A. Einführung
Die meisten Examenskandidaten treten die Zweite Staatsprüfung in der Hoffnung an, keine Kautelarklausur lösen zu müssen. Diese Hoffnung ist bei genauer Betrachtung unbegründet und bringt nur den Nachteil unnötiger Nervosität mit sich. Die Kautelarklausur, die in einigen Bundesländern bereits Prüfungsstoff ist, stellt eine abgewandelte Form der Anwaltsklausur im Zivilrecht dar. Grund für die Einführung dieser Klausurkonstellation war, dass die Referendare dabei mit dem tatsächlichen Aufgabenfeld eines Anwalts oder Unternehmensjuristen konfrontiert werden.
Während der Schwerpunkt einer „normalen“ Anwaltsklausur in der Beratung des Mandanten bezüglich eines gerichtlichen Vorgehens liegt, steht bei der Kautelarklausur die außergerichtliche Tätigkeit im Mittelpunkt, die oftmals einen kreativen Gedanken fordert. Das zunächst in einem Gutachten gefundene Ergebnis muss in einem zweiten Schritt dem Mandanten, angereichert durch Empfehlungen und Zweckmäßigkeitserwägungen, mitgeteilt werden. Alternativ muss das gefundene Ergebnis in einem entsprechenden Entwurfsschreiben Niederschlag finden. Im Gegensatz zur klassischen Anwaltsklausur wird nicht ein bereits bestehendes Problem gelöst, sondern der Kandidat sollte erkennen und darlegen, welche Probleme und Unstimmigkeiten in Zukunft auftreten können und in der Lösung berücksichtigt werden müssen.
Zur Vorbereitung auf die Kautelarklausur wird empfohlen, die Anwaltsstationen in zivilrechtlich breit aufgestellten Kanzleien zu absolvieren und die tägliche Arbeit der Anwälte kennen zu lernen. Auf diese Weise kann ein Gespür für das Formulieren von anwaltlichen Schreiben oder Vertragsentwürfen entwickelt werden. Natürlich darf bei der Vorbereitung das juristische Handwerkszeug nicht ausgeklammert werden. Die nahe Arbeit am und mit dem Gesetz sowie die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt sind – wie bei jeder Klausur – Grundvoraussetzung. Neben strukturiertem Vorgehen und taktischen Überlegungen darf das materielle Recht nicht unbeachtet bleiben. Der Schwerpunkt liegt in diesen Klausuren meist in Randbereichen (siehe hierzu unten).
B. Drei Klausurtypen1
Die Kautelarklausur lässt sich in drei Klausurtypen einteilen, denen gemein ist, dass zunächst ein Gutachten zu erstellen ist. Der erste Klausurtyp (vorbereitendes Gutachten) fordert die Beantwortung einer vom Mandanten formulierten Fragestellung. Das im Gutachten gefundene Ergebnis muss dem Mandanten dann meist (beachte Bearbeitungsvermerk) in einem Schreiben mitgeteilt werden.
Beispiel: Der Mandant möchte bestimmte Regelungen im Rahmen einer letztwilligen Verfügung treffen, deren rechtliche
Umsetzbarkeit vom Kandidaten zu überprüfen ist.
Der zweite Klausurtyp stellt ein überprüfendes Gutachten dar. Der Kandidat muss ein vom Mandanten vorgelegtes „Werk“ gutachterlich auf dessen rechtliche Wirksamkeit und Vollständigkeit hin überprüfen und Überlegungen zu erforderlichen Änderungen anstellen. Dieses Ergebnis wird dem Mandanten ebenfalls in einem Schreiben mitgeteilt.
Beispiel: Der Mandant möchte bestimmte Regelungen im Rahmen einer letztwilligen Verfügung treffen und hat bereits
einen Entwurf formuliert, der vom Kandidaten zu überprüfen ist.
