Gesetzentwurf zur Verschärfung des Anti-Stalking-Tatbestandes – Zur Stellungnahme von Prof. Dr. Kubiciel
Die Praxis
Das Bundeskabinett hat eine Reform des Stalking-Gesetzes auf den Weg gebracht. Stalking war lange ein belächeltes und weder gesellschaftlich noch juristisch ernst genommenes Problem. Ein Mensch, der einen besonders gerne mag, der einen beobachtet, Blumen schickt und Briefe hinterlässt. Kein Grund, sich belästigt zu fühlen, keine schwerwiegende Beeinträchtigung.
Mit zunehmender Technisierung, die zugleich die Möglichkeiten eines potentiellen Täters erhöht, seinem Opfer nachzustellen und es zu schikanieren, tritt Stalking allerdings aus seinem Schattendasein heraus und wird zu einem ernstzunehmenden Problem.
Im Deutschen ist die sogenannte „Nachstellung“ erst seit 2007 strafbar (§ 238 StGB). Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erfasste bereits im ersten Jahr 11.401 Fälle mit dem Tatvorwurf der Nachstellung, was einer Häufigkeit von 13,9 Fällen/100.000 Einwohner entspricht. Die Aufklärungsquote beträgt hier immerhin 88,4 %, ein Großteil der Täter stammt schließlich aus dem persönlichen Umfeld des Opfers.
Die Verbesserung des Opferschutzes scheint nach diesen zahlen durch die Einführung des § 238 StGB erfolgreich gewesen sein. Doch diese Zahlen trügen. So hat Prof. Dr. Michael Kubiciel, Strafrechtsprofessor an der Universität zu Köln, es in seiner Stellungnahme deutlich gemacht.
Er merkt hier das Auseinanderklaffen von Anzeigen- und Verurteilungszahlen an. So wurden 2013 nur rund 200 von 20.000 Tatverdächtigen verurteilt. Zwar ist der Tatbestand des § 238 StGB in Bezug auf das Handlungsunrecht weit gefasst.
Nachstellen beinhaltet demnach das Aufsuchen der räumlichen Nähe, den Versuch, mit Telekommunikationsmitteln Kontakt herzustellen, als Bestellung von Waren unter missbräuchlicher Verwendung personenbezogener Daten sowie als Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit.
Diese betont weite Fassung sorgt dafür, dass eine Vielzahl an Lebenssachverhalten unter die Norm subsumiert werden kann. Auch „eine vergleichbare Handlung“ wird kriminalisiert, sodass es entsprechend wenig Schlupflöcher für potentielle Täter gibt.
Der BGH hat 2009 klargestellt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den Handlungen und dem geforderten Taterfolg der Lebensveränderung nicht bewiesen werden muss. Das Nadelöhr des § 238 StGB ist die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensführung. Das Handlungsunrecht muss sich in diesem Taterfolg niederschlagen.
§ 238 StGB ist mithin kein Handlungs- sondern ein Erfolgsdelikt. Es wird also erwartet, dass es im Leben des Opfers zu schwerwiegenden Modifikationen gekommen ist. Es reichen hier nicht bloße Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie etwa Schutzvorkehrungen an der Wohnung oder eine Änderung im Sozialverhalten. Folge davon ist dass eine Verurteilung des Täters maßgeblich nicht von seinem Verhalten abhängt, sondern von dem seines Opfers.
Viele Opfer können es sich nicht leisten, den Wohnort zu wechseln oder den Arbeitsplatz nicht mehr aufzusuchen, sprich, die schwerwiegende Beeinträchtigung derart nach außen zu tragen, dass sie für Jedermann und die Justiz sichtbar ist.
Dies begründet aber noch keine Abwesenheit der Beeinträchtigung und macht den bisherigen § 238 StGB zu einer Vorschrift, die in der Rechtswirklichkeit zu 99 % eingestellter Ermittlungsverfahren führt. Doch diese Rechtswirklichkeit hat sich am 13.07.2016 erheblich verändert.
Mit der Einführung des neuen Stalkinggesetzes wird der Tatbestand des § 238 StGB in wesentlichen Punkten verändert.
Die Änderungen
Fortschritt
Aus einem Erfolgsdelikt wird ein potentielles Gefährdungsdelikt. In Zukunft soll es ausreichen, dass die Handlungen des Täters objektiv dazu geeignet sind, die geforderte gravierende Beeinträchtigung beim Opfer herbeizuführen. Das Opfer ist nun nicht länger im Zugzwang, es kommt auf den psychischen Druck an, welcher bei ihm durch das Gebaren des Täters evoziert wird.
Dieser kann anhand von Indizien festgestellt werden.
Anzuführen sind hier beispielsweise Häufigkeit, Kontinuität und Intensität, aber weiterhin auch eine tatsächliche Änderung der Lebensumstände. In der rechtlichen Praxis wird sich das wie folgt niederschlagen: Eine Einstellung des Verfahrens wird nicht mehr ohne Weiteres möglich sein.
