Das VG Kassel hatte zu entscheiden, ob die in Fulda geplante Versammlung „Heimat bewahren“ stattfinden kann. Weiterhin wurde geklärt, was für Anhaltspunkte als Grundlage der Gefahrenprognose für das Versammlungsverbot erforderlich sind (Urteil vom 24.08.2017 – 6 L 5283/17.KS).
Sachverhalt:
Der Antragsteller des Verfahrens hatte am 12.08.2017 beim Ordnungsamt der Stadt Fulda eine Versammlung unter freiem Himmel angemeldet. Sie trug das Thema „Heimat bewahren – für einen deutschen Sozialismus“.
Die Stadt verbot diese Versammlung mit Bescheid vom 21.08.2017 und ordnete die sofortige Vollziehung des Verbots an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei der Durchführung der Versammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass durch Teilnehmer der Veranstaltung der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt und zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufgerufen werde.
Entscheidung:
Das VG Kassel hat die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot wiederhergestellt, so dass die Versammlung stattfinden kann. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts erweist sich das Versammlungsverbot als rechtswidrig. Die in § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) normierten Voraussetzungen für das im Bescheid angeordnete Versammlungsverbot lägen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift könne die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet sei.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG dürfe die Behörde bei dem Erlass von vorbeugenden Verfügungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Daher müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbare Umstände dafür vorliegen, aus denen sich die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergebe.
Bestimmte Anforderungen an eine Gefahrenprognose
Als Grundlage der Gefahrenprognose seien konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichten nicht aus. Diesen Vorgaben werde das angefochtene Versammlungsverbot der Antragsgegnerin nicht gerecht.
Zwar sei der Wertung der Stadt zuzustimmen, dass sowohl der zu erwartende Teilnehmerkreis der angemeldeten Versammlung als auch die veranstaltende Partei selbst dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sei. Gleichwohl ließen sich weder aus dem Teilnehmerkreis bzw. dem Veranstalter noch aus dem gewählten Thema der Versammlung Rückschlüsse ziehen, die eine Gefahrprognose dergestalt zuließen, dass mit der Begehung von Straftaten wie z.B. Volksverhetzung sicher zu rechnen sei.
Gefahr nicht hinreichend wahrscheinlich
Die Gefahr der Verwirklichung von Straftaten sei vielmehr spekulativ. Im Hinblick auf das gewählte Thema der Veranstaltung unter Berücksichtigung deren näherer Beschreibung erscheine es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass Straftaten nach den §§ 130 und 185 StGB begangen würden.
Es sei vielmehr davon auszugehen, dass sich der Teilnehmerkreis mit aktuellen politischen Themen, insbesondere der Flüchtlingspolitik, auseinandersetzen werde – wenn auch unter Vertretung politisch radikaler Positionen. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass hierbei Straftaten nach den §§ 130 und 185 StGB begangen würden. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hierfür bestehe indes nicht, zumal der Veranstalter hierzu auch nicht aufgerufen habe.
Soweit die Stadt auf die angemeldeten Kundgebungsmittel (Megafone, Fahnen, Transparente etc.) verweise, könne selbst der unterstellte Verstoß gegen Rechtsvorschriften ein Verbot der Versammlung nicht rechtfertigen. Dem wäre vielmehr durch entsprechende Auflagen als milderes Mittel im Vorfeld der Versammlung entgegenzutreten gewesen.
Merke:
1. Für eine Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Vermutungen reichen nicht aus.
2. Ein Verbot der Versammlung nach § 15 Abs. 1 VersG darf nur vorgenommen werden, wenn im Vorfeld erfolgte mildere Mittel (z.B. Auflagen) fehlgeschlagen sind.