Der häufigste und mit den meisten Herausforderungen verbundene (dritte) Klausurtyp besteht aus der Formulierung eines eigenen Entwurfs eines juristischen „Werkes“ bzw. einzelner Bestandteile. Hierbei kann die Formulierung eines Vertrags, eines Vergleichs oder einzelner AGB gefordert sein. Auch bei diesem Klausurtyp ist in der Regel zunächst ein vorbereitendes oder überprüfendes Gutachten zu fertigen, um dann das Ergebnis in einem praxistauglichen Entwurf darzustellen.
Beispiel: Der Mandant möchte bestimmte Regelungen im Rahmen einer letztwilligen Verfügung treffen und der Kandidat soll einen entsprechenden Entwurf formulieren.
C. Bearbeitung der Kautelarklausur
Die Kautelarklausur erfordert juristische Kreativität und kommt in verschiedensten Konstellationen vor. Diese Vielseitigkeit macht es schwer, ein festes Prüfungsschema zu erstellen. Dennoch wird in den meisten Fällen eine dreistufige Prüfung empfohlen, die zumindest als gedankliche Hilfestellung herangezogen werden kann:
I. Ermittlung des Mandantenziels
Im Rahmen der Ermittlung des Mandantenziels muss zunächst das Sachziel des Mandanten aus dessen Vorbringen herausgefiltert werden. Hierfür muss der meist unsortierte Vortrag des Mandanten geordnet und ausgelegt werden. Meistens verfolgt der Mandant mehrere Ziele, sodass die Rangfolge dieser Ziele anhand der Wichtigkeit bestimmt werden muss. Sollten sich die Ziele gegenseitig ausschließen, muss herausgefunden werden, welche Ziele Vorrang haben und zwingend zu regeln sind. Außerdem ist stets zu bedenken, dass der Mandant kein Jurist ist und daher womöglich nicht alle wichtigen Gesichtspunkte erkannt hat. Der Kandidat muss also auch „Lücken“ erkennen und diese bei seiner Lösung berücksichtigen.
II. Ermittlung relevanter Fakten aus dem Sachverhalt
Bei der Aufarbeitung des Sachverhalts werden dem Mandantenvortrag die persönlichen und vermögensrechtlichen Verhältnisse des Mandanten entnommen und dargestellt. Zudem sollten bisherige Regelungen oder etwa bestehende Gesellschaftsformen vermerkt werden. Dieser Schritt stellt keine Zusammenfassung des Sachverhalts dar, sondern soll lediglich die relevanten Fakten, die in der weiteren Bearbeitung Beachtung finden müssen, umreißen. Da wie bereits erwähnt nicht die Lösung bestehender Probleme Aufgabe der Klausur ist, müssen in diesem Schritt die möglicherweise in der Zukunft auftretenden Probleme dargestellt werden.
III. Rechtliche Bewertung
Den Schwerpunkt der Lösung sollte stets die rechtliche Bewertung darstellen.
1. Klausurtyp 1 und 2
Bezüglich Klausurtyp 1 (vorbereitendes Gutachten) und Klausurtyp 2 (überprüfendes Gutachten) ist der Aufbau
einheitlich.
a) Einleitung
Begonnen wird mit einer Einleitung, die nochmals kurz das Mandantenbegehren wiedergibt.
Beispiele: Im Folgenden soll geprüft werden, ob der Mandant seinen Sohn enterben und unter welchen Voraussetzungen dies geschehen kann. Die Mandanten/Parteien begehren Auskunft über die Möglichkeiten eines Zusammenschlusses mit dem von ihnen verfolgten Ziel der Gründung eines Startup-Unternehmens.
Teilweise wird die Darstellung des Sachverhaltes im Bearbeitungsvermerk gefordert. Diese müsste dann an dieser
Stelle erfolgen.
b) Obersatz
Die rechtliche Begutachtung beginnt wie jedes juristische Gutachten mit einem Obersatz. Dieser stellt beim vorbereitenden Gutachten den Regelungswunsch des Mandanten, beim überprüfenden Gutachten den einzelnen Regelungspunkt heraus.
Beispiele: Fraglich ist, ob der Mandant erreichen kann, dass sein Sohn nichts erbt. In den Vertragsbedingungen des Mandanten ist ein Verzugszins von 2% geregelt.
c) Bestehen gesetzlicher Regelungen
Anhand des jeweiligen Obersatzes muss geprüft werden, ob hierzu eine gesetzliche Regelung besteht und ob diese passend ist oder abbedungen werden muss bzw. kann (vorbereitendes Gutachten) oder ob die vom Mandanten vorgeschlagene Regelung mit der gesetzlichen in Einklang steht (überprüfendes Gutachten). An dieser Stelle sollten verschiedene Regelungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
d) Konkreter Vorschlag
Am Schluss der rechtlichen Begutachtung sollte ein konkreter Vorschlag formuliert werden. Dieser darf jedoch keinen Entwurf darstellen, sondern lediglich die für am sinnvollsten erachtete Regelung aufzeigen und begründen. Ob das Ergebnis dem Mandanten zum Abschluss in einem Schreiben mitgeteilt werden soll, ist abhängig vom Bearbeitungsvermerk und bei Bedarf am Ende der Klausur zu formulieren.
2. Klausurtyp 3
Wird die Formulierung eines eigenen Entwurfs gefordert, gibt es auch hier die beiden Möglichkeiten, einen eigenen Entwurf zu fertigen oder einen bereits formulierten zu überprüfen und zu verbessern. Das Gutachten ist grundsätzlich wie bei Aufgabentyp 1 und 2 anzufertigen. Statt des konkreten Vorschlags oder des Mandantenschreibens muss dann der Entwurf eines juristischen Schreibens verfasst werden.
Dabei muss der erforderliche Stil beachtet werden. Wichtig sind kurze und verständliche Formulierungen, die juristisch präzise sind. Es sollten nicht zu viele Fachbegriffe verwendet werden, da dies nicht praxistauglich ist. Der Kandidat muss darauf achten, dass seine Formulierung nicht auslegungsfähig, sondern eindeutig und im Sinne des Mandanten ist. Die Formulierung sollte anhand des Gesetzestextes vorgenommen werden. Als Formulierungshilfe kann auch der Palandt genutzt werden. Der Schwerpunkt sollte in der Regelung des Vertragszwecks und von Störfällen liegen.
3. Grundprinzipien
Bei der Lösung aller Klausurkonstellationen sollte der Bearbeiter wichtige kautelarjuristische Grundprinzipien beachten. Neben den bereits dargestellten Prinzipien wie etwa der Orientierung an den Mandantenzielen oder der präzisen Formulierung sollte darauf geachtet werden, dass der für die Partei sicherste Weg – das bedeutet derjenige mit den besten Erfolgsaussichten und den wenigsten Kostenrisiken – gewählt wird. Wichtig ist zudem, auf jegliche Parteiinteressen einzugehen und alle drohenden Störfälle zu berücksichtigen.
4. Grenzen der Vertragsgestaltung
Daneben muss der Kandidat erkennen, dass es Grenzen der Vertragsgestaltung gibt, die eingehalten werden müssen. Dabei handelt es sich um zwingendes Recht und gesetzliche Verbote. Außerdem sollten bestehende AGB bzw. die Regelungen für AGB in den §§ 305 ff. BGB beachtet werden. Oftmals wird auch der Verbraucherschutz eine Rolle spielen. Gängige Normen wie die des § 138 BGB oder das AGG dürfen keinesfalls vergessen werden.
D. Materielles Recht
Zwar können theoretisch Sachverhalte aus allen Rechtsgebieten als Kautelarklausur gestellt werden, allerdings gibt es gewisse Bereiche, in denen sich eine solche Klausur besonders anbietet. Dabei ist zunächst die Gestaltung von außervertraglichen Einigungen, zumeist in Form eines Vergleichs, zu nennen. Da diese Aufgabe in der Vergangenheit häufig gestellt wurde, sollte der Aufbau eines Vergleichs bekannt sein. Dieser ist einem Vertragsentwurf ähnlich, was bedeutet, dass die Vergleichsparteien bezeichnet, Leistungspflichten benannt und bestimmte Förmlichkeiten eingehalten werden müssen. Unter der Überschrift „Außergerichtlicher Vergleich“ und der Nennung der Parteien sollte in einem Satz als Vorbemerkung die Streitigkeit, aus der sich der Vergleichsvertrag ergibt, dargestellt werden. Als erster Punkt werden dann die Hauptleistungspflichten aufgezeigt, auf deren Erfüllung sich die Parteien geeinigt haben. Sollte es sich dabei um Zahlungsverpflichtungen handeln, kann eine Vereinbarung zur Ratenzahlung oder eine Stundungsvereinbarung getroffen werden. Es sollten genaue Angaben zu Ort und Zeit der Leistungserbringung getroffen werden.
Hiernach werden die Folgen der Nichterfüllung oder des Verzuges dargestellt. Bestehen zwischen den Parteien mehrere Forderungen, muss erkennbar sein, welche Forderungen durch die Erfüllung der vereinbarten Pflichten abgegolten sind. Außerdem ist eine Regelung über die Kosten des Vergleichs zu treffen. Diese werden üblicherweise jeweils von den Parteien selbst getragen. Es können Vereinbarungen zur Schriftform oder zum Gerichtsstand getroffen werden. Empfehlenswert ist es, am Ende die „salvatorische Klausel“ einzubringen, die den Vertrag bei Unwirksamkeit einzelner Klauseln im Gesamten als wirksam bestehen lässt.
Ebenfalls von Bedeutung ist das allgemeine Vertragsrecht. Neben den entsprechenden Kenntnissen im materiellen Recht muss genau mit dem Sachverhalt gearbeitet und insbesondere auf die Wünsche des/ der Mandanten eingegangen werden. Oftmals wird der Examenskandidat in der Funktion des Anwalts von einer Gruppe natürlicher Personen aufgesucht, die eine Beratung bei der Gründung einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer Stiftung benötigen. Hierbei sind Kenntnisse im Gesellschaftsrecht sowie im Allgemeinen Teil des BGB gefordert. Der Kandidat muss in der Lage sein, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Gesellschaftsformen darzustellen und anhand des Mandantenvortrags die geeignete Form herauszufiltern.
Eine weitere denkbare Aufgabe liegt darin, ein Schreiben zur Durchsetzung bestimmter Ansprüche, ein sogenanntes Forderungsschreiben, zu verfassen. Hier sind insbesondere Kenntnisse bezüglich bestimmter Fristen und der entsprechenden Anspruchsgrundlagen gefordert. Außerdem sollten zwingende Formalitäten eingehalten werden und eine Abgrenzung und zweckmäßige Abwägung verschiedener Gestaltungsrechte vorgenommen werden. Es sollte auch darauf eingegangen werden, welche Rechtsfolgen durch die Ausübung der verschiedenen Gestaltungsrechte entstehen. Anhand des Mandantenbegehrens sollte daraufhin das effektivste Recht ausgewählt werden. Des Weiteren kann im Bereich des Erbrechts Verschiedenes abgefragt werden. Das Familienrecht ist ebenfalls ein beliebtes Gebiet. Sehr naheliegend ist zudem die Aufgabe, verschiedene AGBs zu formulieren, bei deren Lösung Kenntnisse in den jeweils zu regelnden Vertragsarten unerlässlich sind.
Wichtigstes Kriterium bei der Bewertung der Kautelarklausur ist wie bei allen Klausurarten eine stringente Lösung, die durch gute Argumente untermauert wird. Zudem darf hier einmal kreativ gedacht und die tatsächliche Arbeit eines Anwalts verwirklicht werden. Also, keine Angst und viel Erfolg!
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