Während bei der früheren Fassung des § 238 StGB ein Blick auf die Opferreaktionen zur Feststellung der Strafbarkeit reichte, muss nun eine eigenständige Bewertung der Schwere der Nachstellung durch die Richter vorgenommen werden, die bei vielen Fällen, die bisher eingestellt wurden, zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Rückschritt
Es wurde aber auch eine andere Änderung vorgenommen, die wiederum potentielle Täter begünstigen könnte. Der Terminus der „vergleichbaren Handlung“ wurde ersatzlos gestrichen. Die Entwurfverfasser begründen dies mit der Umstellung auf ein potentielles Gefährdungsdelikt, ansonsten wäre die Strafbarkeit zu weitgehend.
Angeführt wird weiterhin die Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebots des Artikels 103 Abs.2 GG. Prof Dr. Kubiciel sagt hierzu, dass die Generalklausel gerade nötig ist, um die Vielzahl der Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Stalkings aufzugreifen.
Er konstatiert, dass es dem Zweck des Opferschutzes zuwiderliefe, gleichzeitig auf den Erfolgsnachweis zu verzichten, dem potentiellen Täter aber eine Reihe strafloser Stalkingmethoden zu präsentieren.
Er sieht den Verzicht auf den Auffangtatbestand auch aus normativen Gründen als nicht zwingend an. Die Handlungen verlören ihre Sozialadäquanz, sobald sie beharrlich und gegen den Willen des Opfers vorgenommen würden und die Eignung zu schwerwiegenden Änderung der Lebensführung bestünde.
Außerdem könne man den Auffangtatbestand der Nr. 5 entsprechend eng auslegen, schließlich könne sich diese an den konkret genannten Handlungsvarianten orientieren. Er sieht es vor diesem Hintergrund als nicht nachvollziehbar an, warum Opfer in Zukunft nur noch vor einem engen Ausschnitt an Nachstellungshandlungen geschützt werden sollen.
Darüber hinaus ist der Verzicht auf den Auffangtatbestand auch aus normativen Gründen nicht zwingend: Denn zum einen verlieren Handlungen ihre Sozialadäquanz, wenn sie beharrlich und gegen den Willen des Opfers vorgenommen werden und überdies die objektive Eignung zur schwerwiegenden Änderung der Lebensführung aufweisen.
Zum anderen besteht die Möglichkeit, den Auffangtatbestand der Nr. 5 sachgerecht (eng) zu interpretieren: Die Auslegung kann zum einen (systematisch) auf die konkreten Handlungsvarianten Bezug nehmen und sich zum anderen teleologisch an der Eignungskomponente orientierten, die den normativen Gehalt des Handlungsunrechts deutlich aufscheinen lässt.
Danach kann sich die Auslegung unschwer von der Frage leiten lassen, ob einer den anderen Tatalternativen vergleichbaren Handlung die Gefahr innewohnt, dass sich das Opfer der Nachstellung zu einer erheblichen Änderung seiner Lebensgestaltung genötigt sehen könnte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu erklären, weshalb Opfer künftig nur vor einem recht engen Ausschnitt möglicher Nachstellungshandlungen geschützt werden sollen.
Kein Privatklagedelikt mehr
Nach bisheriger Rechtslage war es möglich, ein Verfahren unter Verweis auf den Privatklageweg nach §§ 170Abs. 2, 374 StPO einzustellen. Die hatte zur Folge, dass Opfer sich allein gelassen fühlen und ihre psychische Drucksituation sich intensiviert.
Zur Verbesserung des Opferschutze soll § 238 Abs. 1 StGB nun aus dem Katalog der Privatklagedelikte entfernt werden.
Verstoß gegen Verpflichtung aus Vergleich wird pönalisiert
Da Gewaltschutzgesetz ordnet in § 4 eine Strafe an, sofern ein Verstoß gegen vollstreckbare gerichtliche Schutzanordnungen, wie etwa Kommunikationsverbote, vorliegt. Sofern diese Verpflichtungen aber aus einem Vergleich der Beteiligten resultieren, gab es bisher keine Bestrafung.
Zum Schutz der geschädigten Person wird nun auch eine Strafandrohung eingeführt, wenn die im Vergleich übernommene Verpflichtung gerichtlich bestätigt wird und ein Verstoß vorliegt. Eine derartige Bestätigung soll es nach § 214a FamFG geben wenn die Verpflichtungen auch als gerichtliche Gewaltschutzanordnung hätten erlassen werden können.
Fazit
Prof. Dr. Kubiciel sieht die Reform des § 238 StGB als notwendig und lange überfällig an. Er sieht den § 238 StGB als eine Vorschrift an, welche mit diesen Veränderungen Strafverfolgungsbehörden und Strafverteidigern in Zukunft häufiger begegnen wird.
Auch in der Einstellung der Opfer wird durch das größere Entgegenkommen etwas verändert. Prof. Dr. Kubiciel sieht jedoch eine Abschwächung des positiven Effektes in der Streichung der generalklausel. „Dieser Schritt ist weder sachgerecht noch als Kompensation für die Umwandlung des § 238 StGB in ein Gefährdungsdelikt notwendig. Eine einschränkende, teleologische Auslegung dieser Tatalternative ist auch innerhalb eines Gefährdungsdelikts möglich.“
Eine vollständige Verion der Stellungnahme von Prof. Dr. Kubiciel inklusive Angaben zu den thematisierten Urteilen findet ihr hier