Die EM – Juristisches Wissen für die Halbzeitpause
Das Foulspiel und seine strafrechtliche Relevanz- Tatbestandsmäßigkeit und Einwilligung in die Körperverletzung
Mit der Europameisterschaft in Frankreich rückt der Fußball wieder mehr in den Fokus aller. Dass das maximal 110 x 75 Meter große Feld kein rechtsfreier Raum ist, versteht sich von selbst.
Wenn in der Halbzeitpause das Bier leer ist oder die Zeitlupe eines vermeintliches Fouls zum siebzehnten Mal wiederholt wird, ein Spieler verletzt vom Platz geht oder sich über seine gelbe Karte erbost, ist vielleicht der richtige Zeitpunkt, neues Fachwissen einzubringen.
Im ersten Semester lernen wir es alle. Strafrecht AT. Was bleibt in Erinnerung? Oft die Basics, vor Allem die klausurrelevanten Probleme, die Details sind oftmals verloren in den Weiten der juristischen Erinnerung.
Wie war das nochmal beim Sport? Einwilligung in Körperverletzung? Entfallen der Rechtswidrigkeit? Hätte man Suarez 2014 wegen Körperverletzung anzeigen können? Wie war es mit Zidane 2006?
Im Folgenden gibt es Grundwissen zu der Problematik. So müsst ihr euch nur noch um kühles Bier für die WM-Spiele kümmern.
Wie so oft heißt es auch im Sport: Zwei Juristen, drei Meinungen. Eine Betrachtung differenziert nicht. Sie geht bei adäquatem Verlauf der Sportart, also wenn sich an die Regeln gehalten wird, von einer schlüssig erteilten Einwilligung durch den verletzten Sportler aus ( OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.06.1981- 3 Ss 310/80, in: NJW 1982, 39). Eine neuere Ansicht sieht das differenzierter.
Bei der strafrechtlichen Haftung von Sportlern sei Sportler nicht gleich Sportler. Hier ist vor Allem zu differenzieren zwischen Kampfsportarten und anderen Sportarten, welche nicht auf die Verletzung des Gegenübers ausgelegt sind, wie beispielsweise Leichtathletik, aber auch Fußball.
Bei Kampfsportarten herrscht Übereinkunft, dass eine fahrlässige Körperverletzung und auch Tötung nicht strafbar seien, solange sie unter Einhaltung der Regeln geschieht. Auch wird vertreten, dass leichte sportart-typische Regelverstöße hier noch nicht zu einer Strafbarkeit führen.
Eine solche ist vor Allem dann anzunehmen, wenn ein grober Regelverstoß vorliegt, wobei im Einzelfall das Verschulden entfällt, sofern man eine subjektive Vorhersehbarkeit durch den Täter verneint.
Für Sportarten, in denen nicht die Verletzung des Gegenübers Ziel ist, sollen andere Maßstäbe gelten- nämlich die gleichen wie für andere risikobehaftete Teilbereiche des Soziallebens.
Schon der Unrechtstatbestand entfiele, wenn ein Körperverletzungserfolg trotz Einhaltung der Spielregeln geschehe (BGH – Urt. v. 5. Nov. 1974, VI ZR 100/73).
Das sich daraus ergebende argumentum e contrario besagt, dass folglich jede Regelverletzung, die zu einer Körperverletzung des Mitspielers führt, die Gefahr der Strafverfolgung birgt.
Zur Folge hätte dies übervorsichtige Fußballspieler, die aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung Zweikämpfe um den Ball meiden würden und eine damit einhergehende Spannungseinbuße. Ein Foul kann daher nicht schon per se einen derartigen Unrechtsgehalt haben, dass die §§ 223 I, Alt. 1 und 2 StGB erfüllt sind.
Die Beurteilung einer Sportverletzung richtet sich allerdings nach der Sozialadäquanz und ist im Zweifel eine Frage des Einzelfalls. Sämtliche sportliche Regeln sind direkt oder indirekt auf den Schutz des Kontrahenten gerichtet.
