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Wunderwaffe Prädikatsjurist?

Bereits zu Beginn soll betont werden, dass niemandem, soviel ist sicher, Qualitäten oder positive Charaktereigenschaften abgesprochen werden sollen. Ganz im Gegenteil, wer ein Prädikat erreicht hat, der verdient Respekt und Anerkennung.
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Prüfungsleistungen sind aber nun mal nicht alles.

Wunderwaffe Prädikatsjurist? Warum auch eine 3 eine Nummer 1 sein kann

„Sie sollten Ihre Examen mit überdurchschnittlichem Erfolg abgeschlossen haben… Sie verfügen über zwei mindestens vollbefriedigende Examina … Wenn Sie ihre Examina jeweils mit Prädikat abgeschlossen haben, dann…“ – so lesen sich meist Stellenanzeigen unter der Rubrik „Volljurist/in gesucht“.
Der Prädikatsjurist[1] – nicht der Übermensch, sondern der als Maßstab anzulegende Normallfall? Kein Prädikat im Examen? „Naja, wissen Sie, wir …“. Der Jurist als Sklave der Noten[2].

Prädikat als Charaktereigenschaft?

Bereits zu Beginn soll betont werden, dass niemandem, soviel ist sicher, Qualitäten oder positive Charaktereigenschaften abgesprochen werden sollen. Ganz im Gegenteil, wer ein Prädikat erreicht hat, der verdient Respekt und Anerkennung. Und nur Wenige haben das Glück, für diesen Erfolg nicht viel getan haben zu müssen. Der Erfolg in Form des Prädikats ist meist hart erarbeitet. Für diese harte Arbeit und den damit oftmals verbundenen Verzicht sollen die Kandidaten auch die Lorbeeren ernten dürfen. The few – the proud!

Wer also diese, oftmals unüberwindbare Hürde gemeistert hat, dem gilt ein ehrlich gemeintes: Herzlichen Glückwunsch!
Aber natürlich ist dies nicht die Mehrzahl der Absolventen. Nach Angaben des LJPA NRW[3] schaffen lediglich maximal 19% ein mindestens vollbefriedigendes Ergebnis im 2. Staatsexamen. Die Mehrzahl der Kandidaten schafft ein befriedigendes Ergebnis (27,5 %) oder ein ausreichendes Ergebnis (30,2 %) und bei einer Durchfallquote von 23 % ist selbst das Bestehen an sich bereits eine Leistung. Im ersten Staatsexamen sieht dies nicht anders aus. Auch hier machen die Prädikatsjuristen lediglich ca. 16 % aus.

Sowohl bezüglich der Benotung in juristischen Examina als vor allem wegen der (Nicht-)Ausreizung der Notenstufe, gibt es Stimmen, auch wenn diese noch kaum vernehmbar sind oder ignoriert werden, die eine grundsätzliche Reform der Notenvergabe und –stufen fordern[4]. Bis dies geschehen ist, ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Prüfungsleistungen sind aber nun mal nicht alles. Und sie sagen schon gar nichts über einen Menschen aus. Am wenigsten wohl über den Charakter. Über Fleiß und Belastbarkeit vielleicht – über Talente und Stärken nicht.

Wer viel wusste, kann auch viel?

Selbst über das Wissen der Kandidaten sagt die Examensnote nicht alles aus. Wie bei jeder Prüfungssituation und –leistung spielen zahl- reiche Faktoren eine Rolle, die meisten davon sind jedoch unbeeinflussbar. Man könnte die Prüfungssituation mit einem dreibeinigen Hocker vergleichen, dessen Beine Vorbereitung, Willen, aber eben auch Glück sind[5]. Perfekte Vorbereitung und Motivation sind nur zwei Beine, auf denen der Hocker im besten Fall stehen kann, aber nur sehr wackelig.

