Das BVerfG hat entschieden, dass die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt (Urteil vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14).
Versammlungsleiter wegen Beleidigung verurteilt
Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration aus dem rechten Spektrum in Köln. Die Demonstration stieß auf zahlreiche Gegendemonstranten. Unter diesen war auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen vor Ort, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern. Er bezeichnete die Teilnehmer der Demonstration mehrfach wörtlich und sinngemäß als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“. Der Beschwerdeführer äußerte sich über den Bundestagsabgeordneten wörtlich wie folgt:
„Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen.“
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung in Form einer Schmähkritik nach § 185 StGB zu einer Geldstrafe. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verwarnte das Landgericht den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe vor. Die Revision zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügte im Wesentlichen die Verletzung seiner Meinungsfreiheit.
BVerfG sieht in der Entscheidung eine Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
In seinen wesentlichen Erwägungen entschied das Gericht, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen.
Zum einen schütze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr dürfe Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen.
Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft werde.
Äußerung des Beschwerdeführer fälschlicherweise als Schmähkritik eingestuft
Weiterhin ordnen die Gerichte die Äußerung des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise als Schmähkritik ein und unterlassen die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen, so das BVerfG.
Auf diese Weise verkennen die angegriffenen Entscheidungen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten.
Erneute Abwägung zwischen beeinträchtigten Grundrechten erforderlich
Das Bundesverfassungsgericht kritisiert, dass die angegriffenen Entscheidungen auf diesem Fehler beruhen. Wie diese Abwägung ausgeht, ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben.
Bei erneuter Befassung wird auf der einen Seite das Vorverhalten des Geschädigten, der aktiv eine Demonstration verhindern wollte, wie auf der anderen Seite das schwere Gewicht einer Ehrverletzung zu berücksichtigen sein, das in einem individuell adressierten Vergleich mit Funktionsträgern des nationalsozialistischen Unrechtsregimes liegt.
BVerfG: Schmähkritik soll ein Sonderfall bleiben
Das Gericht ist der Auffassung, der Begriff der Schmähkritik sei wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik mache eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.
Die Annahme einer Schmähung habe wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.
Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.