Sind die Klausuren des zweiten Staatsexamens erst einmal geschafft, steht auch schon die dreimonatige Wahlstation, die letzte von fünf Stationen des Referendariats, an.
Die Qual der Wahl
Wie der Name schon sagt, hat der Referendar die Qual der Wahl: Neben Unternehmen, Großkanzleien, Staatsanwaltschaften, Gerichten locken auch internationale Institutionen mit interessanten Angeboten für die angehenden Volljuristen. Viele Referendare entscheiden sich dafür, nach der harten Examensvorbereitung Auslandsluft zu schnuppern. Ich habe mich in der Wahlstation für eine Kanzlei in Sydney entschieden und möchte über diese spannende Zeit berichten.
Meine Station in Sydney
Da für mich nur das englischsprachige Ausland in Frage kam und ich zum einen weit weg wollte und zum anderen der Zeitraum der Wahlstation in den Sommer der Südhalbkugel fiel, entschied ich mich für Australien. Nach einiger Recherche im Internet und etlichen Mails fand ich einen kleinen Anwalt in Sydney, der bereit war mich für drei Monate zu betreuen.
Da Sydney nicht der außergewöhnlichste Ort für die Wahlstation ist, habe ich über ehemalige Sydney-Referendare auch schnell eine Wohnung gefunden, welche nicht zu teuer war und sich nah am Zentrum befand. Empfohlen wird während der Wahlstation, obwohl man üblicherweise kein Geld verdient, das Work und Travel Visum, welches zwar teurer ist als das Touristenvisum, einem aber auch einen sicheren Aufenthalt gewährleistet.
Letztendlich ist eine Station im Ausland natürlich aufwändiger als eine in Deutschland, jedoch war ich überrascht, dass doch alles relativ schnell und unproblematisch organisiert werden konnte. Außerdem stellte die Planung immer wieder eine willkommene Abwechslung zum Lernalltag dar und die Aussicht, nach den Anstrengungen der Klausurvorbereitung nach Australien zu fliegen erhöhte meine Motivation ungemein.
Eine Woche nach den Klausuren ging es dann los nach Down Under. Nach einem langen Flug habe ich die Station erstmal mit einem kleinen Urlaub eingeleitet, welcher durch geschickte Planung auch etwas länger ausgefallen ist, als die zehn Tage die einem eigentlich zustehen.
Die Kanzlei und meine Aufgaben
Am ersten Arbeitstag wurde ich von allen in der Kanzlei sei nett empfangen und durfte mein eigenes Büro beziehen. In Australien fängt man üblicherweise gegen neun an zu arbeiten, bleibt dann aber auch etwas länger, wobei ich meist schon um fünf gehen durfte.
Die Kanzlei befand sich nicht im Central Business District, was mir den einen oder anderen Stau zur Rush Hour erspart hat. In Australien geht es alles etwas lockerer zu, so dass ich nicht jeden Tag im Hosenanzug erscheinen musste. Auch sind wir jeden Freitag mit allen Kollegen Mittagessen gegangen und haben hin und wieder nach Feierabend noch ein Gläschen Wein getrunken.
Meine Aufgaben beschränkten sich meist auf Recherchearbeiten, da ich an vielen Fällen mangels vertiefter Kenntnis des australischen Rechtssystems nicht mitarbeiten konnte. Dies besserte sich zum Schluss und ich durfte zunehmend auch wichtigere Aufgaben übernehmen, wie z.B. Zusammenfassungen von Präzedenzfällen schreiben und beurteilen ob diese auf unseren Fall anwendbar sind.
Interessant wurde es insbesondere, wenn ich die Anwälte zu Gericht begleiten durfte. Das australische Rechtssystem orientiert sich an dem englischen common law bzw. Case law. Dies bedeutet, dass vor Gericht der Barrister die Aufgabe hat die Klageschrift zu entwerfen und vor Gericht aktiv aufzutreten, während die Soliciters den Fall vorbereiten und die Mandantschaft betreuen, aber selber nicht vor Gerichten plädieren dürfen.
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass zum Teil keine Richter anwesend sind, zumindest nicht körperlich, was den großen Entfernungen in Australien geschuldet ist. Wenn eine Verhandlung am Supreme Court (oberster Gerichtshof) stattfindet, welcher seinen Sitz in der australischen Hauptstadt Canberra hat, werden die Richter dann z.B. per Videoübertragung zugeschaltet.
Da meine Kanzlei insbesondere auf Menschenrechte spezialisiert war, schlug mein Anwalt mir vor, mich einer Gruppe anzuschließen, welche einmal die Woche ehrenamtlich rechtliche Beratung in einem Detention Center anbietet. Ein Detention Center ist vergleichbar mit der deutschen Abschiebehaft. Die australische Regierung versucht dem Flüchtlingsstrom mit extremer Härte zu begegnen, sodass Menschen, ohne Aufenthaltserlaubnis direkt in Abschiebehaft kommen.
Das Detention Center kann man sich tatsächlich vorstellen wie ein Gefängnis, wobei der Besucherbereich für die bessere Außendarstellung renoviert wurde und dementsprechend gut aussah. Hinein kam man nur mit Reisepass, Wohnbescheinigung und Formblatt nach einem Drogenscreening und einem Körperscanner. Dort haben wir den Flüchtlingen geholfen, Asylanträge auszufüllen und allgemeine rechtliche Beratung gegeben, welche ihnen durch die Regierung verweigert wurde. Dies war zwar zum einen sehr bedrückend, hat aber auch das Gefühl gegeben wirklich helfen zu können.
Außerdem durfte ich eine Verhandlung des Criminal Supreme Court in einem Mordprozess besuchen. Dies hatte zwar nichts mit der Arbeit in der Kanzlei zu tun, da wir eher zivilrechtlich orientiert waren, jedoch hatte mir mein Anwalt dafür freigegeben um einen umfassenden Einblick ins australische Recht zu bekommen.
Hier ging es sehr förmlich zu, alle Verfahrensbeteiligte trugen nicht nur Roben, sondern auch Perücken. Außerdem herrscht in Australien das Jury-System, wobei die zwölf Mitglieder der Jury eher gelangweilt bis abwesend gewirkt haben.
Das Leben in Sydney
In Sydney angekommen war ich erstmal leicht orientierungslos und überwältigt von der Größe der Stadt, was sich aber schnell gelegt hat. Abseits vom Arbeitsleben ist Sydney eine sehr lebenswerte und wunderschöne Stadt. Wer kann sonst behaupten mit der Fähre zur Arbeit zu fahren, zum Feierabend am Strand zu sitzen oder am Wochenende mal eben zum Great Barrier Reef zu fliegen? Auch kulturell und kulinarisch hat Sydney so einiges zu bieten. Langweilig wird einem bestimmt nicht.
Finanziell sollte man sich nicht nur auf die Unterhaltsbeihilfe verlassen, sondern bereits vorher etwas zu Seite legen, da in Australien vieles teurer ist als in Deutschland. Ich habe zwar einen Kaufkraftausgleich durch das LBV ausgezahlt bekommen, dies ist aber wohl nicht in allen Ländern vorgesehen und deckt bei Weitem nicht alle Kosten ab.
Fazit
Alles in allem würde ich meine Wahlstation immer wieder im Ausland absolvieren und war traurig, dass es nur drei Monate waren. Ich kann nur jedem, der mit einer Auslandsstation liebäugelt dazu ermuntern es zu tun und sich nicht durch den Organisationsaufwand, das liebe Geld, die mündliche Prüfung oder einer Station „für den Lebenslauf“ davon abhalten zu lassen.
Weitere Erfahrungsberichte zur Wahlstation
Die Wahlstation in Washington D.C.
Die Wahlstation bei der Lufthansa
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