Und selbst die Beherrschung des partiell abgefragten Prüfungsstoffes ist der Beeinflussbarkeit entzogen. Denn wie auch sonst lassen sich oben aufgeführte Prüfungsergebnisse erklären, die sich in den letzten Jahren nur marginal verändert haben[6].
Was unumstößlich gilt ist: Die Prüfungskandidaten befinden sich in den Prüfungsphasen im Zenit ihres Wissens. So mancher hat nun das Talent, dieses Wissen in der speziellen Prüfungssituation besser ab- rufen zu können als andere.

Der Durchschnitt der Kandidaten schafft aber bestenfalls 80% der Leistung bzw. des Könnens abzurufen[7]. Meist ist der Wirkungsgrad jedoch geringer, trotz Motivation und Vorbereitung. Aber auch hier macht der Ton bekanntlich die Musik, denn wer das Wissen besser als andere herüberbringt, der punktet extra. Und auch diesbezüglich können Erfahrungswerte, Lebensalter und ähnliche Faktoren mit hineinspielen. Das Wissen macht einen Teil aus, aber eben nicht das Ganze. Die Formel Erfolg gleich Wissen geht also so nicht auf.

Der Alltag als härteste Prüfung

Das Wissen in der Prüfung punktgenau abzuliefern ist die eine Kunst. Das Abliefern und umsetzen dieser Leistung im Alltag ist eine andere. Was ist nun in der Praxis eher gefragt? Statisch abrufbares Wissen? Oder pragmatische Lösungsansätze unter Berücksichtigung äußerer Faktoren oder Gesamtumstände? Zählt didaktisch perfekte Rechtsanwendung mehr als abrechenbare Stunden? Saubere Subsumtion sticht Gewinnstreben?

Druck als Motivationsmotor

Diese Frage sollte sich normalerweise gar nicht stellen dürfen. Das Referendariat sollte die Kandidaten eigentlich auf die Praxis vorbereiten und in der Endprüfung soll, zumindest laut Gesetz, die praktische Verwertbarkeit der Prüfungsleistung die oberste Prämisse sein[8]. Die Realität sieht doch meist anders aus.

An dieser Stelle soll erneut darauf hingewiesen werden, dass die gemachten Ausführungen Verallgemeinerungen sind, die selbstverständlich weder für jeden Fall, noch für jede Tätigkeit und erst recht nicht für jede Person gelten.

Nun stellen wir jedoch einmal auf den besseren Durchschnittskandidaten ab, der nun einmal den „normalen Juristen“ repräsentiert. Dieser hat ein „befriedigend“ im Examen erreicht. Für einen Juristen eine durchaus respektable Leistung. Oder um die Sprache des Gesetzes (§ 1 JurPrNotSkV) zu verwenden: Eine Leistung, die in jeder Hinsicht durchschnittlichen Anforderungen entspricht[9]. Negativ gesprochen hiernach jedoch ein „Durchschnittsjurist“ – in den Augen der Allgemeinheit der Studierenden – eher ein Tadel als ein Lob.

Unter Berücksichtigung der Notenvergabepraxis bzw. des hohen Anspruches der Prüfungsverantwortlichen in der Juristerei aber eine mehr als respektable Leistung.
Dies sollten die Einstellungsverantwortlichen, meist selbst Juristen, eigentlich ebenfalls wissen. Und dies tun sie auch.

Aber: Ein Prädikat sollte es dann doch schon sein. Warum? Darum! De facto und allein vom rein rechnerischen her können und werden viele Tätigkeiten, für die angeblich ein juristisches Prädikat Voraussetzung ist, gar nicht vom geforderten Absolventenkreis bearbeitet. Allein dies spricht dafür, dass es mit der Aussagekraft des Prädikatsabschlusse wohl doch nicht immer so weit her ist.

Warum dem Prädikat noch immer eine solche Bedeutung zugemessen wird obwohl sich Generationen von Juristen über diese „Ungerechtigkeit“ echauffiert haben, bleibt ein Rätsel. Obwohl, oder gerade weil, doch einige der Entscheider einen solchen Abschluss nicht erreicht haben.

Der Prädikatsjurist als möglicher Problemfall

Es hält sich somit hartnäckig die Annahme, dass stets nur Prädikatsjuristen die guten Juristen sind und somit auch nur als solche karrieretauglich. Der Prädikatsjurist jedoch kann nicht nur eine Bereicherung, sondern auch ein Problemfall für den Anstellenden sein. Denn wer weiß, dass er zu einer kleinen elitären Gruppe gehört, der weiß auch um die daraus erwachsenen Vorteile. Für den Absolventen bzw. Mitarbeiter gut, für den Arbeitgeber nicht zwingend.

Manche Arbeitgeber setzen in Ihrer Personalplanung auf Fluktuation. Das Gute mitnehmen so lange es gut geht, danach trennen sich die Wege. Als Zukunftsmodell oder aus Kostengesichtsgründen sicherlich eine fragliche Praxis.

Bei Mitarbeitern, die ihren Job jedoch als einmalige Chance empfinden, da sie streng genommen das Anforderungsprofil nicht ganz erfüllen, werden sich die benannten Probleme vermutlich nicht bzw. nicht so schnell ergeben. Der schlechtere Kandidat, der die Chance bekommt sich dort zu beweisen, wo eigentlich eine „höhere Qualifikation“ gefordert ist, hat stets den Drang eine tatsächliche oder imaginäre Leistungserwartung erfüllen zu müssen und wollen.

Es wäre unter Umständen zu viel gesagt zu behaupten, diese Kandidaten hätten Angst, jedoch der eigenständig erzeugte Druck ist meist höher als bei anderen Mitarbeitern. Und durch diesen Druck bedingt sind auch die Motivation und oftmals der Output größer und als solcher gewinnbringend nutzbar. Umworben und „an die Hand genommen“ werden müssen diese Kandidaten nicht. Diese bewerben sich trotz der Wahrscheinlichkeit einer Absage.

Auch nachdem sie oftmals eine Vielzahl von Absagen erhalten haben, kämpfen sie und sind oftmals mit weniger, sogar in monetärer Hinsicht, zufrieden und gehen nicht davon aus etwas geschenkt zu bekommen. Nicht das der Prädikatsjurist die Diva unter den Mitarbeitern wäre, jedoch zumindest unterbewusst weiß er, dass er sich um seine berufliche Zukunft meist wenig Gedanken machen muss. Bei der hohen Nachfrage an Prädikatsjuristen kommt er schnell woanders unter und die Wahrscheinlichkeit die „Treppe hinauf zu fallen“ ist auch nicht unbedingt gering.

Und auch Nachhilfe ist für solche Absolventen nicht erforderlich. Ein Kandidat ohne Prädikatsabschluss ist meist trotzdem ein zumindest guter Jurist – stets jedoch bemüßigt dies durch (Mehr)Leistung und Engagement zu beweisen. Ein „Arbeiter“ oftmals, der sich von den Widrigkeiten des Alltags vielfach nicht unterkriegen lässt, der meist für und in seinem Job zu kämpfen gelernt hat.

Lebensnahe Juristen beliebt bei Mandanten

Bei manchem Absolventen ist die Note vielleicht aber auch dadurch bedingt, dass dieser noch anderen Dingen neben der Jurisprudenz zugänglich war. Vorbereitung und Lernen ja, aber Selbstaufgabe: Nein. Aber auch gerade durch dieses Profil kann ein solcher Bewerber eine Bereicherung für den Arbeitgeber darstellen. Denn auch Mandanten, Klienten, Kunden und Unternehmen kennen noch etwas anderes als die Jurisprudenz. Hier zählt der lebensnahe Pragmatiker meist mehr als der Rechtstheoretiker. Denn oftmals ist die Arbeit nun mal primär ergebnisorientiert. Und wer tut sich dann vermutlich leichter?

Vieles zu diesen Kandidaten Gesagte gilt auch für die Kandidaten, die lediglich ein ausreichend im Examen erreicht haben, nur mag es diesen noch um ein vielfaches schwerer fallen zu beweisen, dass sie über die notwendigen juristischen Kenntnisse verfügen. Ein Trugschluss, bei dem gewisse Zweifel jedoch verständlich sein mögen.

Die Handhabe einiger Kanzleien hingegen, „geringer qualifizierte“ Juristen, also vor allem Kandidaten mit einem ausreichend, zunehmend für Dokumentationsaufgaben oder Sekretariatstätigkeiten einzusetzen, scheint wenig zielführend, mag es sich auch unter Kostengesichtspunkten rechnen[10]. Überdies konkurrieren solche Kandidaten meist auch mit den diplomierten Wirtschaftsjuristen, die Ihnen jedoch qualifikationstechnisch meist weit voraus sind.

Die unbedingte Leistungsbereitschaft ist jedoch bei diesen „kritischen“ Kandidaten am stärksten, denn diese wissen, dass ihre Leistungen noch lange Zeit stets kritisch hinterfragt werden. Die Frustrationsschwelle ist daher meist hoch, Rückschläge können diese Kandidaten gut verkraften, denn sie haben mit diesen zu leben gelernt. Dies beginnt meist schon im Bewerbungsverfahren. Auch oder vielleicht gerade deswegen können sich auch solche Kandidaten durchaus als Bereicherung für Unternehmen, Kanzleien und den öffentlichen Dienst erweisen.

Was den öffentlichen Dienst und die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung und Umsetzung angeht, bleibt zu erwarten, dass sich die Anforderungen an die Bewerber wohl kaum so schnell ändern werden. Guter Grund hin oder her. Begründet wird dies meist mit dem Prinzip der „Bestenauslese“. Und diese wird verstanden als Auslese nach Noten.

Der Wirtschaft, die sich meist als flexibler und kreativer als Verwaltung und öffentlicher Dienst erweist, soll die „Bestenauslese“ nicht abgesprochen werden. Jedoch solle dort diese Auslese treffenderweise als einzelfallorientierte Wahl des „Besten für den Job“ und nicht als des „am besten Bewerteten“ verstanden werden.

Selbstverständlich kann der Prädikatsjurist dies auch sein, aber eben nicht ausschließlich – Prädikat gut, aber nicht zwingend wertvoll!


[1] Aus Gründen der Einfachheit wird hier lediglich die männliche Form verwandt.
[2] Vgl. Spiegel ONLINE, „Sklaven der Noten“ von Hendrik Wieduwilt, freier Journalist in Berlin und Doktorand am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster.
[3] Informationen und Statistiken abrufbar unter: http://www.justiz.nrw.de/JM/landesjustizpruefungsamt
[4] Wendenburg/ Hauser, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP 2011, 18); dazu auch Interview auf Zeit online vom März 2011 (www.zeit.de/studium/hochschule/2011-03/juranoten-reform)
[5] Riemann-Prehm, Soyka, Die Anwaltsklausur – Strafrecht, S. 77.6 Ausbildungsstatistiken der juristischen Prüfungen seit 2001 sind abrufbar auf der Webseite des Bundesministeriums der Justiz unter www.bmj.de unter dem Punkt Service/ Fachinformationen.
[7] Riemann-Prehm, Soyka, Die Anwaltsklausur – Strafrecht, S. 77.
[8] Vgl. zum Ausbildungsziel § 39 JAG NRW.
[9] Vgl. auch § 17 JAG NRW (auch zur rechnerischen Gesamtbewertung).
[10] Vgl. JUVE-Handbuch, „Der Anwaltsmarkt im Jahr nach der Krise“.

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