Staatsprüfung ab. Zuvor machte er 2006 an der Universität Bremen sein erstes Staatsexamen, wo er auch von 2006 bis zum Beginn seines Referendariats im September 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Straf- und Strafprozessrecht, Prof. Dr. Edda Weßlau, war. Sie erreichen Alexander Otto unter alexander.otto@iurratio.de. Der Autor dankt Herrn OStA Dr. du Mesnil de Rochemont für die kritische Durchsicht dieses Beitrages und die wertvollen Anregungen.

*1 „Einschlägig“ meint Vorverurteilungen wegen desselben oder eines artverwandten Tatvorwurfs. Bsp.: B wird wegen Diebstahls geringwertiger Sachen gemäß §§ 242, 248a StGB angeklagt. Sein BZR weist 14 Eintragungen auf. Er ist fünf Mal wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, zwei Mal wegen exhibitionistischer Handlungen, zwei Mal wegen Unterschlagung und fünf Mal wegen Diebstahls vorbelastet. In diesem Beispiel ist B bereits sieben Mal „einschlägig“ in Erscheinung getreten (5x Diebstahl, 2x Unterschlagung), weil er in dieser Anzahl wegen Eigentumsdelikten vorbestraft ist und erneut wegen Diebstahls geringwertiger Sachen angeklagt wird.
*2 Dies alles kann auch von Amts wegen durch das Gericht angeordnet werden.
*3 Beachte aber den Fall des § 231 Abs. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift ist unter weiteren Voraussetzungen auch eine Verhandlung in einem Fortsetzungstermin ohne Anwesenheit des Angeklagten möglich.
*4 Darauf soll dieser Beitrag nicht eingehen. Strafprozessuale Grundkenntnisse und Kenntnisse über den Gang der Hauptverhandlung werden vorausgesetzt.
*5 Vereinzelt verlangen Staatsanwaltschaft en und Gerichte, dass der Strafbefehl wie eine Anklage vorgelesen wird. Hier muss man dann die Bezeichnungen ändern. Dagegen spricht allerdings, dass der Richter nach Verlesung unmittelbar ausführt: „Gegen diesen Strafbefehl ist rechtzeitig Einspruch eingelegt worden.“ Dies ist unlogisch, wenn man den Strafbefehl zuvor als Anklage verlesen hat.
*6 Beachte: Gelegentlich müssen auch gesamtstrafenfähige Vorverurteilungen mit einbezogen werden. Insoweit sollte man sich einmal grundsätzlich mit der Gesamtstrafenbildung befassen.

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