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Erfahrungsbericht – Zivilrechtsstation in einer Kammer

Die Station beim Zivilgericht war für mich die erste Station des Referendariats. Das Referendariat habe ich im Jahr 2017 in Nordrhein – Westfalen begonnen. Ich möchte euch meine persönlichen Eindrücke der Station bei einer Kammer am Zivilgericht mitteilen.
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Wartet die Praxis ab und seid offen dafür

Einführung Zivilrechtsstation

Die Station beim Zivilgericht ist in NRW, wie in den meisten Bundesländern, die erste Station des Referendariats. In NRW dauert sie fünf Monate. Im ersten Monat findet lediglich 3- 4mal wöchentlich ein Einführungslehrgang statt, in dem man die ersten Grundlagen der Relations- / und Urteilstechnik lernt. Ab dem zweiten Monat findet neben den wöchentlichen AG – Terminen die praktische Ausbildung bei einer zugewiesenen Richterin bzw. einem zugewiesenen Richter statt. Als Referendar kann man an ein Amtsgericht oder an ein Landgericht zugewiesen werden. Ich wurde einem vorsitzenden Richter einer Kammer am Landgericht zugeteilt. Die Kammer befasst sich u. a. mit bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten des ersten Rechtszuges aus Bank- und Finanzgeschäften, sowie mit den nicht besonders verteilten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten des ersten Rechtszuges. Somit hatte ich die Möglichkeit ein buntes Spektrum an Themen innerhalb der praktischen Zeit kennenzulernen. Diese Fülle reichte von Erbrecht über Immobiliarsachenrecht bis hin zu den Bank- und Finanzgeschäften.

Zivilrechtskammer – Was ist das?

Was ist denn jetzt überhaupt der große Unterschied zwischen einer Kammer am Landgericht und einem Einzelrichter am Amtsgericht? Eine Kammer im Zivilrecht gibt es gem. § 60 GVG am Landgericht. Die Kammer wird aus drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden gem. § 75 GVG besetzt. Die Kammern im Zivilrecht sind grundsätzlich für alle Streitigkeiten zuständig, die nicht in die Zuständigkeit des Amtsgerichtes fallen, § 71 I GVG. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Streitwert der Sache mehr als 5.000 € beträgt (§ 23 Nr. 1 GVG). Jedoch enthält § 71 II GVG eine Reihe von Ausnahmen, in denen ungeachtet des Streitwertes eine Zuständigkeit des Landgerichts – also der Zivilrechtskammer – gegeben ist.

Zudem sind die Kammern beim Landgericht auch als nächsthöhere Instanz des Amtsgerichtes in der Funktion einer Beschwerde- oder Berufungskammer zuständig, wie sich aus § 72 I GVG entnehmen lässt. Nach § 72 a I GVG gibt es Kammern für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften, Streitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, Streitigkeiten über Ansprüche aus Heilbehandlungen und Streitigkeiten aus Versicherungsvertragsverhältnissen. Daneben gibt es noch eine gesonderte Kammer für Handelssachen. Diese Aufzählung ist allerdings nicht abschließend, sondern es dürfen weitere Kammern vom Landgericht gebildet werden (§ 72 a II GVG).

Aufgaben während der Zivilstation

Die praktische Ausbildung durch den jeweiligen Ausbilder besteht grundsätzlich aus der Teilnahme an Sitzungstagen und aus dem Schreiben von Urteilen oder Voten. Jeder Ausbilder hat unter der Woche ca. zwei Sitzungstage, an denen die Gerichtsverhandlungen stattfinden. Den Rest der Zeit nutzen die Richter für die notwendige Büroarbeit im Vorfeld und zur Nachbearbeitung. Zu dieser Büroarbeit zählen neben dem Verfassen von Urteilen auch der Erlass richterlicher Verfügungen an die jeweiligen Parteien oder der Erlass richterlicher Hinweise bzgl. des Parteivortrags. Die Richter einer Kammer haben zusätzlich noch Beratungsgespräche. Die Fälle werden in einer Kammer einer Person zugewiesen, welche dann in der Regel ein sog. Votum erstellen soll. Dieses Votum ist eine Art Zusammenfassung des Rechtsstreits mit einer eigenen kurzen Beweisprognose und einem Entscheidungsvorschlag bzw. einem Vorschlag über das weitere Vorgehen. Der Vorschlag ist davon abhängig, ob nach Lage der Akten bereits ein Urteil gesprochen werden könnte oder ob von den angebotenen Beweisen Gebrauch gemacht werden soll. Der Hauptzweck eines Votums ist aber, die anderen Kammermitglieder kurz über den Rechtsstreit aufzuklären und auf mögliche Beweisprobleme hinzuweisen.

An all den genannten Aufgaben durfte ich als Referendarin teilnehmen. Regelmäßig befand ich mich an Sitzungstagen mit in den Verhandlungen und durfte den Prozess verfolgen. Damit ich wusste, worum es in den jeweiligen Terminen ging, durfte ich an den Vorgesprächen teilnehmen oder habe vorab die Akten zur Durchsicht erhalten. Im Anschluss an die Verhandlungen durfte ich auch an den Beratungsgesprächen teilnehmen. Hierbei waren Fragen und Anregungen meinerseits stets erwünscht und bestimmte Probleme wurden für mich kurz vertiefend erklärt. Sofern sich die Gelegenheit bot, durfte ich im Anschluss an die Verhandlungen selbst einen Urteilsentwurf schreiben. Daneben sollte ich auch Voten schreiben, wenn ich nach Prüfung der Akte der Meinung war, dass ein Urteil so nicht möglich wäre. Im Rahmen der Nachbesprechungen bzw. auch bei den Vorgesprächen konnte ich direkt feststellen, welche rechtlichen Überlegungen meinerseits von den anderen in der Kammer geteilt wurden und welche nicht. Die Nachbesprechungen haben mir immer sehr geholfen praktischer zu denken und zu schreiben. Das Schönste hierbei ist, wenn ein Urteilsentwurf von dem jeweiligen Ausbilder ohne große Änderungen übernommen werden kann.

Meine Arbeitsbelastung war in der Zivilstation recht moderat. Ich nahm wöchentlich an den Sitzungsterminen teil und habe ca. alle zwei Wochen (manchmal früher und manchmal später je nach Aktenumfang) eine Arbeit abgegeben. Somit fand der Großteil der Arbeit für mich im „Homeoffice“ statt. Die Arbeiten wurden nach der Korrektur und Benotung bei dem nächsten Treffen mit meinem Ausbilder besprochen, sodass ich anfängliche Fehler direkt ausbessern konnte und mir nicht aneignete. Eine ähnliche Arbeitsbelastung hörte ich auch von meinen Kollegen. Die Bearbeitungszeit war zumindest nach Kenntnis meines Umfeldes angemessen ausgewählt.

Unterschiede zu einer Station am Amtsgericht

Der Hauptunterschied, der mir im Vergleich zu meinen Referendarskollegen aufgefallen ist, war hauptsächlich thematischer Natur. Viele meiner Kollegen, die einem Amtsgericht zugewiesen waren, beschäftigten sich mit den „Klassikern“ des Examens, wie dem Verkehrsunfall oder dem Mietrecht. Bei mir auf dem Schreibtisch lagen eher ein paar exotischere Fragestellungen aus dem Erbrecht in Verbindung mit einer Stufenklage oder eben auch Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften. Teilweise haben Kollegen am Amtsgericht mehr Arbeiten als die notwendigen Pflichtarbeiten abgegeben. Zum einen, da sie so eine sehr gute Übung hatten und zum anderen, weil sie oftmals weniger umfangreiche Akten hatten. Der Umfang einer Akte sagt aber nichts über deren Schwierigkeit aus. Nach individueller Absprache mit dem Ausbilder ist es in der Regel aber immer möglich, mehr Arbeiten als die Pflichtarbeiten abzugeben. Diese Übung dient letzten Endes der Ausbildung und wird höchstens aus Zeitmangel und Arbeitsbelastung von einem Ausbilder abgelehnt. Ich durfte von dieser Chance auch Gebrauch machen.

Von manchen Referendaren, Ausbildern oder Prüfern hört man, dass eine Station bei einem Amtsgericht „besser“ für das Examen wäre, denn die Fälle der Amtsgerichte spiegeln viel eher die Examensfälle wieder. Hierzu kann ich persönlich nur sagen, dass ich natürlich in der Kammer niemals einen Verkehrsunfall auf dem Schreibtisch hatte. Manche Kollegen haben zu dieser Thematik mehrere Urteile geschrieben. Dennoch empfand ich diesen Unterschied nie als Nachteil. Die Examensklausuren sind im Zeitpunkt der Station meistens noch über ein Jahr, in dem jeder sich ein sehr umfangreiches Wissen aneignen sollte, entfernt. Während dieser Vorbereitung können dann etwaige Lücken – wie kein geschriebenes Urteil zum Verkehrsunfall – aufgearbeitet werden. Ferner ist das Examen an sich zum Teil ein Glücksspiel. Wer sagt denn, dass ich auch einen Verkehrsunfall in einer Klausur als Thema habe? Oder eine mietrechtliche Streitigkeit? Keiner weiß was dran kommt und deshalb sollte jeder ein breites Wissensspektrum in den Examensklausuren vorweisen können.

Kann ich freiwillig zu einer Kammer gehen?

Zumindest ist es in NRW möglich einen Wunsch zu äußern, sobald man seine Stammdienststelle vom Oberlandesgericht erfahren hat. Die Wünsche werden nach Möglichkeit beachtet. Versprechen kann es natürlich keiner, da viele Faktoren wie die Personalstärke, die Arbeitsbelastung und die Anzahl der Referendare an sich und ähnliche Wünsche hier mit einbezogen werden müssen. Falls jemand aber bspw. ein besonders großes Interesse am Handelsrecht hat und deshalb unbedingt einer Kammer für Handelssachen zugewiesen werden möchte, sollte man es einfach versuchen. Wie sagt man so schön, „Fragen kostet doch nichts!“.

Lernmaterialien für die Station

In den AG–Terminen werden in aller Regel die wichtigsten Themen des Zivilverfahrens besprochen. Hierzu zählen bspw. der grundsätzliche Aufbau eines Urteils, das Versäumnisurteil und die Beweiswürdigung. Während dieser Termine erhält man Unterlagen von den AG–Leitern und erstellt sich eigene Mitschriften. Daneben gibt es verschiedene Lehrbücher und Skripte zum Nacharbeiten und Lernen für die Klausuren. Die bekanntesten Skripte für Referendare sind die Kaiserskripte. Dennoch haben alle anderen gängigen Repetitorien wie Alpmann Schmidt, Hemmer oder Jura Intensiv ebenfalls Materialien für Referendare. Derartige Skripte sind grundsätzlich vollkommend ausreichend. Sie haben oft auch keinen großen Umfangsunterschied im Gegensatz zu Lehrbüchern. Lehrbücher wie z. B. Anders / Gehle oder der Knöringer sind die gängigen Empfehlungen der AG–Leiter. Diese können, wie im Studium, zum Vertiefen sehr nützlich sein. Aber es gilt auch hier immer noch – nicht maßlos kaufen für die Regale, sondern wohlüberlegt anschaffen. Es entscheiden hier die einzelnen Geschmäcker in Sachen Sprache und Layout. Übungsklausuren werden teilweise von den jeweiligen Landgerichten selbst angeboten oder können käuflich erworben werden mit einem Korrekturservice. Daneben gibt es noch einen kostenlosen Klausurenkurs des Kammergerichts Berlin. Hier können Klausuren und Lösungen zum Üben heruntergeladen werden, was sehr zu empfehlen ist.

Tipps für die Zivilstation

Das Rad habe ich während des Referendariats definitiv nicht neu erfunden und somit sind meine Tipps keine Geheimnisse. Aber ich kann bestätigen, dass es sinnvoll ist nicht direkt in der Zivilstation 24 / 7 in der Bibliothek zu sitzen und nur zu lernen. Das Referendariat ist kein Sprint, sondern ein anstrengender Marathon. Das ist aber keine Aufforderung zum Faulenzen. Vielmehr solltet ihr eine gute Mitte finden zwischen einer guten Nacharbeit, dem Lernen für Klausuren und einem Freizeitausgleich. Zur Vorbereitung auf die AG–Klausuren sind Übungsklausuren am besten. Das theoretische Wissen bringt einen hier nicht weiter, wenn man nicht weiß, wie es angewandt werden soll. Deshalb schadet es nicht, sich mit dem Berliner Klausurenkurs auf die Pflichtklausuren vorzubereiten. Sofern in der AG bereits Aktenvorträge geübt werden – was wir in unserer AG gemacht haben – verfallt nicht in eine „Ist-doch-jetzt-nicht-wichtig“-Einstellung. Übung ist immer gut und es sind quasi kleine Klausuren. Mir hat das Üben von Aktenvorträgen inhaltlich zum Wiederholen und Anwenden neuer Themen geholfen.

Fazit

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass ich die fünf Monate meiner Zivilrechtsstation sehr genossen habe. Das Beisitzen in den Verhandlungen am Richtertisch, die Teilnahme an Beratungen und Gesprächen waren für mich die Highlights. Nach dem jahrelangen Studium erfährt man so die ersten wahren praktischen Tätigkeiten. Solche sehr vertieften Einblicke konnte ich zumindest nicht durch die Praktika während des Studiums erlangen. Ich kann nach den geschriebenen Examensklausuren auch sagen, dass ich inhaltlich keinen Nachteil gegenüber den Kollegen am Amtsgericht hatte. Zumal ohne Wiederholung die Themen von fast vor 1,5 Jahren kaum einer mehr können wird. Deshalb ist und bleibt das Wichtigste im Hinblick auf die Examensvorbereitung ein kontinuierliches Lernen und Wiederholen mit genügend Pausen. Für die Zivilstation kann ich euch nur raten, wenn ihr besondere Interessen habt versucht diese dort zu verstärken und zu fördern. Die Station ist für euch und ihr sollt den besten denkbaren Mehrwert aus der Station und dem Referendariat insgesamt mitnehmen. Und an all diejenigen, die keine Freunde des Zivilrechts sind: Wartet die Praxis ab und seid offen dafür. Selbst wenn ihr nicht die besten Freunde werdet, dann wird die Station nicht die anstrengendste Station sein und endet schneller als ihr denkt.

Viel Erfolg für Eure Zivilstation und Euer Referendariat!

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