Die strafrechtliche Sanktionierung ist nach der Schwere des Fouls zu bewerten. Das einfache Foulspiel ist also als taktisches Mittel
zu sehen und wird zwar sportlich aber nicht strafrechtlich geahndet. Es ist demnach als sozialüblich anzusehen, wenn ein Spieler im Übereifer einen Regelverstoß begeht oder dieser aus mangelnder körperlicher Kontrolle resultiert, allein hierin liegt noch keine Sorgfaltspflichtverletzung.
Im Kontrast dazu stehen selbstverständlich schwere Regelverstöße- der Maßstab ist hier die sogenannte sportliche Compliance. ‚Hierunter versteht man die Gesamtheit der zumutbaren Handlungen wie auch Unterlassungen, […] die die Sportregeln begründen.In diesem Zusammenhang wird vor Allem „sportliches Verhalten“ gefordert, was regelkonformes Verhalten impliziert. Nicht vereinbar ist das allerdings in Einzelfällen, in denen ein leichtes Foul, welchem es aus ethischer Sicht der Allgemeinheit am Unwert fehlt.
In Bezug auf die Tatbestandsmerkmale des § 223 Abs. 1 StGB lässt sich also folgendes festhalten: Was die Alt. 1 der körperlichen Misshandlung angeht, ist oftmals wegen fehlender Sozialwidrigkeit keine üble unangemessene Behandlung anzunehmen.
Dadurch wird der Spieler privilegiert, der durch einen unglücklichen Spielverlauf einen anderen verletzt. Erfolgt die Verletzung nicht spielbedingt, sondern aus anderen Erwägungen heraus, ist die Sozialadäquanz hingegen zu verneinen, weswegen der objektive Tatbestand des § 223 Abs.1, 1. Alt. vorläge.
In Bezug auf Alt. 2 ist eine solche Tatbestandsreduktion nicht möglich. Sofern ein pathologischer Zustand hervorgerufen wurde, liegt der objektive Tatbestand der Körperverletzung unzweifelhaft vor. Also stellt sich in diesem Fall die Frage nach der Einwilligung gemäß § 228 StGB.
Abzustellen ist auch hier wieder auf die sportliche Compliance, der Strafanspruch des Staates muss daher dem „sportlichen Verhalten“ weichen. Daher wird die Einwilligung hier als stillschweigende Zusicherung von Straffreiheit durch den Rechtsschutzverzicht des Einzelnen verstanden.
Damit diese Einwilligung zu bejahen ist, muss der jeweilige Täter sich jedoch in Art und Maß seines Handelns an ihr messen. Sofern der vom Täter verfolgte Zweck außerhalb der Fußballpartie liegt- beispielsweise ein persönlicher Konflikt zwischen den Spielern- ist von einer Einwilligung gerade nicht auszugehen.
Fußball ist ein kampfbetonter Sport, deswegen geht es bei der Beurteilung von Verletzungshandlungen vor Allem darum, die Spielsituation und die Motivation des Täters zu beachten. Schwere Verletzungen in Verletzungsabsicht sind nicht mehr von der Einwilligung des Opfers gedeckt.
Verfolgt ein Täter spielfremde Zwecke, indem er einen anderen foult, wird eine (nachträgliche) Einwilligung nur angemommen, wenn der Verletzungserfolg letztlich ausbleibt. Eine Genehmigung der Tat sieht das Strafrecht nicht vor.
Eine Verletzung, ungeachtet ihrer Schwere, die auf einem unglücklichen Spielverlauf beruht,ist von der Einwillligung nach § 228 StGB hingegen gedeckt, da ein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 228 letzter HS) nicht ersichtlich ist.
Es gilt also bei Fouls und Verletzungshandlungen während der EM die Augen offen zu halten. Gab es einen Regelverstoß? Wenn ja, wie schwer war er? Gab es einen Verletzungserfolg? Hat der Täter offensichtlich spielfremde Zwecke verfolgt?
Eurer strafrechtlichen Prüfung der Europameisterschaft steht nun nichts mehr im Wege. Alternativvorschlag: Zurücklehnen und das Spiel genießen. Jura gibt es auch morgen noch.
Nachlesen könnt ihr das Ganze detaillierter auf http://www.bonner-rechtsjournal.de/fileadmin/pdf/Artikel/2014_01/BRJ_017_2014_Figura